85 ~ Nach dem Sturm

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Es fühlte sich an wie die Ruhe vor einem gewaltigen Sturm. Hanna bildete sich ein, in der Stille selbst den Herzschlag ihrer Begleiter hören zu können.

Nein, du Närrin. Das ist dein eigenes Herz, das so laut gegen deine Rippen hämmert.

Sie schluckte trocken. Durch Aris Enthüllung war ihr ganz schlecht geworden. Sie hatte immer einen Träumer gewollt, war wütend auf ihren Zunftmeister gewesen und hatte sich ungerecht behandelt gefühlt. Doch wenn sie jetzt noch einmal darüber nachdachte, wollte sie keinen Träumer mehr – nicht zu diesem Preis.

Schritte wurden hinter ihnen laut und Hanna sah sich um. Mehrere Männer kamen herbeigerannt, die Gesichter zu düsteren Mienen verzogen. Gemurmel wurde unter den Ratsmitgliedern laut und Hanna fühlte die Schwingungen von angewandter Magie in der Luft. Die Wachen waren aus ihrer Starre befreit und traten ebenfalls in den Saal.

Ein breitschultriger Mann mit bereits schütterem Haar blieb vor ihnen stehen, seine Augen waren auf Ari gerichtet.

Unvermittelt machte er eine tiefe Verbeugung und sagte: „Lady Dulciten, wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet."

Ari nickte lediglich, während sich der fremde Emendi wieder aufrichtete.

Das ist alles zu einfach, dachte Hanna verwirrt.

Warum waren die Ratsmitglieder so still und saßen weiter auf ihren Stühlen? Eigentlich hatte Hanna erwartet, dass sie aufspringen würden um zu fliehen oder wenigstens alles abzustreiten. Sie waren – abgesehen von Ari – die mächtigsten Personen in diese Welt.

„Sie können uns nicht ewig festhalten", zischte Lady Insidior. Erst jetzt bemerkte Hanna, dass immer noch Magie in ihrer Nähe angewandt wurde. Ein Blick zu Ari, deren Stirn mit einem dünnen Schweißfilm bedeckt war, brachte ihr die Antwort: Ihre Freundin verhinderte, dass sich der Rat rührte. Welch große Anstrengung es für sie war, fünf mächtige Emendi bewegungsunfähig zu halten, konnte Hanna nur ahnen.

Der Mann trat vor, mit ihm seine Begleiter und die Wachen. „Sie können sich glücklich schätzen Lady, wenn wir Sie lediglich gefangen halten." Mit einem Kopfnicken gab er den bewaffneten Männern zu verstehen, die fünf festzunehmen. Sobald deren Hände hinter dem Rücken gefesselt waren, ließ das Summen in der Luft nach und Ari atmete erleichtert aus. Scheinbar genügte nun die schwächere Magie der Wachen, um die Gefangenen an Ort und Stelle zu halten.

Sanft legte Gregori einen Arm um Ari und stützte sie.

Der Emendi bemerkte es und sagte: „Sie können gehen, wenn Sie es wünschen."

Ilka hatte Recht, es ist wirklich nicht mehr unsere Angelegenheit, dachte Hanna, während sie sich verabschiedeten und gingen.

Wieder herrschte drückendes Schweigen zwischen ihnen und Hanna fühlte sich versucht, einfach zu schreien. Sie kam sich so schrecklich unnütz vor, wie das fünfte Rad am Wagen. Alle drei hatten sie etwas zur Lösung dieser Situation beigetragen, aber sie... Hanna biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, um nicht frustriert aufzustöhnen. Es wurde Zeit, dass sie wieder in die Menschenwelt kam, wo sie vielleicht zu etwas nützlich war.

Während sie zu der Kutsche gingen, kamen ihnen immer wieder Männer und Frauen entgegen gerannt, die ganz offensichtlich zu den fünf Emendi wollten, die solches Leid über ihr Volk gebracht hatten. Aber Hanna sah ihre düsteren Gesichter nicht wirklich, denn sie war mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Was würde nun geschehen? Würde es je eine Möglichkeit geben, alle Träumer wieder aufzuwecken? Oder war Ari tatsächlich ein Einzelfall?

Ehe sie es sich anders überlegen konnte, sprach sie ihre Frage laut aus.

Till I Wake UpWo Geschichten leben. Entdecke jetzt