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„Wie meinst du das?" „Naja, so wie du von Karl erzählt hast. Es waren ja nicht nur deine Worte. Selbst Niclas hat das gesagt. Dein Blick. Er hat Bände gesprochen. Ich will dir nichts unterstellen, aber so schaust du nicht einmal, wenn du von Elias erzählst", klärte Sven mich offen und ehrlich auf. Ich wurde nervös. Mein Herz schlug schneller. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Ich hatte mit vielen Reaktionen gerechnet, aber nicht damit. „Ich bin meinem Freund fremdgegangen", wiederholte ich meine Worte. Ich war mir nicht sicher, ob Sven das verstanden hatte. Er sollte mich für diese Tatsache viel eher fertig machen, mir sagen wie schlampenmäßig ich bin, mich zur Vernunft bringen - aber so? „Magst du Karl?" „Er ist mein bester Freund", stellte ich klar. „Das eine schließt ja das andere nicht aus", meinte Sven wiederum. „Elias liebt mich", sagte ich mit Nachdruck in der Stimme. „Liebst du ihn denn auch?" „Ja", bestätigte ich sicher. „Was hat dich dazu bewegt, mit Karl intim zu werden? Ich meine, ihr wohnt seit fast zwei Jahren zusammen in einer Wohnung." „Eineinhalb", korrigierte ich den Handballer und ließ ihn dann weiterreden. „Von mir aus. Ist trotzdem eine lange Zeit. Stimmt es, dass nie was zwischen euch lief? Auch in Frankreich nicht?" „Das ist korrekt", nickte ich. Mir war nicht klar, woraufhin Sven hinauswollte. „Wie kommt man dann nach so langer Zeit dazu, miteinander zu schlafen? Du kannst mir nicht sagen, das wäre einfach so zum Spaß gewesen. Weil wenn es so wäre, bin ich mir eintausendprozentig sicher, wäre das schon früher passiert. Was hat sich geändert?" Anstatt zu antworten, trank ich einen großen Schluck meines Cocktails und starrte angespannt aus dem Fenster. Die Lichter der Stadt waren so wunderschön - brachten mir nur nichts, denn irgendwann musste ich Sven eine Antwort geben.

„Da gab es so einen Kuss an meinem Geburtstag. Bei einem Spiel. Nichts Ernstes", erzählte ich und berichtete Sven auch davon, dass dieser Kuss in Karl etwas verändert hatte. „Nur in Karl? Oder auch in dir?" „Ich habe das überhaupt nicht ernstgenommen. Kurz danach war er plötzlich mit Marie zusammen. Ich verschwendete gar keinen Gedanken daran, dass das irgendwas hätte bedeuten können." Sven musterte mich kritisch: „Dürfte ich fragen, wie es überhaupt zu diesem Spiel-Kuss kam?" Ich schwieg. Erinnerungen kamen in mir auf.

„Ich will, dass du mit jedem hier im Raum einmal rummachst."

Das hatte ich gesagt. Das waren meine Worte und sie waren der Grund, warum ich heute hier mit Sven sitzen und ihm offenbaren musste, welche Fehler ich in meinem Leben begangen hatte. „Vanessa, echt? Du warst diejenige?", erriet Sven, ohne dass ich auch nur ein Wort über die Situation verloren hatte. Trübselig nickte ich. „Ich hatte Streit mit Elias an diesem Abend. Ich war frustriert. Ich glaube, deswegen habe ich es gemacht." „Das ist doch keine Erklärung", schüttelte Sven verzweifelt den Kopf. „Ich weiß", nuschelte ich leise.

„Du musst dir über deine Gefühle im Klaren werden", verdeutlichte mein Kumpel im weiteren Verlauf des Abends. Ebenso sagte er: „Aktuell fährst du zweigleisig. Das ist erstens Karl gegenüber nicht fair, weil du ihm so Hoffnungen machst und zweitens ist es Elias gegenüber absolut falsch, weil er keine Ahnung von alldem hat." „Du hast ja recht", gab ich Sven zu verstehen. „Wann kommt Elias denn zurück?" „Übermorgen", antwortete ich und wurde schon wieder nervös. „Eigentlich solltest du es ihm sofort sagen. Das hat er verdient. Je länger du wartest, desto schlimmer wird es", meinte Sven. Seine Antwort stimmte mich nachdenklich, trotzdem war ich mir sicher: „Egal wann ich es ihm sage, ich werde ihn verlieren." „Und genau deshalb musst du dich entscheiden", wiederholte Sven, „Entweder kämpfst du für eure Beziehung und für Elias, oder du entscheidest dich für Karl und schaust, wohin das mit euch führt. Beides zusammen geht nicht."

Oh, wenn Sven nur wüsste, dass wir auch schon eine Nacht zu dritt verbracht hatten... Aber er hatte ja recht. Unser Dreier war zum Spaß. Wir alle hatten Bock darauf. Nun redeten wir hier aber von Beziehungen und Gefühlen, da waren drei Personen eben eine zu viel. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Manche Menschen konnten zwei andere lieben, aber im meinem Fall schloss ich das ehrlicherweise aus. In dem Gespräch mit Sven heute war mir nämlich klargeworden, für welchen Mann mein Herz schlug. Ich sagte es ihm nicht, aber ich hatte für mich selbst eine Erkenntnis gewonnen.

...

Am Sonntagmittag kam Elias zurück. Ich war schon sehr aufgeregt. Negative Aufregung leider, denn ich hatte ihm unschöne Nachrichten zu beichten. Es graute mich jetzt schon davor. Gerade eben kam eine Nachricht von ihm rein. Er hatte geschrieben, dass er jetzt daheim wäre. Also setzte ich mich ins Auto und fuhr zu seiner Wohnung.

Er erwartete mich bereits. Zur Begrüßung küssten wir uns. Danach schaute ich ihm dabei zu, wie er seine Taschen auspackte. Nebenbei erzählte er von den letzten Tagen mit seiner Mannschaft. Während der EM hatten wir nur wenig Kontakt, da er wirklich sehr beschäftigt war. Außer der Samstag, an dem ich bei ihm war, hatten wir nie richtig miteinander gesprochen. Und auch an diesem Tag waren wir genau genommen mehr mit Sex und Feiern beschäftigt.

„Wir müssen reden", sagte ich schließlich. „Ich weiß", entgegnete er und schon wieder hatte ich die leise Vorahnung, dass er bereits irgendetwas wissen könnte. Wir zogen uns Jacke und Schuhe an und gingen eine Runde spazieren. Zunächst schwiegen wir uns allerdings an, als wir nebeneinander herliefen. Irgendwann nahm ich meinen Mut zusammen und konfrontierte Elias mit folgenden Worten: „Ich weiß nicht, ob ich für dich noch das empfinde, was man in einer Beziehung für einen Menschen empfinden sollte." „Was... was willst du damit sagen?", stammelte Elias. Der Schock war ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich habe mit Karl geschlafen", rückte ich mit der Wahrheit heraus. Mein Freund blieb stehen. Er bekam kaum Luft und kämpfte mit den Tränen. Er setzte sich auf den Bordstein. Es tat weh, das mitansehen zu müssen, sodass mir nun die Tränen kamen. „Elias!" „Nein", zickte er mich fassungslos an. Sein Gesichtsausdruck war leer. Stumm setzte ich mich daneben. „Geh weg von mir!", fuhr er mich erneut an und stand wieder auf. Er machte sich auf den Weg zurück zu seiner Wohnung. Verzweifelt lief ich hinterher.

Auch wenn er deutlich vor mir dort war, hatte er die Türe offengelassen. Er wusste, dass ich ihm gefolgt war. Seufzend trat ich ein. Er saß im Schneidersitz auf seinem Bett, den Kopf in Richtung Wand gedreht. Ich setzte mich auf den Boden vor den Schrank, sagte aber nichts. So saßen wir da. Ganze zehn Minuten, ohne dass sich etwas tat. Er hatte seinen Kopf auf seinen Händen abgestützt.

„Dann stimmt es also", sagte er schließlich. Seine Stimme war schwach und sein Blick weiterhin zur Wand gerichtet. „Du wusstest es, oder?", fragte ich vorsichtig nach. Elias zuckte mit den Schultern und meinte: „Ich habe nur gehört, dass ihr viel Zeit miteinander verbringt und dass gewisse Aussagen gefallen sind. Ich wollte es nicht wahrhaben." „Karl und ich haben überhaupt nicht viel Zeit miteinander verbracht. Seit Weihnachten habe ich ihn einmal gesehen - und da ist es eben passiert." Elias schniefte. Glaubte er mir? „Ihr habt darüber gesprochen, wie heiß ihr euch gegenseitig findet", ergänzte mein Freund. „Stopp!", unterbrach ich ihn. Das stimmte genauso wenig wie die Tatsache, dass wir uns so häufig sahen. Vor allem waren wir Mitbewohner - dahingehend hatten wir uns wohl überhaupt nicht zu rechtfertigen. „Wer hat dir davon erzählt?", konfrontierte ich ihn. „Das spielt keine Rolle", entgegnete er sofort angefressen. „Doch, das spielt eine Rolle, denn es ist nicht wahr! Ja, Karl und ich hatten Sex, aber wir haben nie darüber gesprochen, dass wir uns attraktiv oder heiß oder sonst irgendwas finden. Er hat lediglich gesagt, dass er mich interessant findet. Weil ich mit dir zusammen war, habe ich ihm immer wieder signalisiert, dass ich dich liebe und sonst keinen!" „Wart ihr betrunken?", fragte er. Ich schüttelte den Kopf: „Nein, und ich kann dir auch keine Erklärung dafür geben, warum ich es getan habe."

„Wann war das?", wollte Elias wissen, nachdem er sich wieder etwas gesammelt hatte. „Am Tag vor dem ersten EM-Spiel", gestand ich. Der Fähriger sagte nüchtern: „Und warum erfahre ich erst jetzt davon?" „Ich wollte dir die EM nicht versauen. Eigentlich wollte ich letzte Woche auch gar nicht nach Berlin kommen. Ich wusste, dass ich nicht einfach so tun kann, als wäre nichts." „Das ist dir aber erstaunlich gut gelungen", grummelte Elias sarkastisch. „Warum dann die Nachricht an Karl?", stellte ich ihm eine Gegenfrage. „Welche Nachricht?" „Die mit der Kette." „Weil ich nach dem Wochenende davon erfahren habe", gestand er. „Okay", murmelte ich traurig.

Ich fühlte mich nicht in der Position, irgendwas gegen ihn zu sagen. Außer der Reiz und die Versuchung hatte ich keine Erklärung parat, warum es soweit kommen konnte. Und dass ich das nicht als Rechtfertigung heranziehen konnte, war sogar mir klar. Es gab noch so viele offene Fragen. Fragen, die ich selbst nicht beantworten konnte. Wie sehr beeinflusste meine Paranoia in Bezug auf Pauli mein Verhalten? War mir unsere Beziehung wirklich zu langweilig - so wie ich es an meinem Geburtstag damals gesagt hatte? Fehlte mir die Spannung und die Erotik? Denn ich hatte das Gefühl, als Elias und ich noch nicht zusammen waren, gab es das noch zwischen uns. War ich vielleicht einfach beziehungsunfähig?

„Von wem weißt du es?", fragte ich erneut. Das erste Mal drehte sich Elias zu mir um. Mit verheulten Augen sah er mich an und meinte: „Von deiner besten Freundin!"

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt