78 ~ Das Opfer

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Ari kam es vor, als träume sie wieder. Sie war nicht in dieser schrecklichen Zelle angekettet und kämpfte verbissen gegen Eriel, sondern befand sich wieder in der Menschenwelt, zusammen mit Gregori. Warmer Wind strich über sie hinweg und trug Gelächter und fröhliche Stimmen zu ihr heran. Es war alles so friedlich und idyllisch, wie im Paradies.

Doch dann runzelte sie die Stirn. Nein, es konnte nichts friedlich sein, denn sie hatte ein grausames Geheimnis erfahren. Hunderte von Kindern waren verstümmelt worden, um die Machtgier einiger weniger zu befriedigen. Familien waren auseinander gerissen und Leben zerstört worden. Sie konnte nicht hier in ihrer kleinen Traumwelt sitzen und fröhlich sein, während es dieses Unheil auf der Welt gab.

Plötzlich zerplatzte die Szenerie um sie wie eine hauchdünne Seifenblase und sie befand sich wieder in dem grauenhaften Keller. Aber etwas hatte sich trotzdem verändert, sie wusste nur nicht...

Gregori!, dachte sie und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Nachdem sie von Eriels hinterhältigem Schlag getroffen worden war, musste sie wohl einige Augenblicke das Bewusstsein verloren haben – mit fatalen Folgen. Denn nun lag Gregori in dem Gang auf dem Boden, während Eriel sich bedrohlich auf ihn zu bewegte.

„Ich werde Ihr jämmerliches Gehirn zu Brei verarbeiten!", drohte der Emendi mit tiefer Stimme.

Augenblicklich fühlte Ari, dass er Magie um sich sammelte um sie einzusetzen. Es ging alles so schnell und schien doch Stunden zu dauern. Verzweifelt zerrte Ari an ihren Ketten und schrie, schleuderte zerstörerische Magie auf ihren Widersacher und erreichte doch nichts. Unaufhaltsam legte sich Eriels Zauber um Gregori, ließ ihn bleich werden und Blut aus seinem Mundwinkel laufen. Lorlen und Hanna standen bewegungslos daneben, festgenagelt von Eriels Willen.

„Hören Sie auf!", kreischte sie verzweifelt. „Bitte!"

Aus dem Augenwinkel sah Eriel sie an und sie konnte sein sadistisches Lächeln sehen. Ihr wurde heiß und kalt, angst und bange. Sie wollte Gregori nicht verlieren, nicht der Grund für sein Leid sein. Sie hatte doch gerade erst die Liebe gefunden, sie konnte sie nicht schon wieder verlieren.

„Nein", antwortete der Emendi schlicht und zog die Schlinge aus Energie noch enger um Gregori. In diesem Moment zerriss etwas in Ari, zerfaserte und entließ etwas Gewaltiges in die Freiheit. Mit beiden Händen griff Ari nach der unglaublichen Magiequelle unter der Stadt. Augenblicklich floss diese gewaltige Ansammlung aus Energie in ihren Körper, überflutete sie und erfüllte sie bis zur letzten Zelle. Kalte Wut packte sie, lenkte diese riesige Menge Magie mit erstaunlicher Leichtigkeit.

Am Rand nahm sie wahr, dass sich die Fesseln an ihren Händen schlicht in Luft auflösten. Ihr Haar wurde von einem unsichtbaren Wind erfasst und peitschte um ihren Körper, während sie sich mit sicheren Schritten dem Monster von einem Mann näherte, der drohte Gregori zu töten.

Nicht, wenn ich zuerst sein Licht ausblase, dachte sie und war sich der Grausamkeit ihrer Worte bewusst.

Mit imaginären Händen aus purer Magie griff sie nach Eriels Körper, griff nach seinem Geist und zog ihn von Gregori fort. Ein ersticktes Gurgeln löste sich aus seiner Kehle und er starrte sie aus großen Augen an, das Silber zu einem schmutzigen Schiefergrau verwaschen.

„Sie werden dafür bezahlen, was Sie mir und meines Gleichen angetan haben", sagte Ari und kniff die Augen zusammen. Eriel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie erlaubte es ihm nicht. Gewaltsam verschaffte sie sich Zugang zu seinem Gehirn, schlug es auf wie ein Buch und suchte nach dem Wissen, das sie brauchte.

„Ah", sagte sie zufrieden und stahl sich die gefundenen Informationen. Ein seltsamer Moment der Ruhe kehrte ein, als Ari Eriel eindringlich ansah. Der Sturm in der düsteren Kammer verebbte langsam.

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt