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„THW - THW - THW"

„Puhh", atmete ich laut aus, doch in dem ganzen Lärm der Wunderino Arena ging das mit Sicherheit unter. Karl und Elias saßen nebeneinander auf der Bank. Hatte Karl Elias von heute Morgen erzählt? Nervös kaute ich an meinen Fingernägeln herum. Da kam auch schon Emma, die uns Getränke besorgt hatte. „Danke!", rief ich ihr zu. Sie folgte meinem Blick. „Gibt es was Neues in eurem Beziehungsdreieck?", fragte sie neugierig. So gut kannte ich Emma noch nicht, dass ich mich ihr offenbarte. Also log ich und verneinte ihre Frage. Ich musste selbst erstmal einen klaren Gedanken fassen, bevor ich da mit wildfremden Personen über meine Gefühle sprechen konnte.

„Was machst du heute Abend noch?, wollte sie wissen. „Ich schätze mal mit Karl abhängen", entgegnete ich genervt. Ich war grad wirklich nicht im Gesprächsmodus. Ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden und das Spiel genießen. Zwischendrin konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen, wenn ich an unseren heutigen Morgen zurückdachte, aber auch an das gestrige Date. Jetzt durften Elias und Karl beide ran und wieder überlegte ich mir, welche Gefühle bei ihnen noch im Spiel waren. Sowohl mir gegenüber als auch einander gegenüber.

In der Halbzeit verschwand ich auf die Toiletten. Ich hörte, wie zwei jüngere Mädchen im Teenageralter beim Anstehen über Karl und mich sprachen. Naja, in erster Linie ging es erstmal um Karl: „Der ist ja so süß. Hast du sein unschuldiges Lächeln gesehen, als er beim Aufwärmen neben das Tor geworfen hat?" „Oh mein Gott! Beim letzten Spiel hat er mich so angelächelt, als ich ein Foto mit ihm gemacht habe. Wir müssen nachher unbedingt wieder zu ihm." „Stimmt es, dass er eine Freundin hat? Freya hat ihn letztens zusammen mit jemandem gesehen." „Das ist scheinbar seine Mitbewohnerin, hat Cathi zumindest mal gesagt. Glaubst du das?" „Dass sie seine Mitbewohnerin ist oder dass da nicht mehr zwischen beiden läuft?" Eine Antwort bekam sie nicht, denn in dem Moment wurde wieder eine Toilette frei und das Gespräch der beiden war beendet.

„Jetzt geht's schon los, dass ich Gesprächsthema auf der Damentoilette bin", klagte ich, als ich wieder zurück bei Emma war. „Wie das?" „Zumindest ist es bekannt, dass Karl in einer WG lebt und sich immer wieder mit seiner Mitbewohnerin, also mit mir, abgibt. Zumindest wussten sie nicht, dass ich die Person bin, über die sie sprachen", gab ich die Unterhaltung von eben wieder. „Stört dich das?", wollte Emma wissen. Nach kurzem Nachdenken entgegnete ich: „Stören ist das falsche Wort. Aber ich mag es einfach nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Ich befürchte nur, dass ich da nicht drum herum komme, sollten Karl und ich zusammen sein." „Kennt man dich nicht schon durch Elias?", fragte sie zurecht. „Elias postet einmal im Schaltjahr was auf Instagram. Er hat mich komplett aus der Öffentlichkeit rausgehalten. Klar, hat man uns sicher mal zusammen auf der Straße gesehen, aber ich glaube wirklich, dass das bei den Fans gar nicht so die Runde gemacht hat." Emma war trotzdem verwundert: „Karl ist aber jetzt auch nicht grad der aktivste auf Social Media?!" „Trotzdem kam ich hin und wieder schon mal in seinen Storys oder so vor. Schon damals in Montpellier", erzählte ich. „Haben die Mädels dich eben dann gar nicht erkannt?" „Ich stand hinter ihnen, dazwischen war sogar nochmal jemand. Außerdem glaube ich jetzt nicht, dass sie mein Gesicht kennen. Die waren so in ihrem eigenen Film. Wie die einfach für Karl geschwärmt haben, das war echt schon traurig", amüsierte ich mich nun doch etwas. „Mich kennt auch keiner, zum Glück", lachte Emma. Offenbar verstand sie mich. Ich war froh, dass es auch noch Menschen gab, die nicht um jeden Preis in der Öffentlichkeit stehen mussten, selbst wenn sie die Chance dazu hätten. Aber genauso bodenständig war auch Sven. Die beiden passten wirklich sehr gut zusammen und ich freute mich für sie. Immerhin hatte ich jetzt wieder Gossip, den ich später mit Karl besprechen konnte.

...

„Wie war dein Date?" „Ach Jakob", seufzte ich, „Am Wochenende ist so viel mehr passiert als die Präsentation meiner Kochkünste am Freitag." „Jetzt bin ich gespannt." Ungeduldig wartete mein Kollege, bis ich meine Jacke abgelegt und mich am Schreibtisch eingerichtet hatte. Also erzählte ich ihm von meinem Wochenende. Den Sex gestern ließ ich aus. Nach seinem Spiel am Abend gab es übrigens noch die zweite Runde. „Ich habe Angst, ihm zu sagen, dass ich ihn liebe", gestand ich. „Du liebst ihn?", fragte Jakob überrascht. Wahrscheinlich wunderte ihn mein plötzlicher Sinneswandel, nachdem mir am Donnerstag noch gar nicht bewusst war, dass ich überhaupt etwas für Karl empfand. „Ich liebe ihn, ja, aber ich weiß nicht, ob ich direkt eine Beziehung mit ihm eingehen würde. Das würde mir alles zu schnell gehen", zweifelte ich. Jakob meinte daraufhin: „Warum sagst du ihm das dann nicht genauso? Keiner erwartet, dass ihr euch jetzt offiziell als Paar outet und der ganzen Welt erzählt, dass ihr zusammen seid." „Du hast recht", erkannte ich an. Meine Angst war, es mir mit ihm kaputtzumachen.

„Aber hat es sich gut angefühlt?" „Ja, das hat es. Am Samstag hat er mich geküsst, als wir zusammen im Kino waren", lächelte ich, weil das schöne Erinnerungen waren. Jakob grinste breit. „Ich glaube, ich liebe ihn wirklich. Weißt du, ich hatte noch nie so starke Gefühle für einen Menschen und genau das macht mir Angst. Weder bei Maurice, noch bei Elias hatte ich diese Sorge, etwas falsch zu machen, beziehungsweise etwas zu machen, dass ihnen nicht gefiel. Zumindest nicht in dem Ausmaß. Wenn ich irgendwelche schnulzigen Songs höre, fange ich an, an Karl zu denken. Früher fand ich diese Schnulzen schrecklich", erzählte ich ehrlich. Ich verstand nur noch nicht, wie ich innerhalb einer Woche solche Gefühle entwickeln konnte. Doch auch darauf hatte Jakob eine Antwort: „Ganz einfach. Es waren nie freundschaftliche Gefühle, die du Karl gegenüber hattest. Du hast dir nur eingeredet, dass es so wäre. Tief in deinem Herzen wusstest du aber schon immer, dass er nicht nur dein bester Freund ist."

Kundschaft betrat den Laden. Wir beide setzten wieder unser professionelles Lächeln auf und nahmen uns Zeit für Fotoshootings, Fragen, Termine und Mails. Währenddessen dachte ich trotzdem immer wieder über Jakobs Worte, über Karl und über meine Gefühle nach.

Am Abend war Karl zuhause. Er empfing mich mit einem Kuss. War mir das zu viel? Ich wusste es nicht. „Eric kommt später. Ist das okay?", fragte er mich. „Klar. Essen wir mit ihm zusammen?" „Wir hatten überlegt, Pizza zu bestellen. Haben beide keine Lust zu kochen. Wärst du bei dem Plan dabei?" „Klingt gut", meinte ich und ging mich umziehen. Als ich wieder aus meinem Zimmer kam, war Karl nicht da. Seine Zimmertür stand einen Spalt breit offen und ich sah ihn auf seinem Bett sitzen, sein Handy in der Hand. Ich klopfte an und lugte hinein. Sofort legte er sein Smartphone auf die Seite und lächelte mich an. Etwas nervös betrat ich sein Zimmer und setzte mich auf die Bettkante. Mein Mitbewohner richtete sich auf, legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und küsste mich. Zunächst war es ein leichter und vorsichtiger Kuss, doch spätestens als Karl mich auf sich drauf zog, war die Schüchternheit bei uns beiden abgelegt und wir machten verlangend miteinander rum. Wieder fühlte es sich so unglaublich gut an, wieder war ich mir sicher, ich tat das richtige. Und trotzdem hatte ich in meinem Kopf eine Blockade. Eine Blockade, dominiert von Angst.

Leider wurden wir unterbrochen, denn es klingelte an der Türe. Kurz darauf stand Eric bei uns und ich wusste nicht mehr, wie ich mit Karl umgehen sollte und ob Eric vielleicht schon was von uns wusste. Ich umarmte ihn und wir setzten uns ins Wohnzimmer. Karl brachte uns Getränke. Wir redeten über dies und das, bestellten dann unsere Pizza und quatschten im Anschluss noch über den vergangenen Samstag, als wir alle zusammen am Meer waren. „Warum machen wir das so selten? Der Tag war so schön", sagte Eric voller Überzeugung. Karl und ich stimmten ihm zu, schauten uns dabei kurz in die Augen und mussten beide grinsen. Nicht nur deshalb war der Samstag schön für uns. „War es eigentlich komisch für dich wegen Elias? Ich muss zugeben, ich habe da gar nicht drangedacht, bis ihr euch plötzlich gegenübergestanden seid." Eric legte einen entschuldigenden Blick auf. „War kurz komisch, aber wir haben vor kurzem nochmal geredet und einige Dinge klären können. Deshalb war ich fein damit. Er spielt nun mal in eurer Mannschaft", entgegnete ich ihm. „Elias war sich noch nicht sicher, ob er mitkommt. Ich habe dann Vanessa gefragt, ob sie Lust hat und am Ende waren beide dabei. War von mir genauso wenig geplant", klärte Karl nun auf. „Hey, wir sind alle erwachsene Menschen. Wir müssen uns nicht künstlich aus dem Weg gehen", meinte ich. „Da hast du recht", stimmte Eric mir gleich zu. Karl setzte einen Schlussstrich unter dieses Thema: „Vergangenheit ist Vergangenheit. Zukunft ist Zukunft."

Die Aussage ließ zwar mindestens genauso viel Spielraum für Spekulationen, aber darauf wollte ich jetzt wirklich nicht eingehen. Umso mehr freute ich mich darüber, dass in diesem Moment unsere Pizza geliefert wurde und danach erst einmal gefräßige Stille einkehrte.

„Du musst dich operieren lassen, habe ich gehört", sprach ich Eric nach dem Essen auf das Olympia-Thema an. „Ja, leider. Ich hatte gehofft, dass es ohne OP weggeht, aber ich freue mich, dass Karl stattdessen dabei sein kann", erzählte der Schwede relativ gelassen. „Vielleicht komme ich ja auch mit nach Paris. Habe diesen Sommer noch gar nichts geplant", überlegte ich. „Vielleicht klappt es, dass ich wieder mit paar Freunden wegfahre. Wir mieten uns meistens irgendwo ein Haus und verbringen da eine coole Zeit miteinander. Wenn das was wird, kannst du mit uns fahren", sagte Karl zu mir. „Deine schwedischen Freunde? Die kenne ich doch gar nicht", überlegte ich. „Na und?", meinte mein Mitbewohner lässig und erinnerte mich: „Zwei von denen kennst du. Die haben mich mal in Montpellier besucht. Mit denen waren wir feiern. Der Tag, an dem wir erst um 8 Uhr morgens wieder daheim waren. Weißt du noch?" Kurz dachte ich nach, dann fiel es mir wieder ein. „Enden eure gemeinsamen Abende alle so?", fragte ich lachend. Eric, der Karls Freunde kannte, beantwortete mir die Frage: „Ja!"

Das war eindeutig. Na das konnte ein interessanter Sommer werden!

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt