Danu sah zum Höhleneingang. Dunas würde jeden Augenblick dort auftauchen. Deshalb beschäftigte sie sich wieder eifrig mit ihren Heilsalben und verbannte die Gedanken an Nassia aus ihrem Kopf. Wenn er doch nicht immer so misstrauisch wäre. Ständig hatte er Angst, dass sie sein Leben beeinflusste. Aber zu was sonst war sie geboren worden?
Den Tag verbrachte Danu mit Haus- und Gartenarbeit. Sie verschwand früh ins Bett und am nächsten Morgen bereitete sie alles für Nassias Aufwachen vor. Dafür stellte sie eine Waschschüssel hin und legte neue, gewaschene Sachen für sie bereit. Dann schaffte sie das Frühstück raus, wo Josuan und Dunas saßen und sich leise unterhielten.
Danu lauschte den Vögeln, jeden Moment würde Nassia erwachen. Sie würde sich alleine waschen und ankleiden. Die Seherin setzte sich zu den Männern, die sich über Belanglosigkeiten austauschten. Schließlich kehrte sie zurück zu ihrer Patientin. „Guten Morgen, Nassia. Hast du gut geschlafen?", fragte sie sanft.
Die Prinzessin hatte sich angezogen, streckte sich noch einmal verschlafen, nickte dann glücklich und sah sie sich suchend um.
„Fatuna hat sich versteckt. Sie wird erst wieder zurückkommen, wenn ihr weiterreist. Josuan wartet draußen. Aber die eigentliche Frage ist, wie du ihm entgegen treten willst?", fragte Danu.
Die Prinzessin sah auf und beäugte die Seherin kritisch.
„Auf dich kommt es an", erklärte sie und schaute absichtlich ernst. „Glaubst du an die Wahrheit, Nassia?"
Daraufhin nickte sie langsam und zögerlich.
„Dann sprich endlich wieder! Auf dieser Reise darfst du nicht mehr schweigen. Außerdem solltest du Josuan von deiner Position im Herrscherhaus erzählen und von Trochian", verkündete die Seherin.
Erst starte Nassia nur entsetzt Danu an und dann wurde sie wie erwartet wütend. Sie fing hastig an, ihre Sachen zusammen zu suchen.
Sie lächelte nur, nahm die Prinzessin bei den Handgelenken und zwang sie, sie anzusehen. Sie musste sich mit dem Gedanken vertraut machen wieder zu sprechen, je früher, desto besser. „Beruhig dich, Nassia. Ich bin hier, um deine Fragen zu beantworten, dazu bin ich da", beschwichtigte sie.
Für die Prinzessin setzte sie ein Gesicht auf, das ihr suggerierte, dass sie nachdenken würde. „Du weißt, dass ich eine Seherin bin, so habe ich erfahren, wer du bist. Wir wissen von den Gefährten und eurer Mission", erklärte Danu und sah bedeutsam die junge Frau an. Sie fuhr fort: „Es liegt bei dir, Nassia. Ich habe dir nur einen Tipp gegeben. Du musst entscheiden."
Die Prinzessin schaute sie mehr als skeptisch an. Sie seufzte nachdenklich und blinzelte zum Ausgang.
Danu lachte und erklärte: „Ich weiß erst von euch, seitdem Dunas euch auf seiner Reise gesehen hat. Ab da prasselte die Zukunft auf mich ein. Ich habe auch die Mission von Josuan gesehen und dass er dafür Dunas Hilfe benötigt, aber nicht meine. Wir hätten weiterziehen können, aber haben uns entschieden, zu bleiben. Das solltest du auch Dunas zugutehalten, wenn du über ihn urteilst." Nassia sah errötend auf den Boden. Danu hatte aus ihrer Seherperspektive beobachtet, wie ihr Bruder mit der Prinzessin umgegangen war. Sie vermutete, dass er immer und überall Leute manipulierte, weil er nichts anderes von ihr kannte. Wahrscheinlich beabsichtigte er damit, derjenige zu sein, der den Überblick hatte.
Deshalb erklärte Danu im nächsten Satz wieder etwas milder: „Ich weiß doch, dass er schwierig sein kann. Aber er ist wie jeder andere. Es gibt da kein schwarz oder weiß, sondern nur bunt." Sie zwinkerte ihr zu. „Und jetzt komm. Es gibt Frühstück."
Nassia sprang sofort auf und man sah ihr die Begeisterung an.
Danu schmunzelte und dirigierte sie aus der Höhle. „Draußen. Komm", rief sie vergnügt.
Es war so leicht, die Menschen zu manipulieren, man musste nur wissen, mit was für einer Art von Charakter man es zu tun hatte – dann passierte alles fast von alleine. Josuan und Dunas saßen immer noch draußen in der Sonne. Der Traumseher sah besser aus und ausgeruht. Er aß mit Appetit und lächelte ihren Zwilling an. Als die beiden Frauen zu ihnen traten, verstummten sie. Der Adlige blinzelte erleichtert zu der Prinzessin hoch.
„Nassia. Hast du endlich ausgeschlafen?", fragte Dunas spitz.
Sie nickte zufrieden und zuckte dann mit den Schultern, so als wolle sie sagen: „Na und, so spät ist es doch nicht. Ihr sitzt doch auch erst beim Frühstück."
Josuan schmunzelte nur, aber Dunas brach in schallendes Gelächter aus. Er deutete auf die Prinzessin und rief: „Das Fräulein schläft seit über zwei Tagen!"
Nassia glaubte es kaum, doch ihr Reisegefährte nickte ihr zu und bestätigte: „Er sagt die Wahrheit."
Danu schaltete sich ein und bemerkte streng: „Lass sie. Du kannst nichts dafür. Ich kenne einen kleinen Schlaftrunk, den ich euch verabreicht habe. Er lässt die Leute so lange schlafen, wie sie es brauchen. Und du hast scheinbar ziemlich viel Schlaf nötig gehabt, Nassia." Die Prinzessin starrte sie wütend an, aber Danu beschwichtigte: „Sei nicht böse. Ich hatte die Auseinandersetzung auch schon mit Josuan. Hätte ich euch erklärt, was ich vorhabe, dann hättet ihr ewig diskutiert. Wir haben über euch gewacht. Ihr habt dringend Ruhe gebraucht und wenn wir euch etwas Böses tun hätten wollen, dann hätten wir euch wohl nicht erst gerettet. Josuans Kopf braucht immer noch ein paar Tage Ruhe, aber das wird schon." Nassia schaute Danu sprachlos an und schließlich vorsichtig zu dem Adligen. Man sah ihr an, wie entrüstet sie war. Die Seherin vermutete, dass sie ihre ersten Worte nicht unbedingt an sie verschwenden wollte. In diesem Fall war das wohl Danus Glück. „Komm, setz dich Nassia. Und iss", sagte Danu streng, die stolze Wüstenlöwin schluckte. Die Gastgeberin sah in Nassias Augen Zorn, aber die Prinzessin resignierte – genau wie vorhergesehen. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel und setzte sich, um zu frühstücken. Es gab natürlich lauter besonders leckere Sachen, die Nassia schnell besänftigten. Als sie fertig waren, schlenderte die zwei Reisegefährten ein Stück zu einem kleinen rauschenden Bach und nahmen auf dem Moos Platz. Allzu weit entfernen, durfte Josuan sich laut Danu ohnehin noch nicht. Seine Kopfverletzung verlangte, dass er sich nicht überanstrengte.
Die Seherin brauchte nicht bei den beiden zu bleiben, um zu wissen, was sie besprachen. Sie hatte ihr Gespräch vorher gesehen.
Josuan würde sagen: „Ich glaube, hier kann uns Magto nicht hören."
Nein der Drache nicht, aber ich, dachte Danu.
„Was ist los?", fragte er.
Nassia würde abgehakt den Kopf schütteln und weiter schweigen. Josuan würde lachen und kommentieren: „Ich glaube dir kein Wort." Der Traumseher würde von seinem Wortspiel belustigt sein, während die Wüstenlöwin die Augen verdrehen würde, aber sich dabei auch ein Schmunzeln nicht verkniff. Sobald Josuan sich wieder eingekriegt hatte, würde sie in Danus und Dunas Richtung zeigen und ein Fragezeichen mit den Händen formen.
„Ich weiß nicht, ob man ihnen trauen kann", würde er seufzend erwidern. „Mein Gefühl warnt mich vor ihnen, aber sie scheinen freundlich zu sein und uns gegenüber hilfsbereit."
Danach folgten ein paar aberwitzige Gebärden von Nassia, die jedoch nur Josuan verstand, denn er würde nicken und erklären: „Ganz sicher ist Dunas der Dragoner aus meinem Traum. Wir haben damit bereits sechs Gefährten versammelt: Dunas den Dragoner, Faniso den Magier, Oranos den Krieger, Suaso den Assassinen, Semio den Dieb und", er würde sie warm anlächeln, „Nassia die Stammeskämpferin."
Die Prinzessin würde mit sich ringen, sie würde ein paar Mal den Mund öffnen, aber sie würde es nicht über sich bringen. Josuan würde sie beobachten und seine eigenen Schlüsse ziehen. Sie würden eine Weile schweigend dasitzen und dann nichts mehr von Bedeutung austauschen. Irgendwann würden sie zu ihnen zurückkehren.
Aber es würde in ihr arbeiten. Alles zu seiner Zeit.
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Traumseher - 1. Teil der Traumtrilogie (1/3)
FantasyDie Geschichte beginnt mit einem Traum. Der Traumseher Josuan begibt sich gemeinsam mit magischen Gefährten auf eine Reise, um die Welt zu verändern. Er folgt dem Ruf des Traumpriesters, der ihn in eine ungewisse Zukunft führt.