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„Lass mich kurz meine Haare kämmen. Sonst weiß jeder gleich, was wir grad gemacht haben", meinte ich zu meinem Freund. „Das wissen sie doch sowieso", entgegnete er lachend und ich fragte mich wirklich, was er für einen Ruf in seiner Mannschaft hatte. Vor kurzem kamen schon so viele Kommentare in diese Richtung, als wir gemeinsam essen waren. Bevor alles so eskalierte. „Wie findest du's bisher?", wollte ich wissen, während ich meine Bürste aus der Schublade kramte. „Gut, sehr kurzweilig. Ich habe aber echt schon gut einen sitzen", entgegnete Elias und grinste unschuldig. „Geht mir genauso", bestätigte ich.

„So, bin soweit", gab ich meinem Freund das Zeichen und wir mischten uns wieder unter die Leute. Eric lief uns quasi direkt in die Arme. Er blieb stehen, schaute uns abwechselnd an und sagte dann zu Elias: „Du hast dein Oberteil falsch herum an!" Panisch schaute Elias an sich herab und tatsächlich - es war mir eben gar nicht aufgefallen. „Bin gleich wieder da", faselte er peinlich berührt und ging nochmal kurz zurück in mein Zimmer. Eric schüttelte lachend den Kopf und lief dann weiter.

Eine gute halbe Stunde später startete die nächste Runde unseres Turniers. Vier Teams waren noch übrig und diese traten in einem Mario-Kart-Rennen gegeneinander an. Dazu hatte Karl alles schon am Fernseher vorbereitet und drückte sowohl Eric und mir als auch Rune und Caro einen Controller in die Hand. Ich war schon immer furchtbar schlecht darin gewesen, und das obwohl ich hin und wieder mit meinem Mitbewohner zusammen spielte. Wir verloren. „Mmh, ich glaube, das wird nichts mehr heute", meinte ich deprimiert zu Eric. „Nicht aufgeben, Vanessa! Wir haben noch eine Chance. Dein Freund ist grad nämlich auch am Verlieren", machte er auf Elias und Alina aufmerksam. „Alina spielt genauso schlecht wie ich - liegt wohl in der Familie", vermutete ich. „Dann wird es gleich ja immerhin ein ausgeglichenes Duell geben", fügte mein Teampartner an.

Es war entschieden. Wir mussten im Loser-Duell gegen meinen Freund und meine Schwester antreten. Der Verlierer war raus. Es ging los. Bis zum Schluss lieferten wir uns ein Kopf-an-Kopf-Rennen, doch die glücklichen Sieger am Ende nannten sich Elias und Alina. Damit waren Eric und ich ausgeschieden. Wir gratulierten den beiden und analysierten dann unsere Fehler. Somit verpassten wir auch das Halbfinale, in dem Rune und Caro am Ende weichen mussten. Damit kam es zum großen Showdown zwischen Karl und Marie, die sich der Herausforderung gegen Elias und Alina stellten. Eric verkündete die finale Aufgabe: „Es wird ein sexy und erotischer Tanz werden, nämlich auf das Lied Time of my Life aus Dirty Dancing. Ich erwarte Kreativität und vielleicht die ein oder andere Hebefigur. Ihr habt dazu 30 Minuten Zeit. Jeder hier im Raum wird danach eine Stimme abgeben. Das Team mit den meisten Stimmen ist Sieger und gewinnt dieses spektakuläre Geburtstagsturnier."

„Du könntest Moderator werden", überlegte ich. Erics Ansprachen hatten Hand und Fuß. „Ich bin auf die Ergebnisse gespannt", kam es von ihm. Auf meine Aussage eben war er gar nicht eingegangen. Karl und Marie probten nun in Karls Zimmer, Elias und Alina in meinem. Ich war genauso gespannt darauf, was die beiden Teams uns gleich präsentieren würden.

Die anderen Gäste waren inzwischen auch schon ruhiger geworden. Es war schon nach Mitternacht. Ich setzte mich nun zu Magnus und Sven dazu und wir überlegten, welche Show uns wohl gleich geboten werden würde und welche Verletzungen sich deren beide Mannschaftskameraden wohl zuziehen würden. Schließlich war es soweit. Der Timer an Erics Handy war abgelaufen und er holte beide Teams persönlich aus ihrem Proberaum ab. Elias und Alina waren schnell da, bei den anderen beiden dauerte es etwas länger. Mit Eric im Schlepptau kamen sie aber auch wenig später zu uns dazu. Das Los hatte ergeben, dass Elias mit meiner Schwester startete. Die Musik ging an und es wurde ruhig im Raum.

Immer wieder mussten die beiden zwischendurch kichern, es haperte an den Absprachen, aber trotzdem konnten sie uns eine amüsante Show bieten und zumindest war der Versuch einer Hebefigur dagewesen. Die Zwei verbeugten sich und nahmen dann Platz. Jetzt waren Karl und Marie an der Reihe. Ich wusste, dass meine Freundin vor vielen Jahren einen Tanzkurs gemacht hatte und von den gemeinsamen Clubbesuchen wusste ich ebenso, dass Karl sich gut bewegen konnte. Ich war sehr gespannt auf die Performance. Bei den beiden sah es von Anfang an sehr professionell aus.  Sie schwebten beinahe über die Tanzfläche und bewegten sich im Einklang miteinander. So, als hätten sie den Tanz seit Wochen geübt. Jetzt packte Karl Marie an der Hüfte, hob sie ab und drehte sich einmal mit ihr im Kreis. Alles war auf die Musik abgestimmt, jeder Ton saß. Sie kamen sich beim Tanzen wirklich sehr nah, was ihre Darbietung nur umso authentischer und gelungener machte. Und beim Refrain gelang ihnen tatsächlich die Hebefigur aus dem Film. Ehrlich gesagt hatte ich nur Angst um unsere Lampe, denn Karl nahm mit seiner Größe ja schon sehr viel Raum ein. Es blieb aber alles heil, er setzte Marie wieder sicher auf dem Boden ab, sie tanzen noch die letzten Schritte und blieben dann in einer wunderschönen Schlussposition stehen.

Ich glaube, der Sieg war damit geklärt. Trotzdem schrieb jeder seine Wahl nochmal auf einen Zettel und schmiss diesen in eine Schüssel.

„Und der erste Platz des heutigen Abends geht an... KARL UND MARIE! Herzlichen Glückwunsch ihr beiden!" Eric nahm beide im Arm und händigte ihnen den Preis aus. Dieser war kurzerhand improvisiert und es handelte sich um einen dekorierten Bierpongbecher. Etwas Besseres war uns auf die Schnelle nicht eingefallen. Die Zwei hatten sich den Sieg aber definitiv verdient. Ich war immer noch beeindruckt von diesem Auftritt. Das betonte ich auch immer wieder. Karl schloss Marie in seine Arme und wir machten noch ein Siegerfoto. Danach suchte ich meinen Freund auf, der ja immerhin Zweitplatzierter war. „Ich hoffe, wenigstens du hast für uns gestimmt." „Ganz ehrlich? Ihr wart echt nicht gut." Elias kränkten diese Worte mehr als ich vermutet hatte. Jetzt tat es mir fast schon wieder leid. „Nur weil du mein Freund bist, muss ich doch nicht für dich stimmen", behauptete ich voller Überzeugung. Elias sah das ein wenig anders und meinte: „Wenn du im Finale gewesen wärst, dann hätte ich auch für dich gestimmt. Ganz egal, wie gut oder schlecht das andere Team abgeliefert hätte." „Müssen wir deswegen jetzt streiten?", setzte ich dagegen. „Wir streiten doch nicht. Ich wollte es einfach nur gesagt haben." „Ist ja nicht so, dass im anderen Team Fremde sind. Karl ist mein Mitbewohner und Marie meine beste Freundin. Zu den beiden habe ich genauso meine Bezugspunkte und die könnten sich genauso beschweren, wenn ich sie nicht gewählt hätte", rechtfertigte ich mich weiter. „Elias, lass gut sein!", mischte sich Magnus nun dazwischen. Eigentlich war er nur gekommen, um mir zu sagen, dass die ersten nun gehen würden. Dazu gehörten Nele, Caro und Felix. Ich ließ Elias mit meiner Schwester zurück und verabschiedete mich von meinen Gästen.

„Was ist los?", fragte Karl und setzte sich neben mich. „Elias", nuschelte ich nachdenklich. Mein Mitbewohner deutete mir an, dass ich fortfahren sollte. Ich erzählte davon, dass es meinem Freund nicht sonderlich gefiel, dass ich im Finale nicht für ihn gestimmt hatte. „Ich hätte Elias nicht so eingeschätzt", redete ich weiter, „Ich dachten wir würden eine lockere Beziehung führen. Nicht so dieser romantische Kitsch, den man von anderen kennt. Man muss nicht 24/7 aufeinander kleben, um sich zu lieben. Und vor allem sollte jeder seine eigene Meinung haben dürfen, egal um was es geht." Karl hörte einfach zu. Ich war auch noch nicht fertig. Durchaus angepisst ergänzte ich: „Es ist ein scheiß fucking Spiel, bei dem es um nichts geht. Jeder sollte hier seinen Spaß haben und er macht jetzt ein Drama, weil er nicht gewonnen hat. Er muss doch selbst gesehen haben, dass ihr um Welten besser wart!" Marie bekam von unserem Gespräch mit, setzte sich dazu und legte beruhigend ihre Arme um mich. „Hör auf, dich da so reinzusteigern. Das bringt doch überhaupt nichts", riet sie. „Es ärgert mich aber einfach! Er macht wegen so einer unnötigen Sache jetzt ein riesen Fass auf!", wütete ich weiter. „Du übertreibst jetzt aber auch", meinte Karl besonnen. „Jetzt bin ich schuld, oder was?"

Ich gebe es zu: Zu einem großen Teil sprach gerade auch der Alkohol aus mir. Ich hatte meine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle.

Marie und Karl redeten noch eine Weile auf mich ein, wirklich beruhigen konnten sie mich aber nicht. Irgendwann tat ich dann aber so, als sei alles gut. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf belehrende Gespräche. In der Küche holte ich mir gegen den Frust ein neues Getränk. „Sophie und ich würden jetzt gehen." Meine Schwester streckte den Kopf durch den Türrahmen. Sie hatte sich ihre Jacke bereits angezogen. „Okay", seufzte ich. Widerwillig begleitete ich die beiden zur Türe. Meine Laune war noch immer im Keller. „Wie kommt ihr heim?", wollte ich wissen. „Sophies Papa holt uns ab und fährt mich dann auch nach Hause", meinte Alina und umarmte mich.

„Du Vanessa, Sven und ich würden auch gehen", hörte ich Nikos Stimme hinter mir. „Schön, dass ihr da wart." Ich zwang mir ein Lächeln auf und verabschiedete mich auch von den beiden. Langsam wurde es ruhiger. Es waren nur noch Magnus, Eric, Elias und Marie da. Karl brachte uns eine Runde Schnaps. Wir saßen alle gemeinsam im Wohnzimmer. „Wie spät ist es eigentlich?", wollte ich wissen. „Halb drei", entgegnete Magnus mit einem Blick auf die Uhr. „Ach, das ist ja noch völlig im Rahmen." Der Däne meinte, dass er auch nicht mehr so ewig bleiben würde. Eric und Marie waren dagegen noch in bester Laune. Elias verabschiedete sich nach einer halben Stunde ins Bett. Etwas bedröppelt saß ich nun auch da. „Immer noch wegen vorhin?", raunte mir Marie zu, die neben mir saß. „Offenbar schon", seufzte ich. Er hatte mir nicht mal einen Kuss gegeben. Magnus brach kurz darauf ebenfalls auf.

„Spielen wir noch was?", fragte Karl in die Runde. „Wie wäre es mit Wahrheit oder Pflicht?"

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt