Es war, als würde Hanna eine riesige Last von den Schultern genommen, als die Conex endlich das Haus verließen. Augenblicklich konnte sie freier atmen und hatte nicht ständig das Gefühl, jeden Moment zu einem kläglichen Häufchen Elend zusammen zu brechen – nun ja, zumindest nicht schon wieder. Ihr war mulmig zumute, als sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. Nur ein Dummkopf hätte nicht gesehen, dass sie geweint hatte. Ihre Augen waren leicht zugeschwollen und sie konnte beim besten Willen kein fröhliches oder zumindest emotionsloses Gesicht machen.
Aber ihr Aussehen war nicht die treibende Kraft dahinter gewesen, dass sie heute Morgen die Tür abgeschlossen und zur Sicherheit noch einen Stuhl unter die Klinke geklemmt hatte. Ihre blasse Gesichtshaut war nicht der Auslöser für die Lüge gewesen, mit der sie Gregori und Lorlen abgespeist hatte. Nein, es ging ihr eher um ihren verletzten Stolz. Lorlen hatte es wieder äußerst eindrucksvoll geschafft, sie bis zum Letzten zu blamieren, bloßzustellen und zu demütigen.
Jetzt, da sie gegangen waren, konnte sich Hanna aus ihrem Zimmer trauen. Sie wäre gern mit auf die Suche nach Ari gegangen, doch sie sah die Sache realistisch. Sie konnte den Männern nicht helfen, denn sobald sie Magie in ihr Innerstes gelassen hätte, hätte sie ihre Visionen nicht kontrollieren können. Außerdem wäre es nur hinderlich, wenn sie sich wieder mit Lorlen stritt. Nein, es war wirklich gut so, dass sie hierblieb.
Ihr Magen knurrte laut.
Hoffentlich komme ich für das Frühstück nicht ganz zu spät, dachte sie und schlüpfte aus dem Raum. Das Haus der Familie Dulciten war groß, geräumig und sehr geschmackvoll eingerichtet, fast so wie bei Warren. Doch hier fühlten sich die Räume anders an, während Hanna durch den Flur, die Treppe hinunter und auf den Gang zum Speisezimmer ging. Es fühlte sich... lebendig an, als würde hinter der nächsten Ecke eine riesige Horde von Kindern über sie herfallen.
„Guten Morgen, Lady Filimet."
„Oh Gott", keuchte Hanna und presste sich eine Hand auf ihr Herz, das sich nicht entscheiden konnte, ob es stehen bleiben oder wie verrückt schlagen sollte. Sie drehte sich um und blickte direkt in Ilka Dulcitens hellgrüne Augen, die sie freundlich ansahen.
„Tut mir leid, habe ich Sie erschreckt?"
„Ein wenig."
„Ich wollte gerade nach Ihnen sehen. Die Herren meinten, Ihnen wäre heute nicht wohl."
Verlegen wandte Hanna den Blick ab. „Nun... Es ist schon besser."
Am liebsten hätte sie sich unter dem prüfenden Blick der anderen Frau gewunden. Hanna wusste, dass Lady Dulciten eine besondere Begabung hatte, hinter die Fassaden zu blicken.
Jedoch ging sie nicht weiter auf Hannas vorgetäuschte Beschwerden ein, sondern fragte freundlich: „Ich wollte gerade in den Garten gehen. Möchten Sie mir Gesellschaft leisten?"
„Nun, eigentlich", setzte Hanna an und sah sehnsüchtig zum Esstisch hinüber.
„Sie können Ihr Frühstück auch im Freien einnehmen. Unserer Köchin ist es eigentlich egal, wohin sie das Tablett fliegen lässt."
„Danke", sagte Hanna und brachte ein Lächeln zustande.
~
Hanna seufzte zufrieden und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
„Ich muss sagen, dass ich Sie um das Wetter ehrlich beneide", sagte sie und blickte zu ihrer Gastgeberin hinüber.
„Ja, es ist wirklich schön, aber auch eintönig. Es ist nichts Besonderes mehr, wenn man ständig Sommer hat."
„Der Rat sorgt dafür, nicht wahr?"
Ilka nickte. „So ist es. Sie nutzen das Magiedepot unter der Stadt dafür."
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Till I Wake Up
FantasyEin Fluss verbindet zwei Welten miteinander - die der Menschen, in der Magie Mangelware ist, und die der Emendi, die vor Magie gerade so strotzt. Um auch in ihrer Welt Magie zu wirken behelfen sich die Menschen mit sogenannten Träumern: Emendi, die...