40 ~ Chaos im Kopf

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„Meine Güte, in deinem Kopf sieht es aus wie im Schweinestall", feixte Lorlen. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und gestattete sich einen tiefen Seufzer. Es war mittlerweile tiefe Nacht, doch die beiden Männer waren noch immer wach.

„Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt", antwortete Gregori giftig. „Aber trotzdem danke. Länger hätte ich es nicht mehr ausgehalten."

„Da hättest du länger durchgehalten als ich."

Es war Lorlens Ernst. Es hatte Stunden gedauert, doch gemeinsam und mit Warrens Ratschlägen hatten sie es tatsächlich geschafft, Gregoris Sinne zu verschleiern. Zu diesem Zweck war es unumgänglich gewesen, dass Lorlen tief in Gregoris Bewusstsein eingedrungen war. Er hatte genau den Widerwillen seines Kollegen gespürt, als er ihn in seinen Kopf hineingelassen hatte. Lorlen konnte sich vorstellen, wie schwer dies für Gregori war.

Heute war er nicht stolz auf die Dinge, die er dem anderen früher angetan hatte. Nicht immer bewusst, hatte Lorlen Gregori schikaniert und gedemütigt. Er war ihm Gegensatz zu dem anderen Conex beliebt gewesen, hatte viele Freunde gehabt und eine Familie, die großes Ansehen genoss. Gregori hingegen... Lorlen seufzte wieder.

Er hatte eine schwere Kindheit und auch danach ist ihm nichts geschenkt worden.

Nun empfand Lorlen Respekt für ihn, nicht länger Geringschätzung.

Ich könnte mir ein Beispiel an ihm nehmen, dachte er, verscheuchte aber die Eingebung schnell wieder. Der Grund, weswegen er Gregori nacheifern wollte, war zu unsinnig. Es war ein Phantom, ein Geist, den Lorlen niemals zufassen bekommen würde. Es lohnte nicht, darüber weiter nachzudenken.

„Wenn du noch lauter denkst, kann ich es hören", sagte Gregori und riss Lorlen zurück in die Gegenwart. Sie waren mental immer noch verbunden, was Lorlen vollkommen vergessen hatte. Behutsam trennte er sich nun von dem Conex, kroch aus seinem Gehirn und kehrte vollständig in sein eigenes Bewusstsein zurück. Gierig griff er nach der nun kalten Mahlzeit, die Simon ihnen gebracht hatte. Der Mann war nicht auf den Kopf gefallen und hatte gewusst, dass sein Arbeitgeber nach einer so langen Sitzung wie ausgehungert sein würde.

Lorlen schmeckte kaum etwas von dem Braten und dem Brot, lediglich die darin enthaltene Energie zählte. Er wusste nicht, wann er zuletzt über einen so langen Zeitraum Magie von seinem Träumer entwendet hatte.

Mein Träumer, geisterte es durch seinen Kopf und er schluckte schnell.

„Gregori, wir haben etwas Entscheidendes übersehen."

„Was?", fragte Gregori nach und lehnte sich nach vor. Er hatte den alarmierten Unterton in Lorlens Stimme nicht überhört.

Und das, was Lorlen zu sagen hatte, war durchaus besorgniserregend. „Wenn dieser Eriel tatsächlich herausfindet, was genau Ari erwachen ließ, dann wird das nicht nur die Welt der Emendi durcheinander werfen, sondern auch unsere."

„Und inwiefern?"

„Wenn es etwas sein sollte, das sich bei jedem Träumer wiederholen lässt, dann gibt es bald keine Träumer mehr. Sämtliche magiebegabten Menschen wären auf einen Schlag ihrer Energiequellen beraubt – das würde ein heilloses Chaos nach sich ziehen."

Gregori nickte und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

Je weiter Lorlen darüber nachdachte, desto erschreckender wurde seine Entdeckung. „Angefangen bei uns Conex. Die gesamte Telekommunikation, die auf unseren Fähigkeiten beruht, würde ersatzlos zusammenbrechen. Ebenso wie das Verschwinden der Perveo, auf deren telekinetische Fähigkeiten niemand mehr zurückgreifen könnte."

Gregori nahm den Faden auf und seine Miene verfinsterte sich. „Der härteste Schlag dürfte uns treffen, wenn uns keine Mederi mehr zur Verfügung stehen."

Lorlen nahm sein Wasserglas und trank langsam einen Schluck. Bei diesen Gedankenspielen wurde ihm ganz schlecht. Doch plötzlich musste er grinsen. „Hanna wird mich schlagen, wenn ich ihr sage, dass einzig die Hario entbehrlich sind."

„Du kannst ein richtiges Ekel sein Lorlen. Visionen sind nützlich, um Katastrophen zu verhindern."

Lorlen seufzte. „Du hast ja Recht, es ist wirklich nicht komisch."

Die Standuhr schlug und erfüllte das Schweigen, das die beiden Männer befallen hatte.

„Meinst du Ari droht Gefahr?", fragte Gregori schließlich und blickte in den Kamin. Doch Lorlen hatte die Furcht in seinen Augen gesehen, die das Grün seiner Iris fast schwarz gefärbt hatte.

„Wer weiß... Sie ist vermutlich der Schlüssel zur Befreiung der Träumer. In ihr könnte das Geheimnis verborgen sein, warum sie in diesem Schlaf liegen und wie man sie daraus befreien kann." Er holte tief Luft und zwang sich, die Wahrheit zu sagen. „Es ist durchaus möglich, dass sie dadurch für viele zu einer Bedrohung wird."

Gregori nickte langsam und starrte weiter in die Flammen. Lorlen wünschte sich, ihm seine Sorgen nehmen zu können. In den vergangenen Tagen war er für ihn zu einem Freund geworden, den er nicht wieder verlieren wollte. Zu sehen wie er litt, setzte ihm selbst zu. Vielleicht würde er Hanna fragen, ob sie einen Blick in Aris Zukunft werfen könnte. Innerlich wappnete er sich für dieses Gespräch, bei dem sie ihm sicher wieder vorhielt, dass er ihr Befehle erteilte.

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt