[31]

90 8 3
                                    

Irgendwie überstand ich den restlichen Tag. Marie hatte sich nochmals mehrfach entschuldigt, aber ich brauchte erstmal meine Zeit, um alles in Ruhe zu verarbeiten. Ich hatte heute so viele neue Erkenntnisse und das akzeptierte meine beste Freundin auch. Mit Karl hatte ich ebenfalls noch einiges zu besprechen. Ich hatte Fragen. Viele Fragen. Und so ging ich nach der Arbeit auch nicht zu Elias, wie wir es eigentlich ausgemacht hatten, sondern ich ging nach Hause in meine WG. Karl wusste noch nichts.

„Wolltest du nicht zu Elias?", fragte er mich überrascht. „Hab's mir anders überlegt", gab ich ihm zu verstehen. Ich hatte uns zwei Döner besorgt, die aßen wir nun. „Ist aber nicht wegen dem Wochenende, oder?", hakte Karl besorgt nach. „Es ist nicht wegen Elias, sagen wir es so." „Okay", grübelte Karl, „jetzt machst du mir Angst." „Du und Marie also", rückte ich mit der Sprache heraus. Karl verschluckte sich bei diesen Worten und musste erst einmal von seinem Wasser trinken. „Ich bin einfach nur verwirrt", fügte ich hinzu. Nachdem Karl sich wieder gesammelt hatte, begann er zu reden: „Das war alles andere als geplant, das musst du mir glauben." Ich unterbrach ihn direkt: „Ja, das glaube ich dir ja auch. Vorneweg vielleicht, ich bin überhaupt nicht sauer auf dich oder auf Marie deswegen, ich freue mich ja, aber weißt du, was Marie damit alles aufs Spiel gesetzt hat?" „Willst du dir vielleicht einfach mal anhören, was ich dazu zu sagen habe?", fragte Karl mit Nachdruck in der Stimme. „Ja", seufzte ich und blieb still.

„Mir ging es in der Woche, als du mit Elias auf den Faröer Inseln warst mies. Ich wollte es mir nicht anmerken lassen, auch nachdem du zurückwarst. Marie stand plötzlich hier auf der Matte und irgendwie ist an diesem Tag einfach mal alles aus mir herausgeplatzt. Meine angestaute Wut, meine nicht erwiderten Gefühle gegenüber Elias, alles einfach. Sie war in dem Moment für mich da. Ich habe jemanden zum Reden gebraucht. Dafür warst du einfach nicht die richtige. Sie hat mir zugehört und sie hat mir gut zugesprochen und irgendwie habe ich mich durch sie besser gefühlt. Wir haben uns in der Woche häufiger getroffen und es hat einfach mal gutgetan, loszulassen." Wieder unterbrach ich meinen Mitbewohner: „Und Druck abzulassen?" „Ja, auch, aber darum geht es gerade doch gar nicht. Es war nichts Ernstes zwischen uns, das wusste sie und das wusste ich. Nachdem ihr wieder in Deutschland wart, hatte ich Angst, dass das rauskommen würde, also habe ich mich von Marie ferngehalten." „Stopp!" Erneut grätschte ich dazwischen. „Du hast mich vier Tage später im Studio abgeholt, hast mir gesagt, dass Marie sich komisch benimmt, wärst aber nicht auf die Idee gekommen, dass nicht ich der Grund für ihr Verhalten bin, sondern du?" „Warum sollte ich denn jetzt der Grund sein?" Entweder verstand Karl meine Aussage nicht oder er wollte sie nicht verstehen.

„Ich habe gesehen, wie schlecht es dir an diesem Tag ging. Ich wollte für dich da sein. Das war alles", rechtfertigte sich der Schwede. „Hättest du nicht einfach mal einen Schritt weiterdenken können?", warf ich ihm vor. „Warum denn? Ich verstehe dein Problem gerade nicht", reagierte er zickig. „Ich hatte riesigen Streit deswegen mit Elias!", sagte ich in aller Deutlichkeit und wurde auch lauter, „Als wir essen waren, hast du dich wie der größte Idiot aufgeführt. Der Grund für Maries Verhalten warst nur du und sonst keiner! Nicht ich, nicht Elias, nicht sonst wer. Stattdessen drückst du meinem Freund vor allen rein, dass er eigentlich keine Ahnung hat, was mich privat belastet. Ich habe es ihm nicht gesagt, weil ich ihn schützen wollte. Außerdem, das frage ich mich bis heute, woher wusstest du, was Marie über Elias und mich dachte? Und zweitens, was gibt dir das Recht dazu, das vor deinen Freunden und vor Elias und mir anzusprechen? Wie gesagt, ich hatte gute Gründe, ihn aus dieser Sache herauszuhalten. Danke Karl, danke für gar nichts!" Es fiel mir aktuell schwer, mich zu beruhigen. Ich wusste nicht, wann Karl und ich das letzte Mal so heftig gestritten hatten. Ich glaube noch nie. „Warum bin ich eigentlich der Schuldige? Nimmst du Marie plötzlich wieder in Schutz, nachdem ich mir drei Wochen lang dein Geheule über sie anhören musste?" „Was fällt dir eigentlich ein?", wütete ich, „Du unterstellst mir hier Dinge, die überhaupt nicht wahr sind. Habe ich einmal gesagt, dass ich Marie in Schutz nehme? Wie denkst du habe ich reagiert, als sie mir das heute Mittag gestanden hat? Denkst du, ich bin ihr um den Hals gefallen und habe gesagt, dass sie die allerbeste und tollste Freundin auf der ganzen Welt ist?"

Wieder kamen mir die Tränen. Ich versuchte stark zu bleiben, aber ich war einfach nur wütend. Ich hatte mich mit meinem besten Freund und meiner besten Freundin verstritten. Es war kein schönes Gefühl. Der Appetit war mir vergangen. Ich wickelte meinen restlichen Döner zurück in die Alufolie und legte ihn in den Kühlschrank. Vielleicht würde ich später noch Hunger bekommen. „Hast du noch was zu sagen?", fragte ich, weil nach meiner Aussage vorhin nichts mehr von seiner Seite aus gekommen war, „Sonst würde ich jetzt nämlich zu meinem Freund fahren."

„Vanessa, warte doch", rief Karl mir schließlich doch nach. Ich blieb stehen, schaute ihn mit gesenkten Mundwinkeln an und wartete darauf, was er mir zu sagen hatte. „Das mit der Unterstellung tut mit leid, das habe ich gerade aus dem Affekt heraus gesagt und das war falsch. Entschuldigung." Ich nickte seine Worte ab, sie hielten mich allerdings nicht davon ab zu gehen. Ich zog Jacke und Schuhe an und verließ die Wohnung. Unten im Auto brach ich erstmal zusammen und eine Träne nach der anderen kullerte über meine Wange. Erst als ich mich wieder so einigermaßen beruhigt hatte, startete ich den Motor und machte mich auf den Weg zu Elias. Ich brauchte ihn jetzt einfach.

...

„Das ist hart. Wow. Hätte ich nicht erwartet, von beiden nicht", entgegnete Elias, nachdem ich ihm von meinem heutigen Tag und den dazugehörigen Wendungen berichtet hatte. „Karl hat überhaupt nicht verstanden, warum ich auf ihn sauer war", ergänzte ich. „Karl hat ein Erbsenhirn. Ich glaube nicht, dass er das mit Absicht macht", verteidigte ihn Elias. „Trotzdem ist es scheiße." „Natürlich, das verstehe ich voll. Würde mir in deiner Situation nicht anders gehen. Vögeln die beiden jetzt eigentlich nur miteinander oder geht's da um mehr?" Ich zuckte mit den Schultern. Bis zu diesem Punkt war ich in beiden Gesprächen nicht gekommen, da es schon an voriger Stelle eskaliert war. „Vielleicht finde ich über Eric was raus, der ist immer sehr gut informiert, was Karls Leben angeht", meinte mein Freund und verwies auf das gleich anstehende Training. „Oder du redest einfach mit ihm direkt. Vielleicht kommst du weiter als ich", murmelte ich deprimiert. „Besser nicht", seufzte Elias, „ich fühle mich inzwischen komisch, wenn ich mit Karl solche privaten Dinge bespreche." „Na super! Jetzt musst du es mir auch noch reindrücken." Traurig drehte ich mich weg. Elias merkte schnell, was er mit diesen Worten bei mir angerichtet hatte. „Hey, es ist nicht deine Schuld." „Das sagen sie alle", murmelte ich genervt. „Vanessa. Ich liebe dich. Das weißt du." Er drückte mir erst einen Kuss auf die Stirn, nachdem er merkte, dass ich mich nicht wehrte, küsste er mich richtig.

Er brach ins Training auf und ließ mich in seiner Wohnung zurück. Da ich jetzt doch wieder Hunger bekommen hatte, kochte ich mir ein paar Nudeln ab. Danach setzte ich mich ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher an. Eigentlich müsste das Training der Jungs schon längst aus sein, aber von Elias war noch immer keine Spur zu sehen. Ich machte mich bettfertig und ging schon mal ins Schlafzimmer. Da ging eine Nachricht von meinem Freund ein:

Elias❤️: Hey Baby, ich fahre jetzt am Trainingszentrum los. Habe interessante News😏❤️

Jetzt war ich neugierig. Die Viertelstunde konnte ich jetzt warten, da musste ich mich noch nicht schlafen legen. Elias stellte seine Trainingstasche im Flur ab und kam dann direkt zu mir. Er drückte mir einen Kuss auf die Lippen und erzählte im Anschluss: „Es ist nicht das erste Mal, dass Karl und Marie was miteinander hatten. Die beiden haben im Sommer schon mal angebandelt, bis Karl dann gestanden hat, dass er Männer derzeit attraktiver findet. Das Blatt scheint sich nun wieder gewendet zu haben." „What?!", reagierte ich schockiert. „Und du glaubst nicht, von wem ich das alles weiß", machte er es weiter spannend. „Aber nicht von Karl, oder?", fragte ich. „Nein, nein, das wäre ja noch schöner", lachte Elias, „Von deiner besten Freundin Marie höchstpersönlich!"

Mir stand der Mund offen. „Marie war im Trainingszentrum?" „Sie hat ihren neuen Freund abgeholt. Die beiden gehen jetzt noch ins Kino." Elias' Stimme sagte schon alles darüber aus, was er von den beiden in Kombination hielt. „Ach, sind sie jetzt etwa zusammen?", wollte ich wissen. „Nein, das hat sie mir auch beantwortet. Sie daten sich auf ernsthafter Basis." „Boar, ich fühle mich gerade echt hintergangen", deutete ich an. „Das mit den beiden funktioniert niemals. Das glaubst du doch wohl selbst nicht", meinte Elias. „Sehe ich genauso, aber du siehst ja, die Zwei sorgen immer wieder für neue Überraschungen." Dem stimmte mein Freund zu. Daraufhin meinte er: „Am Freitag gehen wir auf den Weihnachtsmarkt. Vielleicht erfahren wir dort mehr."

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt