Kapitel dreiundsiebzig

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Mein Kopf war leer. Es fühlte sich an, als wäre sämtliche Blutzufuhr gestoppt. Ich konnte nur sehen was da passierte, aber mein Körper reagierte nicht darauf.

Harry auf einer Liege. Er blutete. Stark. Ärzte schreiten etwas durch die Gegend. Jemand saß auf ihm und drückte seine Hand fest auf seinen Bauch. Er war bewusstlos. Die Leute standen alle auf, um ihn anzuschauen. Ein immer lauter werdendes piepen.

So viele Dinge passierten um mich herum und ich bekam es kaum mit. Wer weiß wie lang ich da stand und einfach nur paralysiert auf Harry starrte. Ich wurde erst wieder richtig zurück in mein Leben gerissen, als mich jemand von hinten anrempelte. Ich viel ein paar Schritte nach vorne und konnte mich gerade so halten. Ich blickte hinter mich und sah gerade noch so wie ein Arzt an mir vorbei rannte. Ich drehte mich wieder nach vorne doch Harry war weg. Ich schaute mich panisch um und erkannte dann eine Schwungtür durch die gerade mehrere Ärzte verschwanden.

Es dauerte lange bis mein Hirn richtig schaltete und ich war mir sicher das ich aussah wie irgend so ein Spinner, da die Leute mich schon komisch beäugten. Ohne nochmal kurz darüber nachzudenken rannte ich Richtung Tür, durch die Harry gerade verschwunden war. Ich kümmerte mich nicht um das Schild auf dem stand das nur das Personal diesen Abteil betreten darf und auch nicht um die folgen die im Zusammenhang mit dem durchschreiten dieser Tür eintreten würden.

Ich schaffte es fast bis zur Tür als ein Mann mich 1 meter vor der Tür packte und Hilfspersonal um mich herumschwirrte. Sie sagten alles immer wieder das nur Ärzte diesen Flur betreten dürften, doch um zu antworten war ich viel zu beschäftig, damit mich aus dem festen Griff der Security zu befreien.

„Nein!! Lasst mich da durch. Ich muss da jetzt rein." schrie ich und mir kamen langsam aber reichlich die tränen.

„Beruhigen sie sich. Mr. hören sie? Sie müssen sich beruhigen." probierte mich jemand zu besänftigen, doch ich hatte keine Ahnung woher die Stimme kam.

„Nein ich muss da rein. Ich muss zu HARRY." schrie ich einfach weiter. Meinem Gehirn schien es gerade nicht möglich, zu verstehen, das ich mein Ziel wahrscheinlich schneller erreichen würde, wenn ich aufhören würde mich zu währen, aber gerade war die Sorge um Harry und die immer größer werdende Gewissheit das das hier alles meine Schuld war, wichtiger.

„Sind sie ein angehöriger?" fragte eine Arzthelferin in meiner nähe. Ich war total neben der spur und konnte gerade die einfachsten Sachen nicht verstehen, oder gar beantworten.

„Wir sollten ihn beruhigen." schlug jemand in meiner nähe vor und ich vernahm zustimmendes grummeln. Kurz darauf spürte ich einen kleinen Schmerz der durch meinen Unterarm jagte und augenblicklich wurde das treten und schreien schwerer. Der Security-Mann hielt mich zwar immer noch fest, aber drückte nicht mehr unangenehm zu. Ich fühlte mich auf einmal so schwach und es viel mehr schwer die Augen offen zu halten.

Ich ließ mich auf den Boden sinken und vergrub meine Gesicht in meinen Händen. Vielleicht war ich jetzt ruhiger, aber das machte keine meiner Gefühle weniger intensiv. Bevor ich und Harry auf anderen wegen zueinander fanden, war er nicht in Gefahr. Ohne mich würde er da jetzt nicht drin liegen und... in Lebensgefahr schweben, oder- oder bereits...

„Wie viel habt ihr ihm denn verabreicht? Der steht ja nicht mal mehr." wollte eine Männerstimme verwirrt wissen.

„Nicht so viel. Zumindest nicht so viel das er einschlafen oder das Bewusstsein verlieren sollte." erklärte eine weibliche ebenso verdatterte stimme.

„Ich glaube nicht das es am Morphium liegt. Seht ihn euch doch mal an. Das ist alles rein psychisch."

„Okay, Sir? Sind sie ein angehöriger des Patienten?" fragte mich jemand erneut und ich wollte am liebsten wieder anfangen zu schreien, doch mein Körper fühlte sich einfach zu müde dafür.

„Nein, ich... ich muss trotzdem zu ihm." sagte ich erschöpft und schaute wie paralysiert auf eine Wand in der nähe. Meine Augen brannten vom Weinen und ich sah sicher aus wie ein Häufchen elend, was man vergessen hatte wegzukehren.

***

Es verging eine lange Zeit bis ich zu ihm konnte. Mir wurde versichert die OP würde sich um Stunden handeln und ich sollte wenigstens kurz Nachhause gehen. Und das tat ich... wenn auch nur für 10 Minuten, in dem ich duschte und mich umzog. Dann raste ich zurück zum Krankenhaus, holte mir unterwegs noch schnell etwas zu essen und saß schließlich wieder im Wartezimmer. Gerne wäre ich auch zu meiner Mum gegangen, doch die schlief gerade und ich wollte sie nicht stören.

Also verbrachte ich die zeit im Wartezimmer damit, mir die schlimmsten Szenarien auszudenken, was passiert sein könnte. Alle Psychologen der welt würden jetzt sicher gerne in mein Hirn schauen und zu sehen was da drin so abging. Ich wurde richtig kreativ von ‚Das war mit Sicherheit ein geplantes Attentat' bis hin zu ‚Was ist wenn er ausgerutscht ist und in ein Messer gefallen war?'. So sinnlose Sachen bildeten sich und jede schien ihr realistisches zu haben, aber auch ihr verrücktes.

Ich dachte mich schließlich so wirr, das ich es einfach nicht mehr aushielt. Ich ging nach vorne an die Rezeption und wurde sofort genervt angeguckt. Ich kam garnicht dazu etwas zu sagen da schnitt sie mir schon das Wort ab.

„Wie schon die letzten 7 mal: nein die OP ist noch nicht vorbei, ich habe keine weiteren Informationen über den weiteren verbleib ihres Freundes und ja, der Vater ist bereits informiert." zählte die Frau am Empfang auf und ich drehte mich enttäuscht wieder um. Hoffentlich war die nicht zu allen hier so. Nen wirklicher Sonnenschein war sie ja nicht.

Es wunderte mich das Harrys Vater nach nicht aufgekreuzt war, aber ich kannte die gründe nicht und wahrscheinlich gab es auch einen triftigen Grund, nicht sofort alles stehen und liegen zu lassen wenn der eigene Sohn im Krankenhaus lag. Was redete ich da? Natürlich rannte man dann los und machte sich keinen Gedanken um irgendwas anderes. Ich würde das zumindest machen wenn es um meinen Sohn ging. Auch wenn ich mir eigentlich lieber eine Tochter wünschte.

„Mr. Tomlinson, mit ihnen hätte ich hier nicht gerechnet." begrüßte mich Dr. Forbes und kam mit einem lächeln auf mich zu. Ich stand der Höflichkeit wegen, wenn auch ein wenig nervös auf. Konnte man aus einem Krankenhaus rausgeschmissen werden, weil man nervte?

„Ich- also ich... mein Freund- ein Freund wurde vor 2 stunden und 34 Minuten eingeliefert und ich schaffe es nicht Nachhause zu gehen. Leider sagt mir hier aber niemand was mit ihm los ist und wie es ihm geht." erkläre ich und sagte den letzten Satz etwas lauter und guckte mit Augen wie schlitzen zu der Empfangsdame, die nur die Augen rollte.

„Oh, das tut mir sehr leid. So viel Pech muss man erstmal haben- also, nein. Ich meine es wird bestimmt alles gut. Möchten sie mir vielleicht den Namen ihres Freundes sagen? Ich könnte nachgucken ob es über ihn schon etwas gibt." schlug sie vor und ich stimmte eifrig zu. Ich nannte ihr den Namen und die Informationen über seine Verletzung die ich vorhin kurz aufschnappen konnte. Sie suchte dann kurz in ihrem Computer und fand auch kurz darauf seinen Eintrag. Jedoch war noch nichts weiteres zu ihm vermerkt, außer das er eben schwere Stichwunden hatte.

***

Ganze drei weitere Stunden vergangen, in denen ich nichts erfuhr. Zwischendurch war ich kurz bei Mum und verbrachte ein wenig Zeit mit ihr. Das mit Harry verschwieg ich ihr. Ich weiß nicht wieso, aber mir stand gerade nicht der Sinn danach davon zu erzählen.

Und dann endlich kam die Nachricht, das die OP gut verlaufen sein und ich ihn bald sehen konnte. Doch Harrys Vater war noch immer nicht hier.

Why? {L.S.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt