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„Vanessa, du bist völlig abwesend", teilte mir Sven nach dem Essen mit. Traurig senkte ich meine Mundwinkel. „Mir geht die Sache mit Marie nach... beziehungsweise das, was ihr vorhin gesagt habt. Vielleicht wäre eine Konfrontation sinnvoller", überlegte ich. „Also den Begriff Konfrontation würde ich jetzt vielleicht nicht unbedingt nehmen", lachte Magnus und ergänzte: „Es geht nicht darum, dass du sie mit irgendwelchen Vorwürfen konfrontierst, sondern ihr einfach deine Gefühle schildest, ihr sagst, wie es dir gerade geht. Ich glaube, das würde schon helfen." „Das hat Karl gestern auch zu mir gesagt", erwiderte ich und merkte dann erst, dass die Aussage Elias gegenüber nicht ganz so toll war. „Warum redest du nicht mit mir darüber?", fragte er prompt. Das hatte ich nicht gewollt.

„Wir haben uns nicht gesehen", redete ich mich heraus. Mehr oder weniger entsprach es ja sogar der Wahrheit. „Aber ich bin dein Freund", setzte er einen drauf. Eric kicherte: „Scheinbar verbringt ihr ja doch nur Zeit mit der einen Sache." Magnus blickte erst etwas verwirrt drein, da Erics Blicke aber eindringlich waren, verstand der Däne schnell, worauf sein Mannschaftskollege anspielte. „Ich habe doch auch nur mit Vanessa drüber geredet, weil ich es gestern direkt mitbekommen habe. Sonst hätten wir vielleicht auch nicht gesprochen", verharmloste Karl die Situation. Elias war trotzdem geknickt. „Wäre es nicht sinnvoller, über Lösungsvorschläge zu sprechen, anstatt darüber nachzudenken, weshalb nicht alle auf dem gleichen Stand sind?", mischte sich Magnus nochmal ein. Ich mochte ihn. Mit ihm konnte man auf der einen Seite Spaß haben, auf der anderen Seite brachte er eine notwendige Ernsthaftigkeit mit sich. Er sah die Dinge nüchtern und realistisch. „Reden!", schlug Sven wieder vor. „Hab ich schon versucht", sagte ich, „zumindest weiß ich, dass sie über die betroffene Thematik eine klare Meinung hat und davon nicht leicht abzubringen ist." „Dann ist es schon schwieriger", urteilte Eric. „Ich finde, sie mischt sich aktuell zu viel in mein Privatleben ein", präzisierte ich. „Aber dann sind wir doch genau an dem richtigen Punkt angekommen", meinte Magnus, „Du sagst ihr genau das. Also, dass es dir aktuell zu viel wird, dass du dich eingeengt fühlst, irgendwie in die Richtung. Ich denke, damit kommt ihr schon mal weiter. Und sie hat das Recht, das zu wissen." „Sie will ja nur das beste für mich", nahm ich Marie wieder in Schutz. „Und das gibt ihr den Freifahrtschein, über dein Leben zu bestimmen?", fragte Magnus sehr direkt. Ich seufzte: „Natürlich nicht. Ich habe nur Angst, dass sie recht hat."

„Nein!", setzte Karl dem Ganzen ein Ende, „Ich weiß nicht jedes Detail, aber ich kann eins und eins zusammenzählen. Elias ist gut für dich, glaub mir."

Wow. Erstens hatte ich mit diesen Worten nicht gerechnet, zweitens nicht von ihm. Woher wusste er das? „Vanessa, ich kenne dich von allen anwesenden Personen hier am längsten. Ich weiß auch, was vor Elias war und welche Rolle Marie damals in deinem Leben gespielt hatte. Du bist nicht mehr der Mensch von damals." Am Tisch war es still geworden. Bis auf Karl und ich wusste keiner, wovon hier gerade die Rede war. Natürlich spielte er auf die Zeit in Montpellier an – die Zeit nach meiner Trennung von Maurice. Ich hatte Vollgas gegeben, war nur am Feiern. Es war meine Art, die vierjährige Beziehung zu meinem Ex-Freund zu verarbeiten. Ich hatte Karl damals schnell erzählt, was ich hatte durchmachen müssen und was für eine große Unterstützung Marie für mich war, weil sie mir damals die Augen geöffnet hatte. Aber er hatte recht – ich war nicht mehr der Mensch von damals.

„Ich gehe kurz an die frische Luft", meinte Elias plötzlich und stand auf. Er schnappte sich seine Jacke. Ich wollte ihm schon hinterhergehen, doch Karl hielt mich zurück. Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und meinte: „Warte! Gib ihm ein paar Minuten alleine, dann kannst du rausgehen." Eric, Magnus und Sven fanden langsam auch wieder zu Worten – diese richteten sich aber offensiv gegen Karl. „War das notwendig?", wollte Magnus wissen. „Was denn?" Karl blieb ahnungslos. Entweder war es eine ganz linke Masche, die er da eben abgezogen hatte, um einen Keil zwischen Elias und mich zu treiben, oder er hatte es wirklich ohne Nachdenken gemacht.

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt