34 ~ Keine Manieren

36 4 0
                                    

„Was liest du da eigentlich?", fragte Hanna und spähte über Aris Schulter. Beide Frauen hatten sich nach dem Abendessen in die – nun wieder aufgeräumte – Bibliothek zurückgezogen. Ari hatte nichts gesagt, als Hanna einen Stuhl unter die Türklinke geschoben hatte.

„Ich habe keine Lust auf Besuch von gewissen Leuten", hatte sie gesagt und sich den Büchern gewidmet.

Lorlen war nicht zum Essen erschienen, er hatte durch Abwesenheit geglänzt. Doch Ari hatte Hanna angesehen, dass sie darüber sehr erleichtert gewesen war. Ihre zitternden Hände hatten ihre zur Schau gestellte Gelassenheit Lügen gestraft.

Lächelnd sah Ari von den letzten Seiten der Nymphenmärchen auf. „Das ist ein Buch, das mir Gregoris Großmutter gegeben hat. Sie hat angefangen es mir vorzulesen, als ich noch geschlafen habe."

„Aha", murmelte Hanna und überflog die Seite interessiert. „Worum geht es?"

„Nun", murmelte Ari und klappte das Buch zu. Sie strich über den weichen Ledereinband und lächelte wieder. „Es sind drei Liebesgeschichten."

„Aha." Dieses Mal klang der Ausspruch der Hario nicht interessiert, sondern eher ernüchtert. Hanna setzte sich wieder in ihren Sessel und schlug die Beine übereinander. „Und du glaubst an so was?"

„Nein, natürlich nicht. Nymphen gibt es nicht wirklich."

„Das meinte ich nicht. Sondern das mit der Liebe – glaubst du daran?"

Ari brauchte einige Augenblicke, denn sie dachte darüber nach. Bisher hatte sie sich nicht wirklich mit dem Begriff auseinandergesetzt. Sicher, sie wusste was es war und sie fieberte mit den Frauen in den Märchen mit. Dennoch...

„Welche Liebe meinst du?"

Verwirrt runzelte Hanna die Stirn. „Wie, gibt es da mehrere?"

„Sicher", antwortete Ari und begann aufzuzählen. „Einmal ist da die Agape, das heißt die schenkende Liebe oder Nächstenliebe. Philia ist die Freundesliebe, die gegenseitige Liebe." Ari machte eine kurze Pause. „Und schließlich Eros, die sinnliche Liebe."

Es herrschte einige Augenblicke Stille in dem nach altem Papier riechenden Raum. Schließlich begann Hanna leise zu lachen und hielt sich eine Hand vor den Mund.

„Danke für den Unterricht. Eigentlich wollte ich nur ein einfaches Ja oder Nein."

„Du hast schließlich gefragt", sagte Ari und zuckte mit den Schultern. Über Hannas Gesicht huschte ein Schatten und das Lächeln verschwand.

„Darf ich dich noch etwas fragen?"

„Was denn?"

„Nun... Du und Gregori, seid ihr ein Paar?"

Überrascht blinzelte Ari. Waren sie das denn? Was genau waren eigentlich die Kriterien dafür? Woher sollte sie das wissen?

Hanna bemerkte Aris Verstörung und winkte schnell ab. „Tut mir leid, eigentlich dürfte ich so etwas nicht fragen."

Ari erwiderte nichts darauf, sie wusste keine Antwort.

Manchmal komme ich mir wirklich vor, als hätte ich von nichts eine Ahnung, dachte sie betrübt. Sie würde Gregori fragen müssen.

Ari fühlte an ihrer Seele ein leises, zaghaftes Klopfen. Verwirrt runzelte sie die Stirn – Gregori klopfte nie an. Sinnlos, schließlich war sein Geist mit ihrem verbunden. Das Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie Lorlens Bewusstsein erkannte.

„Lorlen, was ist passiert?", fragte sie, gefasst auf eine mehr oder weniger ausgeprägte Katastrophe. Doch wieder wurde sie überrascht.

„Ist Hanna bei dir?", erkundigte er sich und sah sie dabei emotionslos an.

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt