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„Es gehören immer zwei Menschen dazu und ich habe genauso meinen Teil dazu beigetragen, dass das eine zum anderen geführt ist. Vielleicht musste es ja so kommen", seufzte ich und schaute Karl tief in die Augen. „Ich bin froh, dass ich wieder hier bin", meinte er daraufhin. „Nicht nur du."

...

„Was habt ihr mir zu sagen? Dass ihr jetzt zusammen seid?" Lustlos saß Marie uns gegenüber. Karl ergriff das Wort: „Es lief erst was, nachdem es bei uns vorbei war." Ich unterbrach meinen Mitbewohner nur ungern, aber wir wollten bei der Wahrheit bleiben. „Karl", mahnte ich ihn. „Was?" Verwirrt schaute er mich an und in diesem Moment wusste ich, dass er es wirklich vergessen, verdrängt oder sonst noch was hatte. „Elias. Weihnachtsfeier", half ich ihm auf die Sprünge. „Hä... ach fuck!" Scheinbar kehrten seine Erinnerungslücken wieder zurück. „Dürfte ich wissen, wovon ihr sprecht?", mischte Marie sich wieder ein. „Elias, Karl und ich hatten einen Dreier. Nach der THW-Weihnachtsfeier", klärte ich die Situation auf. Maries Kopf begann derweil zu rattern. Fassungslos fragte sie: „An dem Tag, als es mir so scheiße ging?" „Ja, genau an dem Tag", murrte Karl. Meiner Freundin stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Verständlicherweise.

„Ich weiß grad gar nicht, auf wen von euch beiden ich mehr sauer sein soll", sagte sie. Sie trug es mehr mit Fassung als ich dachte. Vielleicht hatte sie die Trennung inzwischen akzeptiert oder sogar verarbeitet. Sie blieb ruhig. War das gut oder schlecht? Ich kam mir jedenfalls vor wie ein kleines Schulmädchen, das etwas Schlimmes verbrochen hatte. Letzteres stimmte ja, nur war ich nicht mehr klein und in der Schule war ich auch schon lange nicht mehr. Karl schaute Marie entschuldigend an, aber das half ihr jetzt auch nichts. „Es wäre fast nochmal dazu gekommen, ich habe dann aber die Reißleine gezogen - wegen dir", vervollständigte ich unsere Beichte. „Möglicherweise auch an einem Tag, an dem es mir scheiße ging?" „Du hast geschlafen", sagte Karl wenig sensibel. „Ich war da?" Maries Augen weiteten sich. Ich sagte: „Im Zimmer daneben." „Boah, ganz ehrlich - ihr habt euch gegenseitig verdient", meinte meine Freundin kopfschüttelnd. Nach wie vor nahm sie das Ganze relativ gelassen auf. Also verhältnismäßig. „Und Elias hat da einfach so mitgemacht? Ich meine, eure Trennung spricht jetzt nicht gerade dafür, dass dieser Dreier ein Erfolg war." „Ich wollte mehr von Vanessa. Das ist die Wahrheit. Ich wollte den Dreier, damit ich an sie herankomme. Aber sie hat mich mehrfach abgewiesen, beziehungsweise zurückgehalten. Bis zu dem einen Tag." „Dürfte ich, rein aus Interesse, wissen, wann dieser besagte Tag war?", fragte Marie. Ich schaute Karl an, Karl schaute mich an. Schließlich antwortete er: „Der Dienstag, nachdem wir uns ausgesprochen hatten." „Mittwoch", korrigierte ich. Marie war inzwischen so entsetzt, dass sie nur noch lachen konnte. „Du wusstest es doch", machte Karl ihr den Vorwurf. „Du hast mich mitten im Satz unterbrochen und gesagt, dass du jetzt zu Vanessa gehst. Du hast mir gar nicht mehr zugehört. Die ganzen letzten Monate ging es doch immer schon nur um Vanessa. Vanessa hier, Vanessa da! Ich war es irgendwann leid. Du hast dich aufgeführt, als wäre sie deine Freundin und jetzt wird mir immer mehr bewusst, dass ich all die Zeit nur dein Trostpreis war, weil du sie nicht haben konntest! Denkst du eigentlich, ich bin dumm?" Langsam riss Maries Fassade und die Wut kam aus ihr heraus. Karl schwieg. „Aber was wolltest du mit der Nachricht an Elias bezwecken? Er kann doch nichts dafür, dass Karl auf mich stand." „Stand? Der steht doch immer noch auf dich!", stellte Marie klar, „Guck ihn dir doch an!" „Ich habe dir eine andere Frage gestellt", lenkte ich ab. „Elias sollte wissen, dass du es nicht ernst mit ihm meinst. Die Bindung, die du zu Karl hast, die kann man nicht beschreiben. Da komme weder ich ran, noch er, noch wird jemals irgendwer darankommen."

Das Gespräch driftete plötzlich in eine ganz andere Richtung ab. „Du hast meine Beziehung mit Elias doch noch nie gutgeheißen." „Zu Beginn stand ich hinter euch. Aber nachdem mir klar war, dass du für keinen Menschen der Welt das empfinden kannst, was du für Karl empfindest, hatte ich Bedenken. Und weil ich Elias mag, wollte ich, dass er vorgewarnt ist." „Das heißt, deine Aktion mit der Nachricht hat sich einzig und allein gegen mich gerichtet?", hakte ich zum Verständnis nochmal nach. Marie zuckte mit den Schultern. Erst jetzt merkte ich, dass mein Mitbewohner so schweigsam geworden war. War es ihm unangenehm? Es wurde immerhin offen über seine Gefühle zu mir gesprochen.

„Offensichtlich kannst du Karls Gefühle aber nicht erwidern", bemerkte Marie. Ich senkte meinen Kopf. Nachdenklich starrte ich auf den Boden. „Ihr habt mich beide in letzter Zeit getäuscht, aber ich habe auch eingesehen, dass ich manche Dinge falsch interpretiert habe. Du und Karl, ihr seid wie zwei Seelenverwandte und da passt kein anderer Mensch dazwischen. Elias nicht und ich auch nicht. Es fällt mir schwer und es ändert auch nichts daran, dass ich es scheiße finde, was ihr hinter meinem Rücken getrieben habt, aber irgendwo... so ganz tief in mir drin... kann ich es verstehen. Ich wünschte, ich hätte einen solchen Menschen an meiner Seite. Dass du das nicht bist, hast du mir eindrücklich bewiesen, Vanessa." „Es tut mir leid, Marie", flüsterte ich und musste ihre Worte erstmal runterschlucken. „Ich glaube es ist besser, ihr geht jetzt", meinte sie kurze Zeit später. Karl nickte mir zu. „Danke für deine Offenheit", sagte ich zum Schluss, zwang mir ein entschuldigendes Lächeln auf und verließ zusammen mit Karl Maries Wohnung.

Ratlos standen wir unten auf der Straße vor meinem Auto. Uns beiden fehlten die Worte. Ich starrte nachdenklich auf den Boden, Karl beobachtete die Ampel, die regelmäßig zwischen Grün und Rot umherschaltete. „Fahren wir?", fragte ich schließlich. „Nach Hause?" Ich zuckte mit den Schultern. Es war dunkel und kalt. Wohin wollte Karl denn noch? „Irgendeine Ablenkung. Darts oder so?" „Wir können in Ricks Club fahren", machte ich einen Vorschlag. „Was sagst du?" „Ich bin dabei", meinte ich und stieg ins Auto ein. Es schadete uns wahrscheinlich beiden nichts, noch ein bisschen auf andere Gedanken zu kommen.

Wenig später erreichen wir den Ricks Club. Wir hatten Glück und es gab noch freie Dartautomaten. Karl stellte das Spiel ein und ich startete mit dem ersten Wurf. 3 Punkte. Ausbaufähig. Weiter ging es mit 7 und 15 Punkten. Definitiv kein gelungener Start. Auch wenn ich kein Dartprofi war, hatte ich einen gewissen Anspruch an mich selbst. Karl legte furios mit einer Double 20 und zwei mal 18 los. „Wann waren wir das letzte Mal zusammen Darts spielen?", überlegte ich. „Ich würde sagen, das war in Montpellier", antwortete mein Mitbewohner. Ich erinnerte mich an diesen Tag. Danach waren wir noch mit seinen Kumpels feiern, bis wir spät in der Nacht irgendwann alle nackt im Meer schwimmen waren. Als ich zu Hause war, war es bereits wieder hell gewesen. Eine schöne Erinnerung!

Meine zweite Runde lief schon etwas besser, aber richtig zufrieden war ich noch immer nicht. Karl schwächelte nun aber auch etwas und so ging es die nächsten Runden ziemlich ausgeglichen weiter. Zum Schluss konnte der Schwede allerdings den Sieg verbuchen. Wir spielten noch vier weitere Runden und kein einziges Mal fiel an diesem Abend nochmal der Name Marie. Wir redeten überhaupt nicht mehr über die heutigen Geschehnisse und getätigten Aussagen. Vielleicht sollten wir beide einmal eine Nacht darüber schlafen. Maries Worte waren nicht ohne gewesen, ich musste das Gespräch wirklich erstmal noch in Ruhe verarbeiten. Dafür war hier nicht der geeignete Ort und Zeitpunkt.

Erst um kurz vor Mitternacht kamen wir in unserer WG an. Morgen musste Karl wieder ins Training einsteigen. Ich war ebenfalls dabei, da der zweite Teil des Imagefilms morgen gedreht werden sollte. Am Wochenende beim Spiel stand dann der letzte Drehtag an.

...

„Ja, die Position ist gut... genau... einfach authentisch bleiben! Das ist das allerwichtigste", wies ich die THW-Jungs am nächsten Morgen an. Samir würde gleich als Europameister erstmalig die Halle betreten. Der Dreh klappte super, die Jungs feierten den Franzosen für den Titel und die Stimmung war authentisch und ausgelassen. Ich filmte, wie einzelne ihm persönlich gratulierten, auch Filip Jicha. Danach verabschiedete ich mich schon wieder und fuhr ins Studio. Den ersten Teil konnte ich nämlich heute schon zusammenschneiden und musikalisch unterlegen. Elias hatte ich heute schon gekonnt ignoriert. Karl dagegen warf ich immer wieder Blicke zu oder wir lachten über irgendetwas.

Als ich in Laden kam, sah ich, wie Marie dabei war, all ihre Sachen in Kisten zu packen. „Was wird das?", fragte ich schockiert. „Ich kündige. Ich glaube, das ist das beste für uns beide. Der Laden war schon immer dein Traum gewesen. Ich werde was anderes finden. Es funktioniert nach all den Vorkommnissen der letzten Wochen einfach nicht mehr mit uns zusammen hier. Deshalb ziehe ich die Reißleine." „Aber Marie", setzte ich an, wurde aber gleich wieder unterbrochen. „Du schaffst das auch alleine! Genauso wie den Imagefilm. Du hättest mir einfach auch was davon sagen können." „Hat Elias wieder gepetzt?", fragte ich vorwurfsvoll. „Zieh nicht schon wieder andere mit in den Dreck. Nein, Elias hat damit nichts zu tun. Ich habe die Unterlagen auf deinem Schreibtisch liegen sehen", klärte sie auf und sofort bekam ich wieder ein schlechtes Gewissen. „Marie, ich schaff das nicht ohne dich!", flehte ich sie an, in der Hoffnung, sie würde es sich doch noch anders überlegen. Aber scheinbar stand ihre Entscheidung fest. Sie meinte: „Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du mit Karl vögelst."

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt