𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟙𝟟

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Isabelle umarmte Hannah lange, als diese ohne Vorankündigung zu Besuch erschien. »Wieso hast du denn nicht gesagt, dass du kommst?« , fragte sie diese und führte sie in ihren Essbereich.

»Dann wäre es doch keine Überraschung mehr gewesen.« Hannah nahm Platz.

»Ja, aber es wäre doof gewesen, wenn ich noch gar nicht zurück gewesen wäre. Ich war doch ein paar Tage ... weg.« Untergetaucht, war das eigentliche Wort, das sie sagen wollte und das auch mehr gepasst hätte, aber darauf wollte sie nicht umschwenken. Schließlich wusste ihre Freundin den genauen Ablauf.

»Du bist doch hier. Also warum hin und her reden.«

»Trotzdem. Stell' dir vor, ich hätte dich verpasst. Also deinen Besuch.«

»Dann hätte ich es später nochmal probiert.«

»Du bleibst ein paar Tage?« Unaufgefordert schüttete Isabelle ihr einen Kaffee ein.

Hannah nickte. »Und darüber hinaus.«

»Wie meinst du das?«

»Wir ziehen wieder zurück.«

»Was? Wirklich? Hannah, das ist ... ich freu' mich, ohne Scherz.«

»Ich mich auch.«

»Woher der Sinneswandel? Ich dachte, Marcel ...«

»Ja Marcel hat lange genug seine Filme geschoben. Ich konnte das alles nicht mehr. Seine ganze Familie hat mich nur bewacht. Also, so kam es mir vor. Ich war nie alleine ... ich kam mir ... gefangen vor ... ich kam mir vor, als würde er über mein ganzes Leben bestimmen und irgendwann ... ich hab ihm die Wahl gelassen.« , erklärte sie. »Ich hab ihm gesagt, entweder ziehen wir zurück und er gibt mir mein altes Leben wieder oder ich gehe.«

»Er hat direkt zugestimmt?«

Hannah nickte. »Auch wenn er meinte, das Beste für mich zu wollen, hat er mich damit im Grunde nur eingeengt und mich dadurch fast verloren.«

Isabelle tat es leid. Vor lauter eigenen Probleme ist ihr nie aufgefallen, das es Hannah ebenso in der Zeit nicht leicht haben könnte. Dabei hatte sie doch vorher schon bemerkt, wie sehr Marcel sie bevormundet hatte. »Aber jetzt ist alles in Ordnung zwischen euch?«

»Ja. Er hat gemerkt, dass ich ihn zwar liebe, aber im Notfall könnte ich auch ohne ihn leben. Mein Seelenfrieden ist mir wichtiger.«

Isabelle lächelte. Das war etwas, wo sie noch hingelangen musste. Nicht die Sache mit dem Seelenfrieden, sondern sich einzugestehen, dass sie ohne Dag auch ein Leben leben könnte ... musste ... hatte. Egal, wie weh es tat. »Ihr habt schon etwas gefunden?« , fragte sie Hannah, um ihre Gedanken weg von Dag zu lenken.

»Ja. Circa halbe Stunde Fahrt von euch. Da hatten wir echt Glück. Ein alter Kollege von Marcel zieht weg und er hat uns direkt als Nachmieter vorgeschlagen. Du weißt, wie schwer es sonst ist, etwas hier in Berlin zu finden.«

»Oh ja.« Isabelle hatte selbst schon mit dem Gedanken gespielt, mit ihrer Tochter eine neue Wohnung zu beziehen. Aber irgendwie konnte sie auch nicht die Erinnerungen, die hier stattgefunden hatten, loslassen ... hinter sich lassen. »Es freut mich wirklich, das du wieder hier sein wirst.«

»Ich mich auch.« , sagte sie und lächelte. »Ich würde dir auch wirklich liebend gern meine zwei Jungs bekannt machen. Aber nur wenn du dazu bereit bist. Ich kann mir vorstellen, wie schwer das für dich sein muss.«

Natürlich war es schwer, da Hannahs Ältester nur ein wenig älter war, als Rio zum derzeitigen Zeitpunkt hätte sein müssen. Und doch lächelte Isabelle und nickte. »Ich würde die zwei wirklich gerne kennenlernen.«

Ihre Freundin lächelte zurück und nippte das erste Mal an dem heißen Getränk vor ihr. Auch Isabelle tätigte einen Schluck ihres Kaffees.

»Hat Dag sich denn ... gemeldet?« , horchte Hannah nun doch nach.

»Keine Ahnung. Ich hab eine neue Nummer. Und bei Insta hab ich seinen Chat stumm gestellt.«

»Aber ... willst du es denn nicht wissen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab Angst.«

»Weißt du noch, welche Panik du damals hattest?! Sie war auch unbegründet.«

»Das hier ist etwas anderes. Es geht hier nicht um eine Schwangerschaft, die ich ihm nicht mitgeteilt habe. Oder dass ich ihm Unrecht getan habe. Denn er hat eine andere. Ich hab' ... ich will es nicht von ihm hören, wie er mir sagt, dass er sie liebt.«

»Da wären wir wieder bei meinem Satz. Deine Panik damals war auch unbegründet. Und auch wenn ich kein Teil von der ganzen Sache, die hier in meiner Abwesenheit abgelaufen ist, war, kenn ich euch. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Dag einfach mal so aus Langeweile mit dir in die Kiste gesprungen ist.«

»Ich konnte mir auch nie vorstellen, das ich ein Leben ohne ihn haben werde. Das wir beide neue Partner haben. Aber es ist, wie es ist.«

»Liebst du ihn?«

»Dag?«

Hannah schüttelte ihren Kopf. »Deinen ... Neuen, da.«

»Nein. Aber ... er ist ... kein schlechter Mensch, sag ich jetzt mal so. Vielleicht ... ich weiß es nicht. Ich kenn' nur die Liebe, die ich bei Dag empfunden habe ... empfinde. Und ... normale Liebe entwickelt sich vielleicht langsamer und ... er ist meine Ablenkung.« , gab sie schließlich zu.

»Das musstest du nicht erwähnen. Das war mir auch so klar.«

»Dann verstehst du hoffentlich, dass die Sache mit Dag für mich schlimmer ist. Weil seine kleine Freundin keine Ablenkung ist.«

»Und woher weißt du das?«

»Weil es so ist.«

»Oh Isabelle Holmes ist am Werk. Sei mir nicht böse, aber so oft, wie du schon falsch mit deinen ganzen Vermutungen gelegen hast, darfst du dich niemals so nennen.«

»Er wohnt mit ihr. Er nimmt sie überall mit hin. Er hatte sie auch mit bei Katja und Vincent ... das ist für ihn etwas Ernstes.«

»Du hattest deinen doch auch mit.« Hannah wusste von Katja, dass Isabelle Ben ebenso mit hatte.

»Das ist wieder etwas anderes. Ich muss ... ich muss lernen, ohne Dag zu sein. Ich muss dem, was ich da habe, eine minimale Chance geben, das eventuell doch ... fuck, ich weiß es doch auch nicht.«

»Isabelle, ihr solltet reden. Dringend. Selbst wenn es etwas ist, was du nicht hören willst ... aber Gewissheit ist immerhin besser als Spekulationen.«

»Und wenn die Gewissheit dich umbringt? Nicht direkt. Aber Stück für Stück. Langsam. Qualvoll ... ist es dann immer noch die bessere Variante?«

»Soll ich sagen, was dich umbringen wird?! Wenn du nicht das Gespräch suchst, und in der Zukunft erfahren wirst, das es Dag im jetzigen Moment nicht anders erging wie dir.«

»Ihr könnt alle immer nur Ratschläge geben, aber wenn ihr in meiner Situation wärt, würdet ihr selber daran zugrunde gehen.«

»Gerade weil du daran zugrunde gehst, solltest du den Rat deiner Freunde annehmen.« , gab Hannah mit einem aufmunternden Lächeln von sich. »Hast du mal mit Vince gesprochen?«

»Mit Vincent?«

»Klar. Denkst du nicht, er redet mit ihm?«

»Denkst du nicht, dann würde Katja mir irgendwas zustecken? Vincent würde definitiv etwas zu ihr sagen.«

»Ich weiß es nicht.«

»Dann wären wir jetzt zu zweit. Ich ... lass uns das Thema wechseln. Bitte.«

Hannah nickte, obwohl sie ihrer Freundin lieber geholfen hätte.

Reißen wir uns gegenseitig raus, oder reiten wir uns rein (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt