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Am Abend schauten Elias und ich einen Film auf Netflix an. Kuschelnd lagen wir im Bett. Ich hatte meinen Kopf auf seiner Brust abgelegt und war schon kurz davor einzuschlafen. Mit mahnenden Küssen versuchte Elias mich immer wieder wachzuhalten. „Ich bin aber müde", quengelte ich. „Soll ich umschalten?" „Von mir aus. Dann verpasse ich wenigstens nichts", murmelte ich, gähnte und wollte es mir gerade nochmal richtig bequem machen, da öffnete sich die Türe einen Spalt.

Ein dünner Lichtstrahl fiel in den Raum und ich konnte eine große, dunkle Gestalt ausfindig machen.

„Was tust du hier?", fragte Elias mir gebrochener Stimme. „Ich langweile mich. Kann nicht schlafen", reagierte unser nächtlicher Besucher leise. „Wo ist Marie?", wollte ich gleich wissen. „Sie schläft!"

Karl bat gar nicht erst um Erlaubnis, sondern schloss die Türe hinter sich und steuerte auf unser Bett zu. „Ich wollte gerade schlafen", sagte ich mit klopfendem Herzen. „Sicher?" Karl rückte dichter an mich heran und streichelte mit seinem Finger zärtlich über meinen Oberschenkel. Sofort wurde mein ganzer Körper von einer Gänsehaut überzogen. Ich schluckte. Meine Müdigkeit war mit der Berührung von Karl verflogen. Elias schaltete den Fernseher nun komplett aus, doch Karl hatte Einwände: „Lass lieber laufen, ich will nicht, dass Marie auf uns aufmerksam wird." „Karl!", sagte ich mahnend, „Ich kann das so nicht!" „Entspann dich", flüsterte Elias.

War er so notgeil, dass ihm meine Freundschaften egal waren? Marie würde mir das hier niemals verzeihen.

„Es ist falsch!", drückte ich mich deutlicher aus. Auch das schien die beiden Handballer nicht zu beeindrucken. Sie fingen über mir an, miteinander rumzumachen. Mit ihren Zungen fraßen sie sich gegenseitig fast auf. Ich hätte die Augen schließen und all das hier ausblenden können, doch es ging nicht. Ich konnte nicht. Besser gesagt: Ich wollte nicht!

„Ich beende das mit Marie, ich verspreche es dir", meinte Karl zu mir und küsste mich daraufhin. Sofort stieß ich ihn von mir weg. „Nein! Ich bin raus! Wenn ihr ficken wollt, macht das, aber ich kann das Marie nicht antun!" Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer. Dort schnappte ich mir eine Decke und legte mich hin. Ich war nicht sauer, aber es fühlte sich falsch an. Tatsächlich war es mir auch egal, ob Karl und Elias jetzt da drinnen was miteinander hatten oder nicht, aber ich wusste, dass ich es niemals mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, im Nebenzimmer was mit ihrem Freund anzufangen.

Es war schon falsch, dass ich es gestern zugelassen hatte, aber heute hätte sie jederzeit reinplatzen und uns erwischen können. Das war es mir nicht wert.

Nachdenklich schlief ich ein und ärgerte mich am nächsten Morgen darüber, dass irgendjemand hier so einen Lärm in der Wohnung machte. Ich öffnete meine Augen, um nachzusehen. Es war Karl, der in der Wohnung umhergeisterte. Stimmt ja, er musste bald schon los zum Flughafen. Ich hatte mein Handy nicht bei mir, deshalb konnte ich nicht nachsehen, wie spät es war. Als Karl in die Küche ging, bemerkte er, dass ich wach war. Er holte sich ein Glas Wasser und setzte sich zu mir.

„Ich hatte nicht vor, dich zu vergraulen gestern. Das war wirklich das letzte, das ich wollte", gestand er. „Hast du bei Elias geschlafen?" Ich ging auf seine Aussage gar nicht ein. Mein Mitbewohner schüttelte den Kopf. „Lief noch was zwischen euch?", fragte ich weiter. Wieder schüttelte er den Kopf und ergänzte kurz darauf: „Nachdem du weg warst, hatte ich auch keine Lust mehr." „Warum auf einmal ich?" „Weiß nicht, du hast Humor, siehst gut aus, bist die beste Mitbewohnerin, die man sich wünschen kann", zählte Karl auf. „Du verwirrst mich", gab ich zu. „Hast du gestern tatsächlich wegen Marie die Flucht ergriffen oder hattest du Angst? Angst, dass wir uns näher kommen als dir lieb ist? Angst, dass ich mehr Gefühle zu dir aufbaue, als du erwartest?" Ich musste bei seinen Worten schlucken. Er stimmte mich nachdenklich. Sehr nachdenklich. Mit seiner rechten Hand strich er mir eine Haarsträhne beiseite. „Ich bin duschen!", hauchte er dicht an meinem Hals und ließ mich im Wohnzimmer zurück.

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt