15 ~ Gnade, bitte!

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Sie hatte zwar noch nie in ihrem Leben eine Puppe in der Hand gehabt, dennoch kam sie sich wie eine vor. Nach eineinhalb Stunden anprobieren, abstecken und messen fühlte sie sich wie das besagte Kinderspielzeug. Ihre Beine waren schwer vom vielen Stehen und ihre Arme wurden langsam taub, weil sie sie immer wieder hochhalten oder ausstrecken musste.

Während Mr Janks und Myrtha sich über Neuigkeiten aus der Stadt unterhielten, konnte Ari nicht verhindern, dass ihre Gedanken abschweiften. Unwillkürlich dachte sie wieder an das Gespräch mit Myrtha am Vormittag.

Irgendwie kommt es mir vor, als wären seither Tage vergangen, dachte sie und unterdrückte ein Seufzen.

„Warum Gregori in einem Loch sitzt?", echote Myrtha ihre Frage und sah sie lange schweigend an. Schließlich strich sie sich eine graue Strähne aus der Stirn und atmete hörbar aus.

„Ich schätze du weißt, dass wir hier in einer ruhigen Gegend leben." Sie musterte Ari und diese nickte.

„Ich weiß einiges über die Umgebung", erklärte sie und hoffte, nicht weitere Details für den Grund ihres Wissens preisgeben zu müssen. Es war ähnlich wie mit dem Lesen: Manches wusste sie instinktiv, anderes war ihr vollkommen fremd. Myrtha lächelte sie nur an, sagte aber nichts dazu.

„Eigentlich sagt die Tatsache, dass er lieber hier lebt als in der Stadt schon alles. Gregori mag es nicht viele Menschen um sich zu haben. Sie stören ihn." Myrtha tippte sich an die Stirn. „Er hört das Gemurmel ihrer Gedanken, wenn er sich nicht ständig darauf konzentriert sie fern zu halten."

„Und was ist mit den anderen Conex? Leben die auch so abgeschieden von der Gesellschaft?"

„Nein. Scheinbar sind Gregoris Sensoren so fein, dass er eher das Problem hat zu schnell Verbindungen zu knüpfen, statt wie andere seine Schwierigkeiten damit hat." Ari rührte langsam in ihrer Teetasse.

Myrtha fuhr mit ihrer Erzählung fort: „Er schließt sich tagelang in seinen Zimmern ein, isst eigentlich nur wenn es unbedingt sein muss und ist ständig angespannt und übellaunig." Die alte Frau trank einen Schluck Tee und atmete tief ein und aus. „Und er weigert sich strikt ab und zu etwas anderes zu tun als zu arbeiten."

Ihre braunen Augen huschten wieder zu Ari und funkelten sie fast hinterhältig an. „Aber du scheinst mir ein aufgewecktes Mädchen zu sein."

„Wie meinst du das?"

Myrtha beugte sich etwas vor und stütze ihr Kinn in eine Hand. „Vielleicht gelingt es dir, dass er auch die andere Seite des Lebens kennen lernt."

Verwirrt runzelte Ari die Stirn. „Ich verstehe nicht..."

„Keine Sorge Kindchen. Ich glaube du wirst ganz allein einen Weg finden. Und mach dir keine Gedanken." Sie tätschelte Aris Hand und ihr Lächeln war warmherzig als sie hinzufügte: „Er hat scheinbar eine Schwäche für dich."

~

„Ari, schläfst du mit offenen Augen?"

Ari blinzelte einige Male und registrierte erst jetzt, dass Myrtha direkt vor ihr stand. Die Hände in die Hüften gestemmt sah sie sie mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an.

„Hm?", machte sie und riss sich gewaltsam in die Gegenwart zurück.

Myrtha seufzte und lächelte dann entwaffnend. „Wir sind fertig mit dem Kleid. Mr Janks wird die anderen Kleider mitnehmen und sie uns morgen zukommen lassen."

An den Schneider gewandt fragte sie: „Nicht wahr?"

„Ganz recht", nickte der Mann und klappte seinen Koffer zu. Myrtha half ihr aus dem Kleidungsstück, bis sie nur noch in dem dünnen Unterkleid dastand.

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt