Unvermittelt trat eine Frau aus den Schatten der Bäume. Er hatte sie gar nicht bemerkt. Erstaunt registrierte er, dass es eine Nachtelbin war. Da erkannte er, dass sie eine der Gefährten aus dem Traum war. Josuan lächelte zufrieden bei dem Gedanken und fing einen verwirrten Blick von Nassia auf, die sich sicher fragte, warum er das Auftauchen der Elbin begrüßte.
Josuan schaute den Neuankömmling fasziniert an, er hatte, abgesehen von Ateras, nicht oft Nachtelben getroffen. Sie lebten eher an dunklen Orten und es gab sie vor allem in Zinoka. Ansonsten gab es, seines Wissens, außer auf der Elbeninsel Iluniario nur auf den nördlichen Inseln mehrere Kolonien von diesem faszinierenden Volk – nicht aber auf Fagadasien. Manchmal reisten sie herum und man begegnete ihnen vor allem in Bergstädten und Dörfern. Ihre spitzen Ohren, schmalen Augen, manche sagten Mandelaugen, und helle Haut und Haare verrieten sofort ihre Herkunft. Man konnte nicht anders, als sie als attraktiv zu bezeichnen. Ihre Züge waren edel und ebenmäßig. Anmutig trat sie aus den Schatten und bildete einen überraschenden Kontrast zum Dunkel des Waldes. Die Elben, die Josuan schon getroffen hatte, waren heller als sie, wie zum Beispiel Ateras. Aber ihr dunkler Teint stand ihr. Missmutig vermutete der Burgherr jedoch, dass es unklug wäre, wenn nicht sogar beleidigend, danach zu fragen.
Nassia fing sich schneller wieder und begann ein elbisches Begrüßungsritual. Dafür formte sie mit einer Hand eine Faust, die sanft gegen die senkrechte andere Handfläche gedrückt wurde, dann neigte sie sich der Elbin entgegen. Josuan hatte diese Begrüßung nie zuvor gesehen, aber als zukünftige Herrscherin lernte die Thronfolgerin sicher vielerlei solch nützlicher Dinge.
„Haras nin Nassia", sagte sie. Die Elbin lächelte und folgte dem gleichen Ritual, dann endete sie mit: „Haras nin Saverani." Der Traumseher beobachtete staunend den Gruß und wiederholte ihn. Er schloss mit: „Haras nin Josuan." Die Stammeskämpferin und die Elbin lachten herzlich über seinen Versuch. „Männer sagen Harat nis Josuan", erklärte die Thronerbin ihm. „Es bedeutet: Willkommen in Josuans Kreis." Der Traumseher war sich nicht sicher, ob er mitlachen oder die Geschichte übergehen sollte. Fast wünschte er, Nassia hätte gar nicht wieder angefangen zu reden, doch die Nachtelbin Saverani beendete sein Dilemma.
„Ihr sucht eure Freundin?", fragte sie. Josuan wollte seiner Begleiterin gerne zuraunen, dass die Elbin eine Gefährtin war. Aber ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen, war das nicht zu bewerkstelligen.
„Ja, wir suchen das Gnomlingmädchen Fatuna. Weißt du, wo sie ist?", antwortete Nassia. Ein glockenhelles Lachen erklang: „Du weißt schon, dass Fatuna älter ist als ich? Mädchen kann man wohl kaum sagen."
„Oh", erwiderte die Thronfolgerin betreten.
„Wir haben sie nach Jinecho gebracht", erklärte die Elbin versöhnlich. Augenscheinlich hatte weder seine Begleiterin noch er von diesem Ort je gehört, denn die Stammeskämpferin sah Saverani genauso ratlos an, wie er selber.
Josuan fragte als Erster: „Aber warum? Und wo ist das?"
Die Elbin sah beide mit einem unergründlichen Blick an, um dann leichthin zu antworten: „Ihr habt lange gebraucht, um euch um Fatuna Sorgen zu machen."
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Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)
FantasyDie Geschichte beginnt mit einem Traum. Der Traumseher Josuan begibt sich gemeinsam mit magischen Gefährten auf eine Reise, um die Welt zu verändern. Er folgt dem Ruf des Traumpriesters, der ihn in eine ungewisse Zukunft führt.