Schneeflocken wirbelten in der Dunkelheit umher, tanzende Kristalle hinter der Fensterscheibe. Ein Windstoß nach dem anderen fegte um die Häuserecken und brachte die Luft zum Singen.
Gregori saß in einem Sessel neben dem Kamin und starrte in die Nacht hinaus. Das Feuer war bereits heruntergebrannt und nur der Schein der glühenden Kohlen erhellte sein Gesicht. Es war spät, doch er konnte noch nicht schlafen gehen. Er musste seinen Auftrag erledigen.
Auf seiner Stirn standen kleine Schweißperlen, obwohl es im Zimmer angenehm warm war. Unbemerkt spielte er mit den Fingern ihrer feingliedrigen Hand, während sich seine Gedanken an einem weit entfernten Ort befanden.
„Wie ist die Lage?" Seine geflüsterten Worte durchteilten die Stille. Gregori konzentrierte sich auf die geistige Präsenz in seinem Kopf.
„Wir haben bald alles unter Kontrolle – vielen Dank für Ihre Hilfe."
Gregori sandte der Frau ein kühles Lächeln. „Keine Ursache", murmelte er, ehe er die Verbindung kappte.
Erschöpft schloss er die Augen und seufzte. Doch er war zufrieden mit sich, denn durch seinen Einsatz waren Menschenleben gerettet worden.
Wenn doch nur alle Aufträge so wichtig wären, geisterte es durch seinen Kopf. Er war es leid, ständig als wandelnder Telegraph verwendet zu werden.
Die kleine Wanduhr schlug zwölf Mal und Gregori rappelte sich aus dem Sessel auf. Sein Blick fiel auf die Frau, deren Hand er wieder auf die Bettdecke gelegt hatte. Im düsteren Zimmer leuchtete ihre weiße Haut wie der Schnee vor dem Fenster. Ihre Brust hob und senkte sich in ruhigem Rhythmus.
Gregoris Augen hafteten auf dem kleinen Muttermal, das neben ihrem linken Augenwinkel lag. Gedankenfetzen wirbelten in seinem Gehirn umher und er schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. Er warf einige Holzscheite in die Glut, ehe er das Zimmer verließ.
Ich sollte schlafen gehen.
Zielsicher ging er durch den dunklen Flur, der weiche Teppich dämpfte seine Schritte. Eine Gänsehaut lief über seinen Körper, als er sein Zimmer betrat. Die Luft war kühl und der Geruch nach Tinte und Papier stieg ihm in die Nase.
Gregori entzündete eine Kerze und zog die schweren Vorhänge zu. Sein Nacken und die Schultern schmerzen, weil er zu lange starr neben ihrem Bett gesessen hatte. Er fühlte sich leer und ausgelaugt, ein Preis für die Anstrengungen der Nacht.
Er machte sich nicht die Mühe in sein Nachtgewand zu schlüpfen, zog lediglich seine Stiefel und Hosen aus.
Myrtha wird mir die Ohren langziehen, wenn sie die Falten sieht, dachte er und lachte freudlos vor sich hin.
Unweigerlich flogen seine Gedanken zu der schlafenden Frau zurück, als er sich hinlegte.
~
Geräuschvoll stieß die alte Dame die Tür ihres Enkels auf, als sie über den Flur lief. Es war acht Uhr morgens, die Sonne schien und außer der meterhohen Schneedecke erinnerte draußen nichts mehr an den Sturm der vergangenen Nacht.
„Aufstehen Gregori", rief sie noch, ehe sie – ein kleines Tablett auf den Händen balancierend – in das Zimmer der schlafenden Frau trat.
Routiniert zog sie die Vorhänge auf, öffnete ein Fenster und legte Holz im Kamin nach. Eiskalte Winterluft strömte ins Zimmer und verwandelte den Atem in kleine Wölkchen. Myrtha tropfte etwas von dem Zitronenöl auf die Trockenblumen, die in einer Vase neben dem Bett standen.
„Es ist ein so schöner Tag Kindchen", fing sie an, nachdem sie das Fenster wieder geschlossen hatte. „Die Sonne scheint und der Schnee glitzert wie ein Meer aus Diamanten." Myrtha ging zum Bett hinüber und lächelte die Schlafende an, die keine Reaktion zeigte.
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Till I Wake Up
FantasyEin Fluss verbindet zwei Welten miteinander - die der Menschen, in der Magie Mangelware ist, und die der Emendi, die vor Magie gerade so strotzt. Um auch in ihrer Welt Magie zu wirken behelfen sich die Menschen mit sogenannten Träumern: Emendi, die...