86 ~ Heimreise

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„Ich habe Simon Bescheid gesagt, dass wir kommen, als wir in Aliquas losgefahren sind", erwähnte Lorlen und schulterte seine Tasche. Ari nickte lächelnd. Ihre Gefühle waren eine verquere Mischung, denn sie schwankte zwischen Angst, Freude und Misstrauen. Angst, weil sie befürchtete jeden Moment von einem der Ratsmitglieder attackiert zu werden. Freude, da sie endlich wieder in die Menschenwelt konnte und Misstrauen, weil alles so scheinbar einfach verlaufen war.

Sanft legte Gregori eine Hand auf ihren Rücken und fragte: „Möchtest du voran gehen?"

„Ja."

Ari wusste, dass es den anderen schwerfallen würde, den Durchgang durch den Fluss aufrecht zu erhalten, je weiter sie sich dem anderen Ufer näherten. Die Magie in der Umgebung würde ständig abnehmen und schließlich komplett versiegen. Ari als Emendi hatte dieses Problem selbstverständlich nicht.

Sie warf einen prüfenden Blick auf Hanna, ehe sie über den Steg zu den Stufen ging. Ihr war nicht entgangen, dass Hanna seltsam still war.

Es ist wohl nicht alles so gelaufen, wie du es geplant hast, sagte eine Stimme in ihrem Kopf.

Am liebsten hätte Ari theatralisch geseufzt. Ihr war es immer noch unbegreiflich, warum sich die beiden so unlogisch benahmen. Ari war sich sicher, dass Lorlen wie auch Hanna dem anderen romantische Gefühle entgegen brachten. Warum also gaben sie es nicht zu?

Darüber kann ich mir später auch noch Gedanken machen, schalt sie sich.

Sie hatte bereits die unterste Stufe erreicht und das Wasser des Flusses leckte an ihren Schuhen. Gewissenhaft begann Ari Magie aus ihrem Inneren und ihrer Umgebung zu einem festen Kokon zu weben, der sie alle vier umschloss. Wie eine Luftblase legte sich diese Schicht um sie und als Ari den Fuß ins Wasser setzte, blieb sie vollkommen trocken. Haltsuchend ergriff sie Gregoris Hand und ging mit sicherem Schritt weiter in den Diacre hinein.

„Du machst das hervorragend", sagte er in ihren Gedanken.

Ari musste lächeln, er hatte gelauscht. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob sie alles richtig machte. Sie hatte so eine Ahnung, dass es nicht ratsam wäre, mitten in diesem Vorgang einen Fehler zu machen. Es war im Prinzip ein sehr einfaches Unterfangen, doch diese scheinbare Leichtigkeit bot eine große Angriffsfläche für Leichtsinnsfehler. Ari würde erst wieder durchatmen können, wenn sie das andere Ufer heil erreicht hätten.

Genau auf der Schwelle der beiden Welten begann sich das Wasser um sie herum dunkler zu färben, wurde fast schlammig braun. Ein eiskalter Lufthauch streifte ihr Gesicht, als sie wieder aus den Fluten auftauchte. Weiße Schneelandschaft und bittere Kälte begrüßten sie, doch das war Ari egal. Ihr Herz jubilierte und sie konnte nicht verhindern, dass sie breit lächelte. Am Ufer sah sie Simon, der mit einem Pferdeschlitten auf sie wartete. Doch Aris fröhliche Miene geriet ins Wanken, als sie die Person neben dem freundlichen Butler erblickte.

Eingehüllt in einen dunklen Mantel stand dort eine hagere Gestalt, deren kupferblondes Haar sich von der weißen Umgebung deutlich abhob. Ari verstärkte ihren Griff um Gregoris Hand, ihre Beine zitterten leicht, als sie die erste Treppenstufe erklomm. Sie wartete, bis auch Lorlen und Hanna aus dem Fluss gestiegen waren, ehe sie die Magie um sie auflöste.

Ihre Stimme klang dünn, als sie sagte: „Sir Adveralsa, was tun Sie hier?"

~

Es erschien ihm wie ein schlechter Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gab. Gregoris Gedanken standen seltsam still, während er sich unbewusst schützend vor Ari stellte und den Emendi nicht aus den Augen ließ.

Das ist nicht gut, dachte er und machte sich auf das gefasst, was unweigerlich kommen würde. Er fühlte Aris Nähe an seinem Rücken und die Besorgnis, die ihre Gedanken umwölkte.

Er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, dass er es nicht schon früher geahnt hatte. Sicherlich, ihm war unwohl bei dem Gedanken gewesen, Ari in die Obhut dieses kühlen Mannes zu geben. Er hätte aber auch nie vermutet, dass eine solch riesige Verschwörung hinter der Existenz der Träumer stand. Gregori wurde abwechselnd heiß und kalt bei dem Gedanken, dass sie doch noch nicht alles unbeschadet überstanden hatten. Morpheus Adveralsa war eindeutig hier, um sie entweder zurück in die Emendiwelt zu bringen oder...

Energisch verbot Gregori sich daran zu denken, denn die Alternative war vollkommen inakzeptabel.

„Willkommen zurück", sagte Sir Adveralsa und lächelte schief. „Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt?"

„Halten Sie uns nicht zum Narren", blaffte Gregori. Wütend funkelte er den Botschafter an. „Sie wissen doch ganz genau, was in der anderen Welt geschehen ist. Was wollen Sie also von uns?"

Ruhig, als würden sie sich lediglich übers Wetter unterhalten, erwiderte der Emendi: „Nun gut, ich wollte lediglich höflich sein."

Jetzt kommt's, unkte Gregori. Innerlich versteifte er sich und ahnte das Schlimmste.

Doch er wurde überrascht, denn es waren keine feindseligen Worte, die der Botschafter aussprach. „Wenn Sie es gestatten, Sir Sileri, würde ich mich gern bei Lady Dulciten bedanken."

„Bedanken?", echote Ari hinter ihm verwirrt.

Der Emendi nickte mit ernster Miene. Prüfend glitt Gregori zu seinem Geist, entdeckte jedoch keine Lügen.

Außer, er versteckt sie sehr geschickt, dachte er.

Ungeachtet von Gregoris unhöflichem Interesse erklärte Sir Adveralsa: „Ich versichere Ihnen, dass ich keine Ahnung von den Machenschaften des Rats hatte. Mir wurde ganz schlecht, als ich vor wenigen Minuten die Nachricht erhalten habe, die Sie in meiner Welt verbreitet haben."

Sein Gesicht wurde mit einem Mal fahl und er schien vor ihren Augen um Jahre zu altern. „Sie müssen wissen, ich habe einen zwölfjährigen Sohn. Ich bin Botschafter in diesem Teil des Landes geworden, um ihm nahe zu sein, denn er ist ein Träumer."

Ari keuchte hinter ihm erstickt und er konnte ihre Bestürzung fühlen.

„Ich möchte Ihnen also meinen ganz besonderen Dank aussprechen und Ihnen versichern, dass ich Sie in jedem Fall unterstützen werde sollten Sie Probleme haben."

Sollte der Rat sich an uns rächen wollen, dachte Gregori.

Er war sich sicher, dass Sir Adveralsa dieselben Überlegungen zu seinem Angebot getrieben hatten. Es war ihm unwohl bei dem Gedanken, doch er glaube diesem Mann.

„Sie brauchen mir nicht zu danken." Ari trat hinter ihm vor. „Dennoch werde ich auf Ihr Angebot zurückkommen, sollte es nötig sein."

Sir Adveralsa nickte und Gregori meinte, einen Stein von dem Herzen des Emendi fallen zu hören. „Ich werde Sie nun nicht länger aufhalten."

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stieg er auf den kleinen Schlitten und gab seinem Kutscher das Zeichen zur Abfahrt.

„Das war seltsam", murmelte Hanna und sah dem Mann hinterher.

„Ja, aber ich denke er hat die Wahrheit gesagt", stimmte Lorlen ihr zu. Zitternd lehnte sich Ari an Gregori und erst jetzt bemerkte er, dass sie alle in ihren Sommerkleidern hier in der winterlichen Kälte standen. Da die Situation sich entschärft hatte, kam Simon auf sie zu und hüllte beide Frauen in zwei dicke Decken.

„Hallo Sir", sagte er zu Lorlen. Der Butler winkte den Kutscher herbei, damit sie gemeinsam das Gepäck aufladen konnten. 

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt