Wut und Enttäuschung machte sich in mir breit. Jetzt war ich diejenige, der die Worte fehlten. Marie also! Ich hatte es fast geahnt, war aber umso enttäuschter, als sich dieser Verdacht soeben bestätigt hatte. So etwas tat eine beste Freundin nicht! Außerdem hatte sie - sofern man Karl in der Hinsicht vertrauen konnte - keine Ahnung von uns. Auf der anderen Seite traute ich es meinem Mitbewohner aber auch zu, dass er irgendwas Undurchdachtes gesagt hatte und es jetzt gar nicht mehr weiß. Das war eben seine verpeilte und dusselige Art. Man konnte es ihm ja nicht mal übelnehmen.
„Sie hat mir noch Sonntagabend geschrieben", erzählte Elias von sich aus, „Sie meinte, ich solle doch vorsichtig mit dir sein und die Augen offenhalten. Karl sei mitten im Gespräch aufgestanden und hätte gesagt, er geht jetzt zu dir. Natürlich habe ich nachgefragt, was sie damit meint, beziehungsweise was sie mir damit sagen will. Sie hat euch wohl mal im Badezimmer belauscht."
So langsam ging mir ein Licht auf.
„Erst hat sie sich nichts dabei gedacht, aber nach dieser überstürzten Trennung, der scheinbar miserablen Aussprache und der Tatsache, dass er danach sofort zu dir wollte, hat sie offenbar Verdacht geschöpft." „Fuck!", murmelte ich. Ich hatte es ja fast befürchtet. Der Morgen, an dem sie mit Karl nach Schweden geflogen ist. Kurz vor Weihnachten. Karl und ich waren zusammen im Bad. Als wir rauskamen, war Marie wach. Es hätte mir damals schon klar sein müssen, dass sie höchstwahrscheinlich was gehört haben musste. Schalldicht sind unsere Wände nämlich nicht gerade. Karl und ich hatten an diesem Tag ein Gespräch geführt, das definitiv nicht für andere Ohren bestimmt war. Ich konnte gar nicht beschreiben, wie sauer ich auf Marie war. Wenn sie ihr Glück nicht haben konnte, dann gönnte sie es keinem. Und das war leider nicht erst seit gestern so... darüber konnte ich jetzt mit Elias allerdings schlecht sprechen. Er hatte sowieso eine andere Frage: „Hast du durch Karl eigentlich gemerkt, dass du keine Gefühle mehr für mich hast oder was sollte die Aussage vorhin?"
Er wirkte inzwischen relativ gefasst. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich versuchte mich herauszureden: „Vielleicht habe ich vorschnell gehandelt... ich meine... ich weiß nicht, was ich aktuell fühle. Weder für dich, noch für Karl. Ich weiß gerade einfach gar nichts mehr." „Dann finde es heraus", sagte Elias kühl. „Karl triggert mich. Er sagt Dinge, die nicht mehr freundschaftlich sind. Ich tue mir schwer damit", klagte ich. „Vanessa, dafür bin ich nicht der richtige Ansprechpartner", stellte Elias klar, „Finde heraus, was du willst, aber bis dahin kann ich das so auch nicht mehr weiterführen. Ich will am Ende nicht das fünfte Rad am Wagen sein. Triff eine Entscheidung, aber halte mich bitte aus dem Spiel." „Was willst du mir damit sagen?", fragte ich entsetzt. „Wir sollten unsere Beziehung vorerst auf Eis legen, bis das geklärt ist. Danach schauen wir weiter." Seine Stimme war erschreckend fest und sicher. Völlig emotionslos, kalt. Ich dagegen war ein Wrack. „Du gehst jetzt besser", ordnete er nun etwas ruhiger an.
Stumm nickte ich. Kurz schloss ich meine Augen, dann stand ich auf, drehte mich um und verließ die Wohnung, mit der ich so viele schöne Erinnerungen verband. Verließ ich sie vielleicht für immer? Fertig mit der Welt setzte ich mich tränenüberströmt ins Auto und weinte dort direkt weiter. Es tat weh. Es schmerzte so sehr. In meinem Herzen, nein, eigentlich in meinem ganzen Körper. Es schmerzte so sehr, dass ich Svens Nummer wählte und betete, dass er ranging.
„Vanessa? Alles klar?" Aus mir kam kein einziges Wort heraus. Ich schluchzte in den Hörer und Sven meinte nur: „Fuck? Wo bist du? Ich hole dich ab." „Bei... bei... bei E... Elias... in meinem... meinem... Auto", brachte ich unter Tränen hervor. „Gib mir zehn Minuten. Ich laufe rüber", sagte er und legte auf. Er wohnte nicht weit weg von hier. Das war gut.
Es klopfte an meiner Fensterscheibe. Aus meinen glasigen Augen heraus sah ich nur einen Blondschopf. Sven! Ich stieg aus und ließ mich in seine starken Arme fallen. Er sagte gar nichts, er war einfach nur für mich da. „Wir fahren besser weg von hier. Wo sind deine Autoschlüssel?", fragte er schließlich. Ich deutete auf meine Jackentasche. Er griff hinein, schleppte mich zur Beifahrerseite, stieg selbst auf dem Fahrersitz ein und brachte mich in meine Wohnung.
DU LIEST GERADE
Sweet Lies
FanfictionEine Beziehung, die bereits auf einer Lüge aufbaut, kann keine Zukunft haben. Das weiß auch die 23-Jährige Vanessa, doch der Reiz und die Versuchung ist größer. Sie kann einfach nicht widerstehen, auch wenn sie genau weiß, dass ihr Verstand etwas An...