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„Hey Vanessa, beruhig dich!", meinte Marie sanft. Ich war wirklich froh, dass sie mich in diesem Moment nicht anschrie. Jetzt kamen auch mir die Tränen, ich war aber zu stolz, es mir vor meiner Schwester anmerken zu lassen und wischte sie schnell ab. „Ich will einfach nur zu Elias", murmelte ich vor mich hin und war mir gar nicht sicher, ob es bei meinen beiden Zuhörerinnen ankam. Ich war froh, dass wir schon kurz vor Kiel waren. „Bist du noch dran?", fragte ich Marie nach einer Weile. „Ja, bin ich. Was war denn los? Das kann doch sicher nicht alles gewesen sein." „Ich will dich jetzt nicht mit meinen Probleme zutexten. Du wolltest mit mir sprechen und jetzt muss ich erstmal für dich da sein", meinte ich. „Nein, jetzt solltest du erstmal für Alina da sein! Karl wird sich auch in den nächsten beiden Stunden nicht ändern - wenn doch, freue ich mich. Ruf mich einfach an, wenn du daheim bist. Abgemacht?" „Ja, danke Marie", lächelte ich schwach - auch wenn sie das nicht sehen konnte.

Alinas Tränen waren mittlerweile getrocknet und sie starrte betrübt aus dem Fenster. Was hatte ich da nur angerichtet? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn ich fühlte mich nach wie vor im Recht. Eine Entschuldigung sah ich nicht ein, nicht in diesem Moment. Ich musste eine Nacht darüber schlafen und morgen konnte ich das ganze nüchtern betrachtet noch einmal reflektieren. Eine Entschuldigung zum jetzigen Zeitpunkt wäre einfach nicht ehrlich gewesen - dazu waren meine Emotionen auch noch viel zu stark. Also schwieg ich, wie ich es mir doch den ganzen Nachmittag schon vorgenommen hatte. Besser wurde die Situation dadurch aber nicht. Alina kamen schon wieder die Tränen. Was hatte ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?

Vor ihrer WG stellte ich das Auto ab und wartete darauf, dass sie ausstieg. Sie dagegen wartete offenbar auf eine Entschuldigung meinerseits oder zumindest auf eine Erklärung. „Wir reden morgen nochmal", sagte ich kühler als ich wollte. Sie schniefte, stieg dann aber aus und ging davon. Mmh. Gut fühlte ich mich nicht.

Ich fuhr die restliche Strecke zu mir nach Hause und ließ mich dort erstmal auf das Sofa fallen. Was ein Tag! Bevor ich Marie zurückrief, schickte ich Elias eine Sprachnachricht und gestand, dass ich mich nicht beherrschen konnte. „Es war einfach zu viel alles", beendete ich die Aufnahme und wartete darauf, dass beide Haken aufleuchteten.

Ich duschte kurz und rief dann nochmal meine beste Freundin an. Natürlich wollte sie alles haargenau wissen, also erzählte ich von meinem katastrophalen Weihnachtsfest von Anfang an. „Du warst schon immer sehr selbstständig", suchte sie nach einer plausiblen Erklärung für das Verhalten meiner Familie, „Du hast alles alleine gemacht. Alina ist das Gegenteil von dir, du kannst sie nicht mit dir vergleichen." „Aber das heißt doch nicht, dass ich der Depp für alle bin. Nur weil ich Autofahren kann, muss ich sie nicht überall hinkutschieren." „Da gebe ich dir recht. In der Situation heute hast du aber überreagiert. Es ist Weihnachten, vergiss das nicht", redete sie auf mich ein. „Und gestern? Habe ich da auch überreagiert? Ich bin doch nur gegangen, damit gerade das nicht passiert. Ich halte es einfach nicht aus, wenn sie schlecht über Elias reden." Nachdenklich starrte ich an die Decke. Marie kannte mich besser als jeder andere Mensch. Auch wenn wir in den letzten Wochen hin und wieder unsere Differenzen hatten, wenn es hart auf hart kam, konnten wir uns aufeinander verlassen. Schon immer. „Ich muss irgendwann noch mein Auto holen", seufzte ich. „Frag doch Sven, der fährt dich sicher nochmal", schlug meine beste Freundin vor. „Das ist mir echt unangenehm, wenn er wegen mir zweimal nach Neumünster fahren muss. Im Prinzip ist es egal, Karls Auto ist ja da. So schnell kommt er ja nicht mehr nach Kiel zurück. Apropos Karl - hat sich was getan?" Maries Antwort folgte schnell: „Nein, hätte mich auch gewundert. Kannst du dir erklären, warum er so schräg drauf ist?"

Oh ja, nur zu gut... Er ließ seinen Worten offensichtlich Taten folgen... gar nicht gut, nicht jetzt! So ein Vollidiot!

„Nein, ich habe keine Ahnung", log ich. Es war zu ihrem Schutz. Ich wollte Marie nicht den Schweden-Trip versauen und Karl würde noch etwas von mir zu hören bekommen. Da konnte er sich sicher sein. Er hatte definitiv den falschen Zeitpunkt ausgewählt, die Trennung der beiden einzuleiten!

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt