Entschlossen, sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen, ging Gregori neben Hanna und Lorlen den Fluss entlang, direkt auf Aliquas zu. Die Schönheit der Landschaft bemerkte er kaum, denn sein Blick war starr auf die Stadt mit den rotbraunen Ziegeldächern und den gelblichen Ratsgebäuden gerichtet. Gegen Mittag würden sie ankommen, doch selbst das ging Gregori nicht schnell genug.
Er hatte – wie seine Begleiter auch – den Mantel ausgezogen und die Ärmel seines Hemds hochgekrempelt, Hanna hatte zudem ihr Haar zu einem Knoten geschlungen. In ihren Taschen hatten sie entsprechende Kleidung für diese Jahreszeit, doch auf offener Straße wollten sie sich ihrer viel zu warmen Aufmachung nicht entledigen.
Gregori spürte ein kleines Lächeln in sich aufsteigen. Hanna hatte sich, zusätzlich zu ihrem Mantel, die Strümpfe ausgezogen. Es war ein kurzer Moment der Unbeschwertheit gewesen, als sie die beiden Männer streng angesehen und ihnen gedroht hatte, ihnen den Hals umzudrehen, wenn sie sich nicht sofort umdrehen würden.
„Was willst du tun, wenn wir dort sind?", fragte Lorlen und brach das Schweigen. Gregori sah seinen Freund an und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht genau. Zuerst müssen wir den Ort finden, an dem Ari sich aufgehalten hat, bevor sie entführt worden war."
„Das Haus ihrer Familie." Beide Männer sahen Hanna verwundert an. Ihre Stimme war leise gewesen und es hatte sich angehört, als wäre sie mit ihrem Geist weit weg gewesen.
„Hattest du wieder eine Vision?", erkundigte sich Lorlen und musterte sie von oben bis unten.
„Nein, nicht ganz. Nenn es eine Eingebung."
„Hat dir diese Eingebung auch verraten, wo sich dieses Gebäude befindet?"
„Tut mir leid Gregori, da müssen wir wohl den altmodischen Weg nehmen und fragen."
Gregori nickte und rieb sich über den Nacken – es wäre auch zu schön gewesen. Aber wenigstens kannten sie Aris Familiennamen, damit sollte ja etwas anzufangen sein. Er hoffte nur, dass sie nicht zu oft herumfragen mussten. Menschen waren rar in dieser Welt, darum würden sie allein schon deshalb auffallen. Er wollte nicht noch mehr unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Ein anderer Gedanke kam ihm. „Sollen wir den Rat informieren?"
„Hm", machte Hanna und tippte sich ans Kinn. Diese Geste wirkte so willkürlich, dass es Gregori regelrecht ins Gesicht sprang. Hanna war normalerweise eine sehr kontrollierte Frau, vor allem in Lorlens Gegenwart. Für ihn war es ein gutes Zeichen, dass sie sich nach ihrem Anfall wieder solcher Gesten bediente. Es konnte nur heißen, dass sie keinen Schaden davongetragen hatte.
„Ich bin mir nicht sicher. Sie wissen sicherlich schon, dass Ari etwas zugestoßen ist. Ich würde sie nicht noch zusätzlich auf unsere Anwesenheit aufmerksam machen." Sie nickte bekräftigend und fügte hinzu: „Sie würden uns nur zurückschicken wollen. Emendi hassen es, Fehler zu machen."
„Hanna hat Recht", sagte Lorlen.
Als die anderen stehen blieben und ihn entgeistert anstarrten, hob er die Augenbrauen und fragte irritiert: „Was?"
„Nun ja", setzte Hanna an und schloss mit Gregori zu ihm auf. „Schade, dass wir keinen Geschichtsschreiber in der Nähe haben. Es war gerade ein historischer Moment, als du mir Recht gegeben hast."
Lorlen schnaubte ungehalten. „Scheinbar kann ich überhaupt nichts sagen, was unserem Prinzesschen recht ist."
„Ich bin kein Prinzesschen", konterte Hanna und kniff die Augen zusammen.
„Natürlich bist du das. Wie sonst nennt man ein so verzogenes Gör wie dich?"
„Verzogen?", japste die Hario und fasste sich an die Brust. Es sah für einige Augenblicke so aus, als wüsste sie nichts auf Lorlens Anschuldigung zu erwidern. Doch dann kniff sie die Augen zusammen, holte aus und schlug ihm auf den Arm – zum zweiten Mal an diesem Tag.
„Wie unschicklich", sagte Lorlen und lächelte arrogant. „Pass auf, sonst pack ich dich und schmeiß dich durch den Fluss wieder nach Hause."
Gregori fuhr dazwischen, ehe Lorlen seine Drohung wahr machen konnte. Schnell trat er zwischen die beiden Streithähne und fungierte als Puffer. „Ihr hört beide auf, sonst könnt ihr zusammen durch den Diacre zurückgehen."
Er warf einen ernsten Blick nach links und rechts. Von einem plötzlichen Tief erfasst seufzte er steinerweichend.
„Es tut mir leid Gregori", sagte Hanna und fasste vorsichtig seinen Arm. „Wir benehmen uns kindisch, während Ari verschwunden ist." Bei ihren Worten sah sie Lorlen eindringlich an, der schuldbewusst den Kopf sinken ließ.
„Es lenkt mich wenigstens ab", sagte Gregori zu Hanna und versuchte sich an einem Lächeln. „Das Schlimme ist nicht einmal, dass ich nicht weiß wo Ari ist. Was mir wirklich Sorgen macht ist, dass ich sie telepathisch nicht erreichen kann."
„Nein?", platzte es aus Lorlen heraus.
Gregori schüttelte den Kopf. „Nein. In unserer Welt habe ich sie selbst erreicht, wenn sie geschlafen hat. Hier müsste das sogar leichter gehen. Aber ich kann sie nicht einmal fühlen. Es ist, als würde sie nicht mehr existieren."
„Red dir nichts ein Gregori", sagte der dunkelhaarige Conex an seiner Seite. „Sie ist noch da und wir werden sie finden."
„Genau, sie wurde sicherlich betäubt und du kannst dich deswegen nicht kontaktieren", fügte Hanna hinzu.
Gregori nickte und richtete seinen Blick wieder auf die Stadt. „Ja, das hoffe ich auch."
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Till I Wake Up
FantasyEin Fluss verbindet zwei Welten miteinander - die der Menschen, in der Magie Mangelware ist, und die der Emendi, die vor Magie gerade so strotzt. Um auch in ihrer Welt Magie zu wirken behelfen sich die Menschen mit sogenannten Träumern: Emendi, die...