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Mich beschäftigte das Verhältnis von Karl und Marie mehr als es sollte. Es beschäftigte mich aus dem Grund, weil ich das Gefühl hatte, dass ich dadurch beide Freundschaften verlor. Marie gegenüber hielt ich mich die nächsten Tage auf der Arbeit zurück. Auch sie erzählte nichts mehr über meinen Mitbewohner. Eigentlich interessierte mich ja noch, wie aus Karls Desinteresse für Marie nun offenbar das Gegenteil entstanden sein musste. Ich verbrachte die gesamte Woche bei Elias. Mein Döner im Kühlschrank rottete entweder vor sich hin oder Karl hatte ihn bei einer seiner Heißhungerattacken verspeißt. Es war mir egal. Mir war alles egal. „Ich halte das hier echt nicht mehr lange aus, mich macht das so fertig", erzählte ich Elias. Ich war müde und schlapp. „Wenn du nicht willst, müssen wir heute Abend nicht auf den Weihnachtsmarkt gehen. Wir können uns einfach so einen schönen Abend machen und selber mal wann anders gehen", schlug mein Freund vor, doch ich lehnte sein wirklich lieb gemeintes Angebot ab. „Ich will ja auch die anderen Jungs wiedersehen", rechtfertigte ich meine Entscheidung, „Außerdem frage ich mich, ob Team Karlie jetzt einen auf verliebtes Pärchen tut."

Team Karlie war mein neuer Spitzname für unser neues Liebespaar. Die Betonung lag dabei auf dem „ie" - alias „ih" wie „igitt". Ich kannte Karl und ich kannte Marie und sie passten einfach nicht zusammen. Auch wenn ich ihr scheinbares Liebesglück am Anfang noch guthieß, musste ich zugeben, dass sich meine Meinung in der Zwischenzeit geändert hatte. Insbesondere aus dem Grund, dass sich seither beide charakterlich verändert hatten. Ich sah es an Marie und Elias an Karl im täglichen Training. „Sind eigentlich wieder die üblichen Verdächtigen dabei heute Abend?", wollte ich wissen. „Ja, nur Rune kann nicht. Dafür kommen aber wahrscheinlich Harald und Samir noch mit." „Dann sind wir ja aber doch ganz schön viele", überlegte ich und dachte dann darüber nach, was ich anziehen würde. Elias war da keine besonders große Hilfe. Im Ausziehen war er deutlich besser und da half er auch sofort nach. „Wir kommen nachher nur wieder zu spät", lachte ich in den Kuss hinein, doch das schien meinen Freund wenig zu stören. „Wir sind heute nicht die Hauptattraktion, das verspreche ich dir", zwinkerte er und packte mich an der Hüfte. So trug er mich ins Schlafzimmer und legte mich auf dem Bett ab. Schnell zog auch er seine Klamotten aus und schmiss sie achtlos in die nächste Ecke. Er beugte sich über mich, küsste meine Brüste und entlockte mir damit ein leises Stöhnen. Ich hatte keine Chance, mich unter ihm zu bewegen. Er packte meine Hände, legte sie über meinem Kopf zusammen und hielt sie in dieser Position fest. Mit seinen Küssen war er inzwischen an meinem Hals angekommen und kurz darauf spürte ich seine Lippen auf meinen. Der Kuss war wild und intensiv, heiß und verlangend. Es dauerte nicht lange, da spürte ich ihn in mir. Mit schnellen harten Stößen bewegte er sich auf und ab. Meine Hände hatte er weiterhin fest im Griff. Ich genoss jeden Moment. Er wurde immer schneller und schließlich sackte er auf mir zusammen. Meine Hände ließ er los und ich nutzte diese Chance sofort und zog ihn in eine innige Umarmung. „Ich liebe dich so sehr", flüsterte ich. „Ich liebe dich noch viel mehr. Du bist alles für mich."

Wir blieben noch eine ganze Weile so liegen. Arm in Arm. Nackt. Keiner von uns redete. Ich hätte auch einschlafen können, doch irgendwann erinnerten wir uns gegenseitig daran, dass wir noch etwas vorhatten heute Abend. Also zogen wir uns wieder an, ich konnte meine Outfitwahl nicht mehr länger aufschieben, entschied mich dann aber für etwas, das mich bei den eisigen Temperaturen warmhalten würde. Schnell schminkte ich mich, zog dann noch Mütze, Schal und Handschuhe aus dem Schrank und gab Elias daraufhin das Zeichen, dass wir gehen konnten. „Hey, wir sind noch voll in der Zeit. Vor fünf Minuten war Treffpunkt", klärte er mich stolz auf. „Ich weiß ja nicht, was Pünktlichkeit auf eurer Insel bedeutet, aber wir sind jetzt schon zu spät und dabei sind wir noch nicht mal aus dem Haus", lachte ich. „Ach, sollen die halt schon mal den ersten Glühwein trinken und sich das Maul über uns zerreißen", winkte Elias ab. „Meintest du nicht vorhin noch, dass wir nicht im Fokus ständen?" „Ist auch so. Alle reden nur noch über Karl. Ich bin sehr gespannt auf den Auftritt der beiden heute." „Ich auch", bestätigte ich.

Satte dreißig Minuten später erreichten wir den Weihnachtsmarkt. Die Busfahrt, besser gesagt die vielen Zwischenhaltestellen, hatte Elias bei seiner Rechnung offenbar vergessen. Jetzt musste er sich sogar eingestehen, dass wir nicht mehr pünktlich waren. So stand auch niemand mehr am Treffpunkt und wir klapperten einmal den ganzen Weihnachtsmarkt ab, bis wir einen Haufen großgewachsener Männer entdeckten. Das konnten ja nur die Kieler Handballer sein. So war es auch. Ich freute mich, alle wiederzusehen, bemerkte aber auch schnell, dass Karl und Marie nicht da waren. „Team Karlie entweder noch nicht da oder schon wieder verschwunden", raunte Elias mir ins Ohr. „Wir werden sehen." Ich begrüßte erstmal alle mit einer Umarmung.

Elias besorgte für uns beide einen Glühwein, ich blieb bei den Jungs zurück. „Habt ihr wieder keinen Parkplatz gefunden?", fragte Magnus amüsiert nach. „Nein, wir sind heute tatsächlich Bus gefahren", klärte ich lachend auf. „An der Pünktlichkeit solltet ihr beide echt noch bisschen arbeiten", mischte sich Sven in das Gespräch ein. „Sag das mal Elias, laut ihm sind wir noch voll in der Zeit", fasste ich die Worte meines Freundes zusammen. Damit brachte ich die beiden ebenfalls zum Lachen. „Wo ist Karl eigentlich?", stellte ich schließlich die Frage, die mich seit unserer Ankunft hier beschäftigte. Eric bekam davon mit und meinte: „War vorhin kurz da, ist jetzt aber in der Masse verschwunden." „Mit Marie nehme ich an?" „Natürlich mit Marie, was denkst du denn?", entgegnete sein Landsmann belustigt und auch seine Reaktion bestätigte mir, dass es eigentlich keiner so toll fand mit den beiden. Elias kam mit zwei Gläsern heißem Glühwein zurück und drückte mir eines davon in die Hand. Ich bedankte mich und klärte ihn dann sofort darüber auf, dass Team Karlie sich selbstständig gemacht hatte. „Eric, wusstest du eigentlich davon, dass Karl und Marie sich getroffen haben?", stellte ich dem Schweden die Frage, die ihm eigentlich Elias hätte stellen sollen. Naja, ich hatte ihn darum gebeten, seine Mannschaftskollegen ein wenig auszufragen. Dabei kam wenig raus, daher erledigte ich es eben selbst. „Ja, ich wusste am Anfang nur nicht, dass es Marie ist. Er hat mir immer von einer guten Freundin erzählt und erst kurz vor deinem Geburtstag habe ich erfahren, wer diese gute Freundin ist. Ich musste Karl aber versprechen, es für mich zu behalten." „Ich habe das letzte Mal am Montag mit Karl geredet. Wir sind im Streit auseinandergegangen. Er konnte überhaupt nicht verstehen, warum ich mich so geärgert hatte", vertraute ich Eric meine Gefühle an und erzählte ihm danach von dem Grund für Maries abweisendes Verhalten mir gegenüber. Der Schwede verstand sofort das Problem. „Sie ist deine beste Freundin. So eine Aktion kannst du einfach nicht bringen. Das geht gar nicht." Ich war froh, dass Eric auf meiner Seite stand. Vielleicht schaffte er es ja auf irgendeine Art und Weise, Karl das alles nochmal vernünftig zu vermitteln. „Sie hat sich dafür entschuldigt, aber mit einer Entschuldigung ist das halt nicht erledigt. Nicht bei so einer Sache", redete ich weiter. „Ja, verstehe ich, aber was erwartest du denn dann von ihr? Rückgängig machen kann sie es nicht mehr." Eric hatte recht. Daher meinte ich: „Ich erwarte, dass sie mir Zeit gibt, das Ganze zu verarbeiten. Weißt du, wie oft ich deswegen Streit mit Elias hatte?" „Hast du ihr das gesagt?", fragte Eric. „Ja, tatsächlich habe ich das. Ich weiß nur nicht, ob es bei ihr ankam." „Du darfst nicht ewig nachtragend sein. Ein bisschen schmollen ist okay, aber kenne die Grenzen. Das ist mein gut gemeinter Rat", lächelte Eric und nahm mich in den Arm.

„Vanessaaaaaaa!" Stürmisch sprang Marie auf mich drauf, als sie sah, dass ich ebenfalls hier war. Dabei verschüttete sie etwas von meinem Glühwein. Zum Glück war meine Jacke dick gepolstert, einen Fleck hatte sie jetzt trotzdem. Woher auf einmal diese überschwängliche Freude, mich zu sehen? An ihren Augen sah ich schnell, dass sie schon mehr als einen Glüwein getrunken hatte. Auch die anderen Jungs warfen mir skeptische Blicke zu, die ich genauso erwiderte. Marie ließ von mir ab und suchte gleich wieder Karl auf. Er lächelte mir kurz zu, das war es dann aber auch. Keine Umarmung, kein Hallo, gar nichts. „Na, habt ihr den Weihnachtsmarkt unsicher gemacht?", fragte Niko freundlich. Er konnte am besten kaschieren, dass er nichts von den beiden zusammen hielt. Eric begann, sich im Kreis zu drehen. Auf der Stelle und die ganze Zeit. Nach einer Weile tippte ich ihn an: „Kenne deine Grenzen!" Ich zwinkerte ihm zu und er blieb wieder stehen. Stattdessen meinte er: „Sven, wollen wir nochmal eine Runde Glühwein holen?" Der Rechtsaußen stimmte zu und folgte Eric zum Glühweinstand. Seit Karl und Marie hier waren, war die Stimmung komisch. Richtig unangenehm wurde es, als die beiden anfingen, vor uns rumzumachen. Daraufhin stellte sich Elias dicht hinter mich und raunte mir ins Ohr: „Siehst du, ich habe dir gesagt, wir sind heute nicht die Hauptattraktion." „Seit wann verhalten sich die beiden so penetrant auffällig? Das ist weder die Art von Marie, noch die von Karl." „Seit die beiden offiziell zugegeben haben, dass sie ein Paar sind." „Nein, verarsch mich nicht!" Schockiert blickte ich Elias an, welcher daraufhin meinte: „Karl hat es mir gerade eben gesteckt."

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt