60 ~ Hilfe

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Natalia Insidior war eine Frau, deren Macht und Einfluss man wie eine Aura um sie wahrnehmen konnte. Sie strahlte selbst dann Autorität aus, wenn sie mit geknicktem Gesichtsausdruck dasaß und ihr Beileid aussprach. Sie wirkte mit ihrem sonnengoldenen Haar, den honigfarbenen Augen und der schlanken Gestalt wie ein Engel. Ihr Gesicht strahlte Jugendlichkeit aus und ließ doch nicht die beträchtliche Macht vergessen, die diese Frau besaß.

Von Geburt an dazu bestimmt, im Rat zu sitzen und die Geschickte der Emendi zu leiten, besaß Natalia Insidior einen messerscharfen Verstand. Ilka wollte sie sich nicht vorstellen, wenn sie mit den anderen Ratsmitgliedern stritt. Das diese dies oft taten, war in der Stadt schon lange kein Geheimnis mehr.

Dieser Rat bestand aus den mächtigsten Emendi ihrer Welt. Die Nachfolger wurden schon als Säuglinge als diese erkannt – sie besaßen die größten Magiequellen ihrer Generationen. Nur die Träumer waren stärker, doch sie waren gefangen im ewigen Schlaf und mussten diese Welt verlassen, ehe sie alles um sich herum zerstörten.

„Ich bin wirklich untröstlich", versicherte die Ratsfrau nochmals, während die schwebende Teekanne ihre Tasse füllte. Ilka nickte lediglich. „Wir haben bereits die besten Frauen und Männer auf die Suche nach Ihrer Tochter geschickt."

„Danke."

„Nein", sagte Lady Insidior und winkte ab. „Das ist das Mindeste. Es ist unsere Schuld, dass Ihre Tochter aus ihrem Haus entführt worden ist."

Ilka erwiderte nichts darauf, sie wusste nicht was. Sie hatte ein so schlechtes Gewissen, dass ihr regelrecht übel war. Sie hatte geschlafen, während ihre beiden Kinder nur wenige Meter von ihr entfernt in Gefahr geschwebt hatten. Die Tatsache, dass die Einbrecher sie mit Magie betäubt hatten, half ihr nicht. Sie war die Mutter, es war ihre Aufgabe ihre Nachkommen bis zum Letzten zu verteidigen. Und Ilka hatte versagt – schon wieder.

„Haben Sie einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?", fragte sie schließlich. Ihre Hände krallten sich unter dem Tisch in den Stoff ihres Kleides, während sie unruhig auf die Antwort der Ratsfrau wartete.

Natalia atmete tief ein und sagte: „Es sind nichts als Vermutungen."

„Und?", hakte Ilka noch mal nach. Sie würde sich nicht mit dieser seichten Antwort zufriedengeben.

„Nun, es kommen viele infrage. Sie werden sicher verstehen, dass die Träumer für die Menschenwelt unersetzlich sind."

Ilkas Knoten im Magen zog sich fester zusammen. Sie nickte. Ja, daran hatte sie auch schon gedacht. Aber sie hatte Ari nichts davon erzählt, denn sie wollte ihr Kind nicht beunruhigen.

„Allerdings waren es keine Menschen, die ihre Tochter entführten. Meine Mitarbeiter haben mir bestätigt, dass ausschließlich Emendi am Werk waren."

„Aber es gibt so viele Familien, die eine Lösung für die Träumer herbeisehnen. Welcher Emendi würde nicht diesen Fehler bereinigen wollen?" Ilka verstand es wirklich nicht. Die Sicht der Menschen auf die Emendi, was ihren Perfektionismus betraf, war etwas einseitig. Natürlich, sie strebten nach Vollkommenheit und tolerierten Fehler nicht, aber das hatte einen triftigen Grund. Ein Makel bedeutete immer auch Leid, Enttäuschung, Angst oder Verlust. Es konnte nicht immer alles perfekt laufen, aber ein gewisses Maß an Fehlerlosigkeit war angenehm und vermittelte Sicherheit.

Natalia nickte mit ernster Miene. „Diese Frage haben wir uns ebenfalls gestellt. Es ist für meine Ratskollegen und mich unverständlich, dass ein Mitglied unseres Volkes diese einzigartige Gelegenheit zur Befreiung der Träumer zunichtemachen will."

„Ja", sagte Ilka und versuchte sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.

„Keine Sorge Lady Dulciten, Sie werden Ihre Tochter bald wieder in die Arme schließen können", versicherte die Ratsfrau und erhob sich. Ilka folgte ihrem Bespielt und geleitete die jüngere zur Tür.

„Ich danke Ihnen, dass Sie uns persönlich besucht haben."

„Natürlich", versicherte Lady Insidior und lächelte warmherzig. „Ein Bote wird Sie informieren, wenn es Neuigkeiten gibt." Sie hatten den Eingangsbereich erreicht und die Kutsche der Lady fuhr vor.

„Danke", sagte Ilka und meinte es ehrlich. Sie wusste schon jetzt, dass sie keine ruhige Minute verbringen würde. Die Ratsfrau wünschte Silas noch gute Besserung und ging. Als sich die Tür schloss und Ilka in der Vorhalle allein war, gestattete sie sich einen verzweifelten Seufzer. 

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt