65 ~ So nah und doch...

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Obwohl er sich in einer fremden Umgebung befand, obwohl die Magie um ihn ständig auf ihn einstürmte, war Gregori beinah in dem Moment eingeschlafen, als sein Kopf das Kissen berührte. Bleierne Müdigkeit zog seinen Geist unerbittlich in den Schlaf hinab. Dieser Tag war derart anstrengend, aufwühlend und frustrierend gewesen, dass er wie ein Stein schlafen würde.

Ilka Dulciten hatte sich als hervorragende Gastgeberin erwiesen und er hatte nicht einmal das Gefühl gehabt, lediglich geduldet zu sein. Er vermutete sogar, dass der Frau die Ablenkung gerade recht kam – ihm erging es nicht anders. Solange er mit irgendetwas oder irgendwem beschäftigt war, ließ die verzweifelte Angst um Ari ein wenig nach.

Scheinbar war es seinen Gefährten ähnlich ergangen. Nachdem sie sich in ihren Zimmern vom Schmutz der Straße befreit hatten, waren sie in den Garten des Hauses geführt worden. Dort hatte ein kleiner Junge im Gras gespielt, gerade zehn Jahre alt, mit einer dunkelblauen Beule an der Stirn. Das Kind war der jüngere Bruder von Ari, Silas. Während Gregori und Lorlen sich mit Ilka über dies und das unterhalten hatten, war Hanna mit ihm im Gras gesessen und hatte mit ihm gespielt.

Doch dieser friedliche Nachmittag war viel zu schnell vergangen und die Wirklichkeit hatte Gregori mit aller Macht eingeholt, als der die Tür zu seinem Gästezimmer geschlossen hatte. Sein Herz hatte unregelmäßig geschlagen und kalter Schweiß war ihm ausgebrochen. Er konnte seine Sorge körperlich fühlen und es war eine Erfahrung, die er lieber nicht gemacht hätte.

Hoffentlich finde ich wenigstens im Schlaf Ruhe, dachte er und glitt endgültig ins Traumland hinüber.

Doch sein überaktiver Geist erfüllte ihm diesen frommen Wunsch nicht. Stattdessen hatte er offenbar beschlossen, Gregori weiter zu quälen – und zwar auf morbide Art und Weise. Denn Gregori fand sich nicht in irgendeinem Traum wieder, sondern in dem Traum. Gekleidet in ein weißes Leinenhemd und einer weißen Hose stand er barfuß auf der Blumenwiese, im Schatten der großen Eiche. Vor ihm wand sich der Diacre wie eine glitzernde blaue Schlange durch das saftige Grün der Landschaft.

Ein Windhauch trug den Duft von Lavendel und Zitrone zu ihm herüber, verfing sich in seinem Haar und streichelte sein Gesicht. Am liebsten hätte sich Gregori die Hände vors Gesicht geschlagen und geweint. Hier wirkte alles so friedlich, so idyllisch und einfach so wie immer. Es quälte ihn, hier allein zu stehen und sich der schmerzlichen Leere, die Ari hinterlassen hatte, überdeutlich bewusst zu sein.

Ein freudiges Quietschen hinter ihm ließ ihn herumfahren und was seine Augen sahen, konnte sein Gehirn im ersten Moment nicht verarbeiten. Auf einem kiesbedeckten Weg, der ihm zuvor nie aufgefallen war, kam eine rothaarige Frau auf ihn zu gerannt.

„Gregori!", rief sie und ihr Gesicht strahlte vor Freude. Das weiße Kleid flatterte im Wind und ließ sie wie einen wunderschönen Engel aussehen. Vollkommen perplex fing Gregori sie auf, als sie sich mit einem erstickten Lachen in seine Arme warf.

„Ari..." Das war alles, was er vor sich hinmurmeln konnte. Ihre hellblauen Augen funkelten, als sie zu ihm aufsah und ihre zarten Hände umklammerten den Stoff seines Hemdes so fest als führte sie, er könnte jeden Moment verschwinden. Es stürmten so viele Fragen auf ihn ein, dass er sich nicht für eine entscheiden konnte.

Stattdessen strich er sanft über ihre Wange und lächelte voller Erleichterung.

„Bist du es wirklich oder habe ich nur einen besonders schönen Traum?", fragte er mit belegter Stimme. Eine kleine Träne trat aus ihrem Augenwinkel, als sie den Kopf schüttelte.

„Ich bin echt, keine Sorge." Und um ihre Worte zu untermauern, glitt sie in seine Gedanken. Gregori entwich ein glückliches Seufzen – sie war es wirklich.

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt