5 ~ Grausame Menschen

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Blut, Gestank und Schreie erfüllten die Bilder und Eindrücke, die an Gregoris Geist vorbeizogen. Er versuchte sich noch weiter in sich zurückzuziehen, doch es gelang ihm nicht. Er war der Übermittler, er konnte sich vor den Informationen nicht verstecken – auch wenn er es gewollt hätte.

Es war Nachmittag, als er den verzweifelten Ruf eines Mederi erhalten hatte – so wurden die Magiebegabten bezeichnet, die sich auf die Heilkunst spezialisiert hatten.

Ohne zu zögern hatte Gregori dem Mann geantwortet.

„Ihr müsst mich dringend mit der Meisterin Rika verbinden", hatte ihn der Arzt angefleht.

Gregori war seiner Aufforderung nachgekommen und hatte die Verbindung geschaffen. Doch schon nach wenigen Minuten hatte er sich gewünscht, den Auftrag nicht angenommen zu haben. Der männliche Mederi war zu einem überfallenen Dorf gerufen worden. Überall lagen Leichen oder Sterbende auf der Erde. Geschändete Frauen und Kinder befanden sich in den Hütten und über allem schwebte der Qualm der unzähligen Feuer.

Eine Hand auf seinen rebellierenden Magen gepresst hatte Gregori die Bilder ertragen, die Verbindung aufrechterhalten. Es war unerlässlich, dass der Mederi sich Rat von der erfahrenen Heilerin holte. Es erschien ihm jedoch wie eine Ewigkeit, als sich beide Menschen endlich wieder aus seinem Gehirn zurückzogen.

Ausgelaugt und emotional verstümmelt kehrte Gregori in seine Realität zurück. Er saß zusammengesunken in seinem Schreibtischsessel und atmete schwer. Erschöpft schloss er die Augen und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

„Mein Gott, wer kann so etwas Barbarisches tun?", fragte er in die Stille des Zimmers hinein.

Wie eine Puppe stand er auf, ging mit steifen Gliedern zur Tür und trat hinaus in den Flur. Zielsicher lief er zu dem Zimmer der Träumerin und trat ein. Die Tür blieb einen Spalt offen, doch das störte ihn nicht. Müde ließ er sich vor ihrem Bett auf die Knie sinken, bettete seinen Kopf auf die weichen Decken.

„Die Menschen sind so grausam", flüsterte er und seine Stimme drohte zu ersticken. Impulsiv griff er nach Aris Hand und schmiegte sein Gesicht an ihre weiche Haut. Sie war so zart und zerbrechlich, ein Bild der Unschuld in einer Welt aus Sünden. Gregoris Herz wurde schwer und er verbannte die schrecklichen Bilder in sein Unterbewusstsein, wo sie ihn nicht quälen konnten.

~

Leise vor sich hin summend ging Myrtha über den Gang. Erstaunt stellte sie fest, dass die Tür zu Aris Zimmer angelehnt war.

Vielleicht zaubert Gregori wieder mit ihr, dachte sie und späte vorsichtig ins Zimmer hinein.

Verwirrt runzelte sie die Stirn, als sie ihren Enkel vor dem Bett knien sah. Sein Rücken war steif und Aris helle Hand lag auf seiner Wange.

Seltsam, normalerweise setzt er sich in den Sessel, dachte sie.

Erst jetzt bemerkte Myrtha, dass das Knistern in der Luft fehlte. Sie war zwar selbst keine Magiebegabte, hatte aber ein Gespür dafür, wenn in ihrer Nähe Magie eingesetzt wurde. Die Luft lud sich dabei auf wie kurz vor einem Gewitter, ehe es blitzte.

Überrascht zuckte sie zusammen, als Gregori sich seufzend erhob. So schnell sie ihre alten Beine tragen konnten eilte sie den Gang hinunter. Myrtha hatte es bis zur Treppe geschafft, als sie hinter sich das Klicken des Türschlosses hörte.

„Großmutter?", rief Gregori hinterher und sie wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte. Gramesfalten verunzierten sein Gesicht, als er sie müde ansah.

„Was Junge?"

„Was hältst du von einer Partie Schach?", fragte er und lächelte schwach.

„Gern", antwortet Myrtha und sie gingen gemeinsam die Stufen hinunter ins Wohnzimmer.

Es muss wieder etwas Schreckliches gesehen haben, wenn er meine Nähe sucht, überlegte Myrtha.

Doch selbst als sie mitten im Spiel waren ging ihr das Bild ihres Kindeskinds nicht aus dem Kopf, wie er die Hand der Träumerin gehalten hatte.

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt