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„Vanessa!"

So schnell wie meine Beine mich tragen konnten, rannte ich nach draußen auf unseren Balkon. Ich brauchte Luft. Ich brauchte Sauerstoff. Ich hielt es drinnen nicht mehr aus. Das was ich da gerade gesehen hatte... nein, nein das konnte nicht stimmen. Das durfte nicht stimmen. Das durfte einfach nicht wahr sein.

Elias und Karl?

Ich hatte noch immer Schnappatmung, als Karl kurze Zeit später zu mir nach draußen kam. „Ich habe die Spinne entsorgt", sagte er kleinlaut. Wir standen nebeneinander, schauten uns aber nicht an, blickten nur auf die abendlichen Straßen Kiels. „Danke", erwiderte ich leise. Dann herrschte wieder Schweigen. Der kalte Wind war mir egal. Ich hatte anderes im Kopf als zu frieren. „Ihr kennt euch also?", fragte Karl schließlich und schielte kurz zu mir herüber. Natürlich spielte er auf Elias an. Stumm nickte ich. „Wo ist er?" „Noch in meinem Zimmer." Wieder nickte ich nur.

„Ist er dein heimlicher Besucher? Der, der sich nachts immer rausschleicht?" Ich musste es einfach wissen. Jetzt war Karl derjenige, der auf meine Frage nur mit einem schwachen Nicken antwortete. Es war ihm selbst unangenehm, so damit konfrontiert zu werden. „Und seit wann läuft das mit euch schon?", setzte ich nach. Karl zuckte mit den Schultern: „Paar Wochen." Seine Stimme war schwach. Verletzlich. Ich seufzte laut. Es war alles zu viel für meinen Kopf. Ich konnte das Geschehene nicht verarbeiten.

„Woher kennt ihr euch?", wollte Karl wissen. „Ist nicht wichtig." Ich atmete tief ein und aus. Ich wollte nicht, dass Karl weitere Fragen stellte - ich war nicht dazu bereit, zu antworten. Dafür brannten mir tausend Fragen auf der Zunge und ich hatte keine Ahnung, welche ich als erstes stellen sollte. Ich wischte mir einmal über meine Augen, denn dort hatten sich Tränen angesammelt, die ich nicht zeigen wollte. Auch Karl wirkte sehr nachdenklich und spielte nervös am Geländer herum.

Es war totenstill.

Ich schniefte einmal und ging dann wieder nach innen. In diesem Moment kam Elias aus Karls Schlafzimmer und wollte gerade gehen. „Warte!", hielt ich ihn auf, „Können wir reden?" Er blieb stehen und drehte sich zu mir. Er sagte nichts, deutete mir aber an, dass er einverstanden war. „Gehen wir in mein Zimmer", schlug ich vor und lief voraus. Elias folgte mir und nahm schließlich auf meinem Bett Platz. Ich saß auf meinem Schreibtischstuhl schräg gegenüber.

Ich hatte ihm so viel zu sagen, so viel zu offenbaren, aber kein einziges Wort wollte meinen Mund verlassen. Letztlich war es Elias, der mich konfrontierte: „Du wusstest von Anfang an, wer ich bin, richtig?" Fuck! Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und wimmerte: „Es tut mir alles so leid!" „Ich wusste gleich am ersten Abend als ich dich nach Hause gefahren habe, dass Karl in der Ecke wohnt - aber dass du auch noch seine Mitbewohnerin bist?!", fasste Elias unter Schock zusammen. Vor ihm konnte ich meine Tränen aktuell wirklich nicht mehr zurückhalten. Zu allem Überfluss klingelte jetzt auch noch mein Handy. Alina rief an. Ich lehnte den Anruf ab. Jetzt war es definitiv der falsche Zeitpunkt, mit meiner Schwester zu sprechen.

„Warum redest du nicht darüber, dass du Profihandballer bist? Du hast mich so verunsichert, dass ich mir gar nichts mehr getraut habe zu sagen", warf ich ihm vor. Ich hatte mich inzwischen wieder einigermaßen gefasst, trotzdem redete ich aktuell aus meinen Emotionen heraus. Meine Worte waren wenig durchdacht und vielleicht würde ich schon morgen alles bereuen. Elias entgegnete: „Weil das schon viel zu oft in meiner Vergangenheit ausgenutzt wurde. Aber das jetzt fühlt sich noch viel schlimmer an." Diese Worte so von ihm zu hören tat weh. „Und mir tut es weh zu sehen, dass du mit meinem Mitbewohner schläfst, und das nachdem ich mir selbst eingestanden habe, Gefühle für dich entwickelt zu haben." „Dafür kann ich doch nichts!", herrschte er mich an. „Dein Ernst jetzt? Ich glaube, dir fehlt jedes Gefühl von Feinfühligkeit", setzte ich dieser arroganten Aussage entgegen. „Wir sind nicht zusammen, Vanessa!", erinnerte er mich mit Nachdruck in der Stimme. „Ja, und darüber bin ich froh."

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt