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Ich fand immer mehr Gefallen an der ganzen Sache. Immer wieder versuchte ich mir zwar ins Gewissen zu rufen, dass ich vergeben war und einen Freund hatte, aber schlussendlich hatte - zumindest heute - der Teufel auf meiner Schulter gesiegt. Ich war der Versuchung und der Lust verfallen und lag jetzt in Karls Bett. Sein Handtuch hatte er schon auf dem Weg verloren, ich trug nur meine Schlafsachen, doch auch die waren schnell ausgezogen. Karl holte ein Kondom aus seiner Nachttischschublade heraus und zog es sich über. Wir küssten uns weiter und dachten beide keine Sekunde daran aufzuhören.

Mein Mitbewohner beugte sich über mich und schon spürte ich sein Glied in mir. Er füllte mich komplett aus, ließ mich alles vergessen und brachte mich zu einem wunderbaren Orgasmus.

Tiefenentspannt lag ich in seinem Armen. Wir beide schwiegen. Ich ging davon aus, dass auch er über die aktuelle Situation nachdachte. Ich hatte mit der Aktion eben meinen Freund betrogen und er quasi einen seiner besten Freunde. Je länger ich darüber nachdachte, desto schlechter ging es mir. Plötzlich wurde Karl panisch, schaute auf die Uhr und rief: „Fuck! Ich hätte vor fünf Minuten gehen sollen! Ich verpasse meine Bahn!" Hektisch riss er die nächstbesten Klamotten aus seinem Kleiderschrank, schlüpfte hinein und verabschiedete sich mehr als flüchtig von mir. Ich hätte ihn zum Bahnhof fahren können, aber ich war so erstarrt in diesem Moment, dass ich nicht mehr fähig gewesen war zu sprechen.

Der Morgen war alles andere als geplant verlaufen. Als ich Karl anrufen wollte, erinnerte ich mich daran, dass ich ihn ja blockiert hatte. Vielleicht war es besser so. Also tat ich nichts und legte mein Handy wieder beiseite.

Fast hätte ich vergessen zur Arbeit zu gehen. Ich konnte Marie nie wieder in die Augen schauen. Egal was ich tat, ich machte alles nur schlimmer. Ich verscherzte es mir mit jedem und langsam hatte ich keine Idee mehr, wie ich aus der ganzen Scheiße wieder herauskommen würde. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte, kaputte Herzen wieder zu reparieren...

...

Es war Freitagabend. Morgen wollte ich mit meiner Family nach Berlin fahren. Aktuell hatte ich aber noch Zweifel an diesem Ausflug. Elias und ich hatten seit dem Vorfall mit Karl noch nicht miteinander gesprochen, lediglich geschrieben, aber auch das sehr oberflächlich. Er hatte wenig Zeit und ich wenig Interesse, mich zu öffnen. Ich machte diesen Ausflug meiner Familie zuliebe. Wir könnten hinfahren, uns das Spiel anschauen, und direkt nach Abpfiff wieder den Heimweg antreten. Spätestens dann würde ich aber auf der Rückfahrt mit Fragen bombardiert werden und darauf hatte ich noch weniger Lust. Die Alternative war, dass ich hier bleibe mit der Begründung, ich sei krank. Damit würde ich Elias zwar erfolgreich aus dem Weg gehen, das Problem mit meinen Eltern konnte ich auf diese Weise allerdings nicht lösen. Es war alles nicht optimal. Ich hatte einen Fehler begangen und zu diesem musste ich früher oder später stehen. Das war selbst mir bewusst.

Gegen Mitternacht hatte ich meine Entscheidung finalisiert. Ich würde den morgigen Trip durchziehen wie er geplant war und mich vor Elias bedeckt halten. Nach der EM hatten wir genug Zeit, die Geschehnisse aufzuarbeiten. Mit diesen Gedanken schlief ich ein.

Um die Mittagszeit kamen wir in Berlin an. Die Fahrt dorthin war eher still gewesen. Meine Schwester hatte einen Kater, da sie noch bis in die frühen Morgenstunden feiern war. Mein Bruder hatte die ganze Fahrt über seine Kopfhörer aufgezogen und zockte am Handy und meine Eltern stellten mir die typischen oberflächlichen Smalltalk-Gespräch-Fragen. Das nervte.

Als erstes gingen wir Mittagessen. Alina verschlang ihre Spaghetti Carbonara so schnell, wie man gar nicht schauen konnte. Ich hingegen hatte mir einen Salat bestellt. Der Rest aß Pizza. „Es tut mir leid, wie ich mich an Weihnachten verhalten habe. Das war kindisch", reflektierte und entschuldigte ich mein Verhalten. „Das war es, Vanessa!", sprach meine Mutter. Die Entschuldigung fiel mir mehr als schwer. Nach wie vor fühlte ich mich ungerecht behandelt. Dahingehend hatte sich meine Meinung in den letzten drei Wochen nicht geändert, ich bereute allerdings die Art und Weise, wie ich mit meiner Familie gesprochen hatte. Wie ich sie angefahren hatte. Wie abwertend ich ihnen gegenüber - allen voran gegenüber Alina - war. Aber wie gesagt, es änderte nichts daran, wie ich mich an diesen Tagen gefühlt hatte. „Ihr vergleicht Elias immer wieder mit Maurice - aber Maurice ist nicht der, für den ihr in haltet", steckte ich ihnen. „Maurice war in jeder Lebenslage für dich da, er hat dich immer in Schutz genommen", redete meine Mutter. Ich unterbrach sie: „Richtig! Das hat er! Und das war psychisch gestört und toxisch. Er hat mich eingeengt und mir keinen freien Willen gelassen. Maurice ist mir nicht fremdgegangen. Nie. Ihr hättet mir die wahre Geschichte damals aber sowieso nicht geglaubt." Zum Ende hin wurde ich leiser. Mein Kopf war gesenkt und der Appetit war mir vergangen. Ich musste mich zusammenreißen, keine Tränen zu verdrücken, wenn ich an diese Zeit mit ihm zurückdachte. „Du kannst doch nicht allen erzählen, dass dir dein Freund fremdgegangen sei, und damit eine Lüge in die Welt setzen", sagte mein Vater streng. „Ist das alles, was ihr dazu zu sagen habt?", reagierte ich enttäuscht. „Ich glaube, du überdramatisierst das alles etwas. Es ist schon so lange her", seufzte meine Mutter. Entsetzt trank ich einen großen Schluck. Jetzt öffnete ich mich das erste Mal nach vielen Jahren wieder meinen Eltern und musste direkt wieder feststellen, dass das ein großer Fehler gewesen war. „Maurice war erst der Grund, weshalb ich nach Montpellier bin. Er hat mich belästigt. Tag und Nacht. Es war die einzige Chance für mich, von ihm wegzukommen. Im Nachhinein war das die beste Entscheidung meines Lebens, denn dort habe ich Karl kennengelernt und er hat mir eine völlig neue Welt gezeigt. Eine Welt, in der ich ich selbst sein konnte. Eine Welt, in der ich frei und unabhängig war. Keiner kontrollierte oder überwachte mich. Ich konnte einfach ich selbst sein und mein Leben so leben, wie ich wollte."

Jetzt war es still am Tisch. Alina wurde es irgendwann schlecht und sie rannte zu den Toiletten. So wie sie diese Carbonara reingeschlungen hatte, wunderte mich das auch sehr wenig.

„Ja, Elias und ich führen keine Standardbeziehung. Aber wer definiert denn heutzutage, was standardisiert bedeutet? Wir geben uns den nötigen Freiraum und müssen nicht jede Sekunde vom anderen wissen, wo er sich befindet. Trotzdem haben wir uns gewisse Grenzen gesetzt und das ist auch gut so. Die letzten Tage habe ich kaum etwas von ihm gehört, und auch das ist okay. Er hat zu tun, ich habe zu tun, und trotzdem vertrauen wir uns. Daran ist nichts verwerflich."

Dass ich das Vertrauen jetzt frisch gebrochen hatte, erwähnte ich lieber mal nicht...

„Warum hast du nicht früher mit uns geredet?", kam es schließlich von meiner Mutter. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ein Hauch Besorgnis war aus ihrer Stimme herauszuhören. „Für euch war Maurice wie ein Gott. Ich hätte noch so schlecht über ihn reden können, es hätte an eurer Meinung nichts geändert." „Du warst so emotionslos nach eurer Trennung. Wir hatten doch keine Ahnung", meinte meine Mutter. „Weil ich angefangen habe, mir eine Schutzmauer zu errichten. Diesen Schmerz werde ich nie wieder an mich ranlassen, das habe ich mir geschworen", erklärte ich.

Alina kam von den Toiletten zurück. Sie war blass. „Kann ich deinen Autoschlüssel haben?", fragte sie, „Ich muss mich hinlegen." „Ich habe eine bessere Idee", verkündete ich und wählte Elias' Nummer. „Hey Elias, kann ich meine Schwester zu dir ins Hotel bringen? Sie sollte etwas schlafen... Ja... vielleicht zwanzig Minuten... kann gleich losfahren... sie war zu viel feiern... Danke! Bis gleich!" Ich legte auf und lächelte meine Schwester milde an: „Ich fahre dich ins Hotel. Du schläfst dort. Und keine Widerrede!" Tatsächlich war meine kleine Schwester zu schwach, um zu protestieren. „Ich melde mich, wenn ich am Hotel losfahre", sagte ich schnell noch zu meinen Eltern und hakte Alina dann bei mir ein. Sie schwankte wirklich stark durch die Gegend.

Elias hatte mir die Adresse seines Hotels zukommen lassen. Ich startete den Motor und folgte dem Navi. Durch Berlin Auto zu fahren war die reinste Katastrophe. Ständig rote Ampeln, an jeder Kreuzung wurde gehupt und wohin die Spur führte, war ebenfalls unersichtlich. Meine Nerven lagen blank, als wir endlich auf den Parkplatz des Hotels einfuhren. Sofort sah ich meinen Freund, der bereits vor dem Eingang wartete. Ich zerrte Alina aus dem Wagen. Elias kam uns entgegen. Wir küssten uns flüchtig und ich meinte: „Vielleicht kann sie einfach paar Stunden bei dir schlafen. Ich hole sie dann heute Abend wieder ab." „Das ist kein Problem, Óli weiß schon Bescheid." „Du teilst dir mit Óli das Zimmer?", fragte ich überrascht. Er hatte gar nichts erzählt. „Pauli ist ja nicht dabei, deshalb ist Óli mein Zimmerpartner", meinte mein Freund. „Sag ihm Grüße", lächelte ich. „Sehen wir uns dann nach dem Spiel?", fragte er mich. „Kurz. Ich muss schließlich noch heimfahren heute. Aber ich komme auf jeden Fall runter aufs Spielfeld." „Das ist schön. Ich freue mich."

Elias nahm mich in den Arm und küsste mich leidenschaftlich. Danach sah ich ihm zu, wie er einen Arm um meine Schwester legte und sie gemeinsam im Hotel verschwanden. Traurig senkte ich meinen Blick. Ich fühlte mich so verdammt schlecht.

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Hallo ihr Lieben🥰 in letzter Zeit kamen sehr wenige Updates von mir und ich befürchte, in den nächsten Wochen wird es nicht arg viel besser werden, da ich selbst sehr viel unterwegs bin / war. Wenn ich zwischendurch Zeit habe, werde ich aber an der Story weiterarbeiten🖤🤍

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt