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„Wir haben geredet. Schon bei unserer letzten Auswärtsfahrt. Der Tag, an dem wir uns nachmittags noch alle gesehen haben. Nach dem Abendessen am Mittwoch hatten wir noch Zeit. Training hatten wir keins mehr. Wir sind in mein Zimmer und haben alles geklärt." „Und was kam dabei raus?", wollte ich genauer wissen. „Er war ziemlich verletzt und enttäuscht von mir. Er meinte, ich hätte die Situation ausgenutzt, nur um an dich ranzukommen, wohlwissend, dass ich seine Gefühle dabei verletzen würde." Bei den Worten kam bei mir direkt eine Frage auf: „Hast du das nicht auch?" „Nein! Es hat sich so ergeben. Das eine hat zum anderen geführt. Auch wenn ich damals schon länger an dir interessiert war, hätte ich mich nie zwischen euch gedrängt. Außerdem war ich selbst in einer Beziehung. Erst als Elias an der Weihnachtsfeier so aufdringlich, fast übergriffig wurde, habe ich überhaupt angefangen, darüber nachzudenken, dass da vielleicht doch was möglich wäre. Außerdem wusste ich nicht mal, dass er sich plötzlich doch mehr mit mir vorstellen kann", erläuterte Karl. „Elias meinte, du wolltest ihn auf den Toiletten küssen. Stimmt das?" „Ich habe tatsächlich kurz darüber nachgedacht. Es kamen für einen Moment alte Gefühle auf. Ich weiß gar nicht, was da plötzlich in mich gefahren ist", rechtfertigte mein Mitbewohner.

Ich war still und aß weiter an meinem Essen. Irgendwie war die Stimmung etwas gedämpft. Karl lud sich nochmal eine Portion nach.

„Ich hatte das Gefühl, du meidest in letzter Zeit meine Nähe", ließ ich ihn wissen. „Vielleicht ein bisschen", gestand er schließlich und legte sein Besteck zur Seite. Jetzt war ich doch sprachlos. Mit der ehrlichen Antwort hatte ich nicht gerechnet. „Warum?" „Das ist alles bisschen komplizierter. Ich will das jetzt ungern beim Essen besprechen." „Okay", nickte ich und schob das letzte Stück Fisch in meinen Mund. Ich war satt, außerdem war mir mit der Aussage eben der Appetit vergangen. Karl aß seine Portion noch zu Ende, danach räumten wir alles schnell in die Spülmaschine. Gemeinsam setzten wir uns anschließend mit einem gewissen Sicherheitsabstand ins Wohnzimmer.

„Es fällt mir grad alles sehr schwer", begann Karl das Gespräch, „ich kann meine Gefühle für dich nicht ignorieren!" Sofort grätschte ich dazwischen und gestand: „Ich habe auch Gefühle für dich!" Ich hatte mich offenbart. Plötzlich zitterten meine Hände, meine Arme, meine Beine, alles. Ich war furchtbar nervös vor seiner Reaktion. Und mit der ließ er sich ganz schön Zeit. Ich biss mir immer wieder auf die Unterlippe, bis diese irgendwann schmerzte. Warum sagte er nichts? Warum saß er da wie ein Eisblock? War es doch zu spät?

„Ich habe dir vorhin beim Essen nicht alles erzählt", kam es nach einer halben Ewigkeit von Karl und er wischte sich eine Träne weg. Sein Gesichtsausdruck sah gar nicht gut aus. Was würde er mir gleich erzählen? Endlich begann er zu reden: „Wir haben die Nacht zusammen verbracht. Also Elias und ich. Nach... nachdem wir an dem Abend noch geredet hatten. Und wir... naja... wir hatten Sex." Ich wusste es! Meine Miene erstarrte, mein Körper hörte auf zu zittern. Ich war einfach nur noch anwesend. Minuten vergingen, ich bewegte mich keinen Zentimeter. Ich hatte es die ganze Zeit im Gefühl und die Bestätigung hatte ich gerade eben erhalten. Ich war zu spät.

„Es war aus dem Affekt heraus", sagte Karl und fragte dann: „Magst du mich wirklich?" Ich war noch immer nicht fähig zu sprechen. Meine Augen waren starr auf den Couchtisch gerichtet. „Ich dachte, das mit uns wäre durch. Deshalb habe ich das gemacht. Du weißt, bäste vänner och själsfrände. Jag älskade dig hela tiden, även om jag aldrig sa det till dig." Karl war auf einmal ins Schwedische gerutscht. Oder war es seine Absicht? Traute er sich nicht das zu sagen, was er mir gerne sagen wollte? Er wusste genau, dass ich ihn nicht verstehen konnte. Ich wartete auf seine Übersetzung, aber diese folgte nicht. Also schwieg ich weiter.

„Hast du Lust, morgen Abend mit mir ins Kino zu gehen?", fragte mein Mitbewohner plötzlich aus dem Nichts heraus. Woher der plötzliche Sinneswechsel? „War es das, was du mich gerade auf Schwedisch gefragt hattest?", wollte ich wissen. Er verneinte: „Das Schwedische war keine Frage. Es war eine Aussage. Aber jetzt habe ich dir eine Frage gestellt. Was ist deine Antwort?" „Ich würde mich freuen", lächelte ich schüchtern. Das erste Mal schaute ich wieder auf. In Karls Augen hatten sich Tränen gesammelt. Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und meinte dann: „Danke nochmal für das Essen. Ich muss noch ein wichtiges Telefonat führen. Ich weiß nicht, ob wir uns morgen früh sehen, ich muss zum Training, aber morgen Abend steht. Versprochen! Gute Nacht, Vanessa!" Etwas überrumpelt von seinem plötzlichen Abgang wünschte ich ihm auch eine gute Nacht. Sofort gingen wieder die Gedankenspielchen in meinem Kopf los. Mit wem telefonierte er? War das Gespräch so wichtig? Warum war er so hastig aufgebrochen?

Ich versuchte mir nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, doch das war leichter gesagt als getan. Ich ging kurz darauf auch in mein Zimmer, nachdem ich mich im Bad gerichtet hatte. Ich schrieb Jakob und schilderte ihm grob meinen Abend und gestand, dass ich nicht schlauer als davor war. Scheinbar hatten wir aber morgen ja jetzt ein Date. Oder warum sollten wir sonst ins Kino gehen? Ganz aufgegeben hatte ich jedenfalls noch nicht.

...

Karl: Hättest du Lust, nachher schon bisschen früher was zu machen? Wir wollten uns mit den Jungs am Strand treffen und das gute Wetter bisschen genießen. Kino danach bleibt aber natürlich🙈 dann auch nur wir beide
Vanessa: Klar, gerne :) hab sowieso nichts anderes zu tun heute
Karl: Dann treffen wir uns um 14 Uhr in Laboe
Vanessa: Alles klar☺️

Gut gelaunt kramte ich aus der untersten Ecke meines Schrankes einen Bikini raus, schmiss Handtuch und Wechselklamotten in eine große Tasche und holte noch die Sonnencreme aus dem Bad. Ich ging davon aus, dass wir vor dem Kino nochmal kurz heimkommen würden, um uns frisch zu machen. So sandig und verschwitzt ging ich abends nur ungern aus. Als ich fertig war, stieg ich in mein Auto und fuhr nach Laboe hinaus. Man merkte, dass es die Leute nach und nach immer mehr rauszog. Der Parkplatz war schon gut voll, aber ich fand eine kleine Lücke, in die ich mich hineinquetschte. Ich sah bereits viele bekannte Autos, daher wusste ich, dass die THW-Jungs bereits da waren. Dass Elias' Auto auch hier stand, schmeckte mir nicht ganz so gut, aber da musste ich jetzt durch. Mein Fokus lag einzig und allein auf Karl.

Schon von weitem sah ich die groß gewachsenen Jungs am Strand stehen, die Füße im Wasser, der Blick hinaus aufs Meer und auf die Kieler Förde gerichtet. Strahlend lief ich auf sie zu. Magnus und Niko waren die ersten beiden, die mich entdeckten. Sie winkten mir zu. Direkt neben ihnen erkannte ich Karl. Außerdem waren neben Elias noch Tomas, Eric und Rune dabei. Ich freute mich so sehr, sie alle wiederzusehen. Nach und nach waren auch die anderen auf mich aufmerksam geworden. Ich umarmte alle zur Begrüßung. Auch Elias und auch Karl. Wir waren alle erwachsen. Nach dem klärenden Gespräch mit meinem Ex hatten sich die Dinge auch wieder normalisiert. Darüber war ich froh. Es waren jedoch Eric und Magnus, die mich sofort in ein Gespräch verwickelten. Wir hatten uns alle lange nicht mehr gesehen. Eric war auch schon Ewigkeiten nicht mehr bei uns zuhause gewesen. „Karl war in letzter Zeit oft bei mir", erzählte er. Das erklärte zumindest, weswegen Karl nicht zuhause war. Es beruhigte mich ungemein, dass er seine freie Zeit nicht mit Elias verbracht hatte.

„Hey, spielt ihr Volleyball mit?", fragte Tomas in die Runde. Er und Elias hatten schon ein Netz aufgebaut und mit Steinen ein Feld markiert. Karl hatte mir mal gesagt, dass die beiden aktuell viel Zeit miteinander verbrachten. Elias wirkte ganz glücklich. Schnell bildeten wir zwei Teams: Eric, Karl, Magnus und ich gegen Elias, Tomas, Rune und Niko.

Das Spiel ging los. Karl machte für unser Team den ersten Aufschlag. Dieser kam zwar mit viel Schwung, blieb aber im Netz hängen. Auf der Gegenseite machte Niko es nicht besser und so stand es 1:1. Eric stellte sich besser an und schaffte es, dass unsere Gegenspieler den Ball nicht unter Kontrolle bringen konnten und so einen weiteren Punkt an uns abgeben mussten. Es dauerte noch einige Zeit, bis wir alle ins Spiel fanden, doch danach lief es auf beiden Seiten richtig gut. Es waren wirklich schöne Ballwechsel dabei und auch wenn ich den Jungs größentechnisch natürlich unterlegen war, gab ich mein bestes, um auch meinen Teil zum Erfolg beizutragen.

Das erste Match ging knapp an uns. Es strengte aber mehr an, als wir dachten und so brauchten wir alle erstmal eine Trinkpause. Ich wusch mein Gesicht kurz mit dem kalten Meerwasser ab, als Elias plötzlich neben mir stand. „Ich wusste nicht, dass du kommst", sagte er. „Ich bin auch nicht davon ausgegangen, dass du hier bist", offenbarte ich. „Ein bisschen komisch ist es, aber ich will eigentlich gar nicht, dass es komisch ist." Ich sah die Sache etwas anders: „Der erste Moment hat mich auch kurz stutzig gemacht. Aber sollen wir uns ein Leben lang ignorieren? Wir kennen nun mal dieselben Leute und unsere Wege werden sich immer wieder kreuzen. Das ist aber doch nichts Schlimmes. Ich meine, wir hatten eine schöne Zeit und die kann uns auch keiner mehr nehmen. Keiner sagt, dass wir uns ab jetzt hassen müssen." Mein Ex-Freund schien nachzudenken: „Eigentlich hast du recht. Komm, die Jungs stehen schon zur zweiten Runde bereit."

Immer wieder wechselten wir die Teams etwas durch. Jeder spielte mal mit jedem. Es war wirklich ein rundum gelungener Nachmittag, der noch lange nicht zu Ende war!

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt