Mit einem mulmigen Gefühl lief ich am nächsten Morgen die letzten Meter zum Studio. Ich hatte Maries Auto auf der Straße stehen sehen und wusste daher, dass sie da war. Seit unserer Aussprache vor drei Wochen hatten wir nicht mehr richtig miteinander gesprochen. Heute würde auch Karl zurückkommen. Wir hatten gemeinsam entscheiden, Marie die Wahrheit zu sagen. Jetzt war es aber noch zu früh dazu. Wir mussten uns auf die Arbeit konzentrieren und darauf, den Laden am Leben zu halten.
Um elf Uhr hatte ich den Termin mit Victor im Trainingszentrum des THW Kiels. Marie wusste nach wie vor nichts von diesem Projekt. Bis dahin arbeitete ich Mails ab und machte mir einen Kaffee. Um halb elf packte ich schließlich alles ein, was ich für den Imagefilm brauchen würde und meinte zu Marie nur: „Hab einen Auswärtstermin." Sie fragte gar nicht weiter nach, nahm meine Worte einfach so hin und vertiefte sich wieder in ihren Computer.
Ich schleppte alles zu meinem Auto und fuhr los. Eine knappe Viertelstunde später kam ich an. Victor stand bereits vor der Eingangstüre und wartete auf mich. „Hey, schön, dass es endlich klappt", meinte er und half mir beim Tragen. Auf dem Weg zur Halle besprachen wir nochmal die letzten Details. Zuerst sollte ich einen Spieler filmen, wie er aus der Kabine in die Halle lief und dort die anderen Jungs begrüßte. Dazu wurde Dule ausgewählt. Ich besprach kurz mit ihm den Ablauf und bereitete auch die anderen in der Halle vor und da traf ich das allererste Mal wieder auf Elias. Ich hatte es völlig vergessen. Er starrte mich an, ich starrte ihn an, eine gefühlte Ewigkeit. Dule riss mich aus dieser Starre: „Soll ich links oder rechts laufen? Was ist besser?" „Äh... ich... links", stammelte ich verlegen und drehte mich von meinem Ex-Freund weg. Zusammen mit dem Kroaten ging ich zurück in die Kabine und dort starteten wir auch gleich mit dem Dreh. Währenddessen versuchte ich die Gedanken an Elias einfach auszublenden. Das gelang mir einigermaßen gut.
Während sich die Jungs aufwärmten, machte ich auch ein paar Videos. Danach fuhr ich mit Victor zur Wunderino-Arena. Mit einer Drohne machten wir Aufnahmen von außen. Das Wetter heute war dazu perfekt. Beim ersten Spiel nächste Woche würde ich noch Aufnahmen von innen, insbesondere vom Einlauf in die Arena machen. Danach ging es zurück zum Trainingszentrum. Auch hier machten wir noch die ein oder andere Aufnahme, bis das Training Jungs beendet war. Victor bedankte sich für diesen ersten Teil. Übermorgen würde es gleich weitergehen, wenn Samir als Europameister die Halle betrat. Das sollte auch gefilmt werden. Für heute war Schluss. Elias ignorierte mich beim Vorbeilaufen. Stattdessen redete ich noch kurz mit Niclas und Sven.
„Hast du Lust, was essen zu gehen?", fragte Sven. „Oh ja, ich habe richtig Hunger jetzt. Um 14.00 Uhr muss ich nur wieder zurück im Studio sein, da habe ich den nächsten Termin." Sven meinte: „Dann dusche ich schnell, dann können wir in einer Viertelstunde hier losfahren." Er wandte sich Niclas zu: „Willst du auch mit?" „Nächstes Mal gerne, aber Natalie hat gekocht", sagte er. „Dann warte ich am Ausgang", gab ich Sven zu verstehen.
Ich verlud meine Sachen ins Auto und wartete auf den Treppenstufen vor der Halle auf meinen Kumpel. Gerade verließ Elias die Halle. Ich schaute ihn an, doch er drehte sich provokant weg. „Reden wir nicht mehr?", rief ich ihm sauer hinterher, doch auch auf diese Aussage ging er nicht ein. „Reg dich nicht auf! Er hat allen Grund, sauer zu sein. Vergiss das nicht", ertönte plötzlich eine Stimme neben mir. „Ach Sven", seufzte ich, „Es fällt mir trotzdem schwer." „Ich weiß. Wann kommt Karl zurück? Ich habe euch gestern oft reden sehen in Köln." „Heute Abend. Wahrscheinlich aber erst ziemlich spät. Wir wollten morgen vielleicht mit Marie reden", erzählte ich, während wir zu unseren Autos liefen. „Zusammen?" Ich nickte. „Vielleicht keine schlechte Idee", bestätigte Sven unser Vorhaben. „Denkst du, Elias kriegt sich wieder ein?", wechselte ich das Thema. „Gib ihm Zeit", sagte Sven und es klang so weise. Ich wusste, dass er recht hatte.
Beim Mittagessen erzählte Sven: „Ich habe übrigens jemanden kennengelernt. Wir sehen uns grad häufiger." „Das freut mich", sagte ich aufrichtig und musste lächeln. Sven hatte jemanden an seiner Seite verdient. Jemanden, von dem er wertgeschätzt wurde. „Woher kennt ihr euch?", wollte ich wissen. „Von einer Silvesterparty. Wir haben bei einem Kumpel von mir gefeiert, den sie auch kennt und im Laufe des Abends sind wir dann ins Gespräch gekommen", erzählte der Handballer. „Wie schön. Gab es einen Neujahrskuss?", fragte ich grinsend. „Einen nicht ganz pünktlichen", beantwortete Sven ehrlich. Er wirkte glücklich, wenn er von ihr erzählte. Sie war wohl zwei Jahre jünger als er, wohnte ebenfalls in Kiel und hatte mit Handball nur wenig am Hut. „Was ist euer aktueller Stand? Seid ihr zusammen?", wollte ich wissen. „Nein. Sie will es langsam angehen, das hat sie mir gesagt und jetzt habe ich Angst, sie mit dieser Frage zu überrumpeln. Wir daten uns einfach. Das ist alles." „Das wird schon", sprach ich meinem Kumpel Mut zu. Ich war wirklich froh, dass wir mal nicht immer nur über mich und meine Probleme redeten.
Leider musste ich nach dem Essen schnell aufbrechen, weil ich zurück in meinen Laden musste. Ich verabschiedete mich von Sven und fuhr los. Dort lud ich zunächst alle Utensilien von vorhin aus. Vollbepackt trat ich ein. „Wo kommst du denn jetzt her?", fragte Marie verwundert. „Auswärtsshooting, habe ich doch gesagt", verteidigte ich mich. „Ja, aber mit solch schweren Geschützen fahren wir doch selten aus", merkte sie mit einem Hauch Sarkasmus an. „Lass das doch einfach meine Sache sein", reagiere ich humorfrei und stellte alles in der Ecke ab. Marie zog ihre Augenbrauen nach oben und tippte weiter auf der Kamera in ihrer Hand herum.
Gegen 18.00 Uhr war ich zuhause. Karl hatte mir geschrieben, dass er vor zehn nicht da sein würde. Er fragte aber, ob ich ihn am Bahnhof abholen könnte. Natürlich tat ich ihm den Gefallen. Ich wollte einfach keinen Moment länger warten, ihn zu sehen, ihn in meine Arme zu schließen und einfach tagtäglich bei ihm zu sein. Ich hatte ihn so schrecklich vermisst! Pünktlich fuhr ich los, damit ich ja nicht zu spät kam. Ich vermutete, dass Eric auch dabei war und ich ihn auch kurz heimfahren sollte. Es würde mich wundern, wenn die beiden zu verschiedenen Zeiten in Kiel eintreffen würden. Diese Vermutung bestätigte sich, als ich zwei großgewachsene Menschen mit viel Reisegepäck auf mein Auto zusteuern sah. Ich stieg aus, um die beiden Schweden in Empfang zu nehmen. Als Karl mich sah, ließ er alles stehen und liegen und ich sprang in seine Arme. Fast wie in einem Film. Wir verluden das Gepäck der beiden in meinem Kofferraum, danach stieg Karl auf der Beifahrerseite ein und sein Mannschaftskollege nahm auf dem Rücksitz Platz.
„Ich bin so froh, dass du wieder da bist. In der Wohnung fehlt was", sagte ich zu Karl. Es war mir egal, dass Eric das Gespräch verfolgen konnte. Ich vertraute ihm in der Hinsicht. „Ich bin auch froh, endlich wieder heimzukommen und in meinem eigenen Bett zu schlafen. Irgendwann reicht es mit der Reiserei und den tausend verschiedenen Hotels", meinte mein Mitbewohner. Eric pflichtete ihm bei. Er sagte: „Ich falle heute Abend einfach nur in mein Bett und schlafe so lange, bis morgen der Wecker zum Training klingelt." „Müsst ihr morgen gleich wieder einsteigen?", fragte ich. „Filip hat uns die Option offengehalten. Spätestens am Mittwoch müssen wir anwesend sein, weil wir am Wochenende schon spielen, aber ich glaube tatsächlich, das Training morgen lasse ich mir noch offen. Je nachdem wie fit ich bin", beantwortete Karl meine Frage. „Ich an eurer Stelle würde den freien Tag genießen. Ihr wart über einen Monat unterwegs, erholt euch doch. Oft bekommt ihr nicht mehr die Gelegenheit dazu", gab ich meine Einschätzung ab.
Wir kamen bei Erics Wohnung an. Er lud seine Taschen aus und verabschiedete sich von Karl und mir. Ich wartete kurz, bis er die Tür aufgeschlossen hatte, dann fuhren wir nach Hause. „Danke übrigens fürs Abholen", meinte Karl auf den letzten Metern. Inzwischen war es kurz vor halb elf. „Kein Problem. Hauptsache ich konnte dich heute noch sehen. Das war mir am wichtigsten." „Ich habe dich übrigens auch vermisst", gestand er im nächsten Moment. Automatisch musste ich lächeln. Ich suchte nach einem freien Parkplatz in unserer Straße. Das stellte sich um diese Uhrzeit als nicht sonderlich einfach heraus. Schließlich fand ich einen in der nächsten Seitenstraße. Somit mussten wir zwar ein kleines Stück laufen, aber das war mir egal. Mir war alles egal - Hauptsache Karl war wieder bei mir. Das war alles, was gerade für mich zählte!
„Ich packe morgen in Ruhe aus", meinte er, nachdem wir die Wohnung betreten hatten. Er stellte alles nur in der Ecke ab und nahm mich im Anschluss einfach in den Arm. Er sagte: „Es war nie meine Absicht, dich und Elias auseinanderzubringen. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen viel nachgedacht und es war wirklich das letzte, was ich wollte. Ich habe ein unglaublich schlechtes Gewissen wegen eurer Trennung und es tut mir so unfassbar leid. Ich fühle mich schuldig und verantwortlich dafür. Ich habe dir versprochen, das mit Marie nicht in Schweden zu beenden. Ich habe mich nicht daran gehalten. Dadurch kam doch das eine erst zum anderen. Vanessa, du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich das nie wollte!"
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Sweet Lies
FanfictionEine Beziehung, die bereits auf einer Lüge aufbaut, kann keine Zukunft haben. Das weiß auch die 23-Jährige Vanessa, doch der Reiz und die Versuchung ist größer. Sie kann einfach nicht widerstehen, auch wenn sie genau weiß, dass ihr Verstand etwas An...