„Wie kann ich denn so blind gewesen sein?", fragte ich Elias, nachdem wir in seiner Wohnung angekommen waren. Immerhin war Marie meine beste Freundin, mit der ich täglich zusammenarbeitete und mit Karl teilte ich mir die Wohnung. Wie konnte mir bloß entgangen sein, dass zwischen den beiden etwas lief? „Vielleicht stimmt es ja auch gar nicht, war ja nur eine Vermutung von mir", relativierte Elias, doch ich erinnerte ihn nochmal an die eindeutigen Anzeichen. „Egal, wir sollten über uns reden... Ich wollte mich für mein Verhalten gestern entschuldigen", begann ich zu sprechen. „Ich bin derjenige, der sich entschuldigen sollte. Ich habe mich wichtiger genommen als ich bin. Und ich habe dir damit deinen Geburtstag versaut. Glaub mir, das ist das letzte, was ich wollte", setzte mein Freund sofort entgegen. „Ich hatte trotzdem Spaß. Schade, dass du nicht mehr da warst am Ende", meinte ich. „Habe ich was Spannendes verpasst?", fragte Elias interessiert. Ich rang mit mir selbst, ob ich von dem Kuss erzählen sollte. Letztendlich sagte ich aber nur: „Wir haben Wahrheit oder Pflicht gespielt. Du hast einen heißen Kuss zwischen deinen beiden Mitspielern verpasst." „Sag bloß", lachte Elias und wollte wissen, von welchen beiden Mannschaftskollegen ich sprach. Ich löste auf: „Karl und Eric. Ich glaube nur, Eric fand diese Aktion nicht so geil. Er hat danach ziemlich schnell die Flucht ergriffen und ist gegangen." „Wie witzig!", feierte Elias diese Aktion und fing schon an zu bereuen, dass er so früh ins Bett gegangen war.
Vielleicht wäre es besser gewesen, er wäre bis zum Ende geblieben. Dann wäre auch er Teil der Kuss-Challenge geworden. Aber so hatte ich weiterhin Bedenken, dass er mich dafür verurteilen könnte - insbesondere aus dem Grund, dass die Aufgabe von mir gestellt wurde. Wäre es von Eric, Karl oder Marie gekommen, hätte ich wahrscheinlich deutlich weniger Hemmungen, es meinem Freund zu erzählen. Doch so behielt ich die vollständige Wahrheit zunächst weiterhin für mich.
„Ich bin richtig müde", meinte ich zu Elias. „Ich auch. Wollen wir ins Bett gehen und noch ein bisschen kuscheln?" Ich nickte und ergänzte: „Aber auch nur kuscheln. Für Sex habe ich heute echt keine Kraft mehr." „Geht mir genauso!"
...
„Marie!", überfiel ich meine beste Freundin am Montag auf der Arbeit. Skeptisch schaute sie mich an. „Willst du mir vielleicht was sagen?", fragte ich gespannt. „Äh, nein", hielt sie sich bedeckt. „Wie lange warst du noch da am Samstag?" „Warum fragst du? Hat Karl irgendwas gesagt?" Ich merkte, dass sie etwas panisch wurde. Mir gefiel es, sie ein wenig zu provozieren. Nach ihrem Verhalten in den letzten Wochen hatte sie das auch ein bisschen verdient. „Hätte Karl mir denn was sagen sollen?", stichelte ich weiter. Sie war inzwischen knallrot angelaufen. Ich glaube, ich hatte meine Antwort damit schon. „Wie war der Kuss mit Karl?" Ich gebe zu, ich konnte es einfach nicht lassen. Ich hatte langsam Gefallen an der Sache gefunden. Marie druckste herum: „Kuss? Welcher Kuss? Ich weiß nicht, wovon du sprichst? Mit Karl?" „Baby, wir haben ihn doch alle geküsst, oder hast du das Spiel schon wieder vergessen?", grinste ich und zwinkerte meiner Freundin zu. „Das Spiel, natürlich. Wie konnte ich das nur vergessen? Ja, äh, der Kuss. Ja, war halt ein Kuss. Ich meine, äh, ja, jetzt nichts Krasses." Marie war völlig aus dem Konzept. Sie kramte in irgendwelchen Schubladen herum, obwohl sie gar nichts suchte. Das war reines Ablenkungsmanöver. „Ach ja, Karl ist eigentlich ja ein Süßer", überlegte ich weiter und wartete ihre Reaktion ab. „Karl? Ähm, ja", stotterte sie verlegen. Ich hatte sie sowas von erwischt. Sollte ich sie erlösen?
Die Frage wurde mir genommen, da wir Kundschaft bekamen. Vielleicht für Marie in der jetzigen Situation das beste. Sie wirkte noch kurzzeitig neben der Spur, bewahrte dann aber ihre Professionalität und erledigte ihren Job so gut wie immer. Trotzdem machte sie weiterhin auf mich einen sehr nervösen Eindruck. Sie ließ es sich vor unseren Kunden zwar nicht anmerken, aber ich kannte sie dafür einfach zu gut.
„Karl und ich haben miteinander geschlafen", lüftete sie kurz vor der Mittagspause das große Geheimnis. Jetzt war ich kurzzeitig überfordert, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass sie ohne Nachfrage nochmal auf dieses Thema zu sprechen kam. Überrascht hatten mich ihre Worte trotzdem nicht. Jetzt war ich aber mehr als neugierig auf die Details. „Ja, das war eigentlich eine ganz zufällige Geschichte. Naja. Zufall ist das falsche Wort. Egal, soll ich erzählen?" „Bitte, ich bin wahnsinnig neugierig", gab ich ihr zu verstehen.
„Du warst mit Elias auf den Faeöer Inseln. Karl war hier in Kiel und er war alleine in der WG. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, aber ich habe dir doch wegen dem Laptop-Kabel geschrieben. Du meintest, ich soll einfach kurz bei euch in der WG vorbeischauen. Aus kurz vorbeischauen sind ehrlich gesagt drei Tage geworden." „Was?!", unterbrach ich lachend und sprachlos zugleich. Ich war überhaupt nicht sauer oder eifersüchtig, im Gegenteil, ich war wirklich daran interessiert. Marie fuhr fort: „Karl war grad am Abendessen und hat mir dann auch sofort was angeboten. Da ich echt Hunger hatte, habe ich mitgegessen. An das Kabel hatte ich schon gar nicht mehr gedacht. Wir haben uns beim Essen ein wenig verquatscht, wir haben viel über euch geredet und Karl hat mir im weiteren Verlauf des Abends, nachdem wir auch beide etwas Alkohol intus hatten, von seinen Gefühlen für Elias erzählt."
Gerade kam ich nicht so ganz mit. Karl erzählt Marie, dass er was für Elias empfindet und landet dann mit ihr im Bett?!
„Ich war in dieser Nacht um halb zwei daheim. Mit einem guten Gefühl muss ich gestehen und Karl hatte mir sogar noch eine Nachricht geschrieben. Am nächsten Tag hat er nach dem Training im Studio vorbeigeschaut, ich habe mich wieder an das Kabel erinnert und so bin ich wieder in eurer WG gelandet. Wieder haben wir lange geredet, diesmal ging es um seine Sexualität. Er hat mir offen erzählt, das er Männer und Frauen lieben kann. Er hat die ein oder andere Geschichte aus seiner Vergangenheit ausgegraben. Es lag schon so eine gewisse sexuelle Spannung in der Luft und naja, dann ist es halt passiert." Marie schaute peinlich berührt aus dem Fenster. „Ach krass, ich hab's gar nicht gecheckt. Elias hat mich am Samstag erst auf die Idee gebracht, dass da irgendwas laufen könnte. Ich bin grad völlig perplex. Wie konntet ihr beide denn das so lange geheimhalten?", fragte ich. „Das ist einfach erklärt. Ich habe zwei Nächte bei Karl verbracht, dann sind du und Elias wieder heimgekommen und damit war unser Kontakt auch erstmal auf Eis gelegt. Dein Mitbewohner und dein Freund haben dann ihr klärendes Gespräch geführt, danach war Karl ja sowieso ziemlich down und hat auch nicht mehr auf meine Nachrichten reagiert. Das erste Mal haben wir uns wieder gesehen, als er dich zum Essen abgeholt hat. Deshalb war ich auch so komisch drauf in dieser Situation, ich wusste einfach nicht, wie ich mich vor ihm verhalten sollte. Der absolute Horror war ja dann, als wir am nächsten Tag alle drei zusammen im Auto saßen als wir zum Shooting gefahren sind. Am meisten abgefuckt hat mich in dem Moment diese Arroganz und Kälte von ihm, als würde er mich überhaupt nicht kennen. Das hat mich richtig verletzt", erzählte Marie niedergeschlagen. „Und ich dachte immer, es würde an mir liegen", seufzte ich. Trotzdem hatte sie meine Beziehung zu Elias schlecht geredet und nach diesem Statement verstand ich ihre Warnungen noch weniger. Ich konfrontierte sie damit. Sie rang mit den richtigen Worten. „Wie soll ich das bloß erklären? Sagen wir es so... Am Anfang war es für uns beide Spaß. Weißt du, wie lange ich kein Sex mehr hatte? Wir hatten einfach beide Bock. Ich wusste ja, dass Karls Herz noch immer für Elias schlug, nur leider habe ich dann nach ein paar Tagen gemerkt, dass... naja... dass mein Herz anfing, für Karl zu schlagen. Ich konnte es ihm in der Situation nicht sagen. Das wäre egoistisch gewesen, also habe ich es für mich behalten und mir mit angeschaut, wie er völlig gleichgültig damit umgeht. Ich wollte es mir selbst ausreden, dass ich nichts für ihn empfand, indem ich mir sämtliche Gründe aufgezählt hatte, weshalb eine Beziehung mit einem Profihandballer von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Am Ende habe ich trotzdem egoistisch gehandelt, weil ich von dir die Bestätigung haben wollte. Ich habe versucht, irgendwelche nicht dagewesenen Beziehungsprobleme bei euch herauszukratzen und das nur, damit ich mich besser fühlte. Es tut mir leid, das war alles andere als fair." Marie biss nervös auf ihrer Unterlippe. Sie kämpfte mit den Tränen. Ich allerdings auch. Ihre Worte trafen mich sehr, sehr hart. Ich hatte in dieser Zeit so gelitten, hatte mich deswegen sowohl mit Karl als auch mit Elias gestritten. War ihr eigentlich bewusst, was sie mit ihrem Verhalten angerichtet hatte? „Vanessa, es tut mir so leid. Ich wollte das doch gar nicht", wimmerte sie und schaute mich dabei an. Jetzt heulten wir beide. Schnell schloss ich die Türe von unserem Laden ab, sodass wir keinen unerwünschten Besuch bekämen.
„Ich bin gerade schockiert", teilte ich meiner besten Freundin mit. Die anfängliche Freude war verschwunden. Die Mittel, die sie eingesetzt hatte, waren nicht in Ordnung - vor allem, wenn sie letztendlich offensichtlich nichts bewirkt hatten. Denn wie es schien, hatten sich die beiden aufgerafft, sonst hätten sie nicht das ganze Wochenende miteinander verbracht. Maries falsches Spiel hatte ihr nichts gebracht, dazu hatte sie meine Beziehung zu Elias in ernsthafte Gefahr gebracht und dabei auch noch ein paar Freundschaften aufs Spiel gesetzt.
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Sweet Lies
FanfictionEine Beziehung, die bereits auf einer Lüge aufbaut, kann keine Zukunft haben. Das weiß auch die 23-Jährige Vanessa, doch der Reiz und die Versuchung ist größer. Sie kann einfach nicht widerstehen, auch wenn sie genau weiß, dass ihr Verstand etwas An...