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„Hast du den Brief Elias jetzt gegeben?", hakte ich bei Karl nach. „Ähm, ne... vergessen", redete sich mein Mitbewohner heraus. „Karl!", klagte ich, „Das sagst du jetzt bereits seit drei Tagen!" „Sorry", murmelte er und wollte schon wieder gehen. „Hey, wenn du's nicht auf die Reihe kriegst, dann gib mir den Brief einfach zurück. Ich finde jemand anderen oder schmeiße ihn einfach in seinen Briefkasten." Karl druckste herum. „Was?", fuhr ich ihn säuerlich an. „Ich... Ähm... vielleicht... naja, möglicherweise habe ich den Brief verloren." „Verloren?" Ungläubig stemmte ich die Hände in die Hüften. „Oder vielleicht habe ich ihn auch untergehen lassen", gestand der Handballer schließlich kleinlaut. „Karl!" „Sorry", schob er schnell nach und schaute zu Boden. Ich war echt angefressen. Ich hatte mich auf ihn verlassen! Nur weil er Briefe altmodisch fand, musste er mir nicht gleich einen Strich durch die Rechnung machen. Das fand ich mehr als unfair. Ich wollte damit etwas gutmachen und er hatte es mir versaut. Ich hätte nochmal einen Brief schreiben können, aber die Lust war mir jetzt vergangen.

Draußen war schönes Wetter, ich holte mein Fahrrad aus dem Keller und drehte eine kleine Runde. Es war schön mitanzusehen, wie die Welt Tag für Tag mehr zum Leben erwachte, zarte Blumen aus der Erde sprießten und die Vögel wieder umherflatterten. Ich liebte den Frühling. Ohne darüber nachzudenken fuhr ich in Richtung Elias' Wohnung, drehte dort immer wieder meine Runden, fuhr links, fuhr rechts und plötzlich öffnete sich die Türe. Elias kam heraus. In der Hand hielt er einen leeren Einkaufskorb. Jetzt oder nie! Ich radelte im Vollspeed los und legte eine Vollbremsung neben ihm ein. Ich weiß nicht, ob es der Schock des Schrecks war oder der Schock, mich zu sehen. Meinem Ex-Freund entglitten jedenfalls alle Gesichtszüge. „Ich hatte dir einen Brief geschrieben", erzählte ich, bevor ich überhaupt Hallo sagte. Elias war mehr als verwirrt. „Karl sollte ihn dir geben", fuhr ich fort, „Das hat er nicht getan. Also bin ich jetzt hier. Können wir bitte reden?" „Ich wollte gerade einkaufen gehen", meinte er. Ich konnte seine aktuelle Gefühlslage nicht deuten. Sein Blick war gleichgültig und leer. „Bitte Elias. Es ist mir wirklich wichtig", übte ich weiter Druck aus. „Okay", sagte er endlich. Wir liefen ein paar Meter und ich schob mein Fahrrad neben mir her.

„Wie geht's dir?", startete ich das Gespräch. Er zuckte mit den Schultern: „Ging mir schon mal besser. Die Saison ist lang, bei uns läuft's nicht. Schwierig alles", redete er um den heißen Brei. „Es tut mir leid, was damals passiert ist. Es tut mir leid, dass ich dich mit Karl betrogen habe." Endlich war es raus. Vier einfache Worte, die doch so viel Kraft und Mut kosteten. „Es ist meine Schuld", unterbrach mich Elias unerwarteterweise. „Ich konnte Karl nicht loslassen. Ich wollte diesen Dreier so unbedingt an diesem Abend. Ich habe Karl auf der Weihnachtsfeier heiß gemacht." Perplex schaute ich meinen Ex-Freund an. Ich verstand gar nichts mehr. „Karl und ich haben uns an diesem Abend zufällig auf der Toilette getroffen. Wir... wir haben ein bisschen geredet. So wie schon lange nicht mehr. Ich wurde an frühere Zeiten erinnert." „Und dann?", fragte ich. Elias erzählte:

Flashback Dezember 2023

„Karl!", sagte ich überrascht, als ich die Tür zu den Toiletten öffnete. „Elias!" Karl hatte gerade seine Hose geöffnet. Ich stellte mich direkt neben ihn an das nächste Pissoir. Wir konnten uns fast berühren. Ein Kribbeln durchzog meinen ganzen Körper. Ich konnte nicht aufhören, auf seinen Schwanz zu starren und irgendwann merkte ich, dass es ihm nicht anders erging. Unsere Blicke trafen sich. Aufregung, Spannung, Lust - es lag alles in der Luft. Wir beide hatten wohl schon ein paar Gläser zu viel intus. Trotzdem hatte dieser Moment etwas Magisches an sich. Ich dachte an unsere geheimen Dates, die unbemerkten Küsse in der Dusche und an unseren atemberaubenden Sex zurück. „Ich vermisse es, Karl", hauchte ich leise an seine Halsbeuge. Wir hatten uns inzwischen einander zugewandt. „Wir sollten nicht daran denken, Elias", entgegnete er erregt. „Damals gab es nur uns beide", fügte ich an. „Du hast mich verletzt. Ich habe Gefühle aufgebaut." Die Worte trafen mich hart, auch wenn ich es eigentlich schon wusste. Es nochmal von ihm ausgesprochen zu hören, verletzte mich wiederum. „Hättest du dir gewünscht, es wäre anders gelaufen?", wollte ich wissen. Ich kam ihm immer näher. Nur noch wenige Zentimeter trennten uns voneinander. „Damals ja. Ich bin darüber hinweg." „Sicher?" Mit meiner rechten Hand griff ich in seinen Schritt. Kurz stöhnte er auf. Ich massierte sein Glied. Seine Beule wurde größer und größer. „Elias. Das sollten wir nicht tun!", warnte er mich, doch ich ließ nicht locker. Noch siegte sein Verstand, doch spätestens als meine Hand in seine Hose hineinwanderte, schaltete er seinen Kopf für einen Moment aus und gab sich der Lust ganz hin.

Flashback Ende

„Du hast ihm einen runtergeholt?", fragte ich schockiert nach. „Danach wollte er mich küssen, aber dann wurden wir gestört. Peke kam gerade zur Tür rein." Plötzlich kehrte sich alles um. Ich verstand langsam die Welt nicht mehr. War ich also gar nicht Schuld an der Trennung? Hatte Elias mich gar nicht mehr geliebt? Ich wusste nicht mehr, was ich noch denken und glauben sollte. „War danach noch was?" „Nein. Ich bin auch wieder zurück an Tisch und in dem Moment bist auch schon du auf mich zugekommen. Es war so komisch, Karl in dem Moment gegenüberzusitzen. Ich war echt froh, dass du mich da rausgeholt hast, beziehungsweise hatte ich auf einmal so ein schlechtes Gewissen dir gegenüber. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr in diesem Saal zu bekommen. Daraufhin sind wir nach draußen gegangen. Den Rest der Geschichte kennst du", sagte Elias. „Mir sind eure Blicke an diesem Abend ja nicht entgangen. Aber das überrascht mich jetzt doch schon etwas", gab ich zu. „Es tut mir leid, Vanessa", seufzte mein Ex-Freund. Danach war es erstmal still. Wir beide dachten nach.

„Kann es sein, dass es dich mehr wegen Karl verletzt hat, dass wir was miteinander angefangen haben, als wegen mir?", fragte ich ziemlich direkt. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Wir waren seit Wochen getrennt. „Zu Beginn hatte Karl mehr Gefühle für mich als ich für ihn. Dann sind wir beide zusammen gekommen. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich dich geliebt habe, aber ich habe nach einer gewissen Zeit einfach gemerkt, dass es mir nicht reicht. Ich finde nun mal Männer genauso attraktiv. Das wusstest du von Anfang an. Es war eine Auswärtsfahrt Ende November, die mich daran erinnert hat, wie sehr ich Karl doch eigentlich mag. Dass ich ihn vielleicht doch mehr als freundschaftlich mag. Ich wollte es mir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht eingestehen. Ich habe es Karl auch nie gesagt. Bis heute nicht."

„Du hast noch Gefühle für ihn?", fragte ich nach kurzer Zeit. Geknickte nickte Elias. „Und ihr habt in der ganzen Zeit echt nie darüber gesprochen?", hakte ich ungläubig nach. „Wir reden ja nicht mehr miteinander." Stimmt, da war ja was... Ich wurde etwas säuerlich: „Weißt du eigentlich, wie lange es mir scheiße ging und ich mir den Kopf darüber zerbrochen habe, weil ich dachte, ich hätte dich so verletzt?" „Du hast mich verletzt. Denkst du, die Trennung hätte mir nicht wehgetan? Ich habe dich geliebt. Ich habe euch beide geliebt, Karl und dich. Und dann erfahre ich, dass die beiden Menschen, die mir im Leben am meisten bedeuten, mir hinter meinem Rücken fremdgegangen sind und mich wochenlang belogen haben. Glaubst du, das fühlt sich schön an?" „Natürlich nicht", sagte ich mit gesenkter Stimme. „Ich habe nichts mit Karl alleine angefangen, immer nur mit dir zusammen." „Du hast ihm doch einen runtergeholt. Zählt das nicht?", fragte ich vorwurfsvoll. „Ich habe euch am Ende beide verloren. Das ist das, was letztlich zählt." Elias lehnte sich gegen eine Straßenlaterne. Er war stehen geblieben. Ich balancierte unterdessen auf der Bordsteinkante und versuchte das Gleichgewicht zu halten. Ab und zu trat ich versehentlich auf die Straße. „Warum erzählst du jedem, Karl und ich seien zusammen?" „Ist das nicht so? Euch sieht man ja nur noch zusammen", begründete er ungerechtfertigt. „Du weißt gar nichts über mein Leben und über das von Karl wahrscheinlich auch nicht", warf ich ihm vor. „Was ist das dann zwischen euch? Und sag mir nicht, ihr seid einfach nur normale Freunde. Das nehme ich euch nicht ab." Ich dachte kurz nach, ob ich Elias die Wahrheit sagen sollte. Schließlich erzählte ich: „Ich kann Karls Gefühle nicht erwidern, weil ein kleiner Teil meines Herzens dich noch immer liebt. Dieser Teil kann dich nicht vergessen und dieser Teil will nicht mit der Beziehung abschließen. Deshalb sind Karl und ich nur beste Freunde und nicht mehr." „Und wenn es nach ihm ginge?", wollte Elias wissen. „Das spielt doch überhaupt keine Rolle. Man kann keine Beziehung erzwingen und ich glaube, du weißt am allerbesten, wie es sich anfühlt, wenn die Gefühle verrückt spielen und man plötzlich zwei Menschen hat, die man attraktiv findet", meinte ich zu ihm.

Langsam machten wir uns auf den Rückweg zu seiner Wohnung. Plötzlich sah ich Karls Auto auf der Straße stehen. Direkt vor Elias' Haustüre. Er stieg gerade aus und hielt etwas Weißes in der Hand. Noch hatte er uns nicht bemerkt. Mein Ex-Freund und ich schauten uns gleichzeitig an und uns beiden war klar: Unsere größte Versuchung stand gerade vor uns und es war das erste Mal seit unserem Dreier, dass wir wieder zu dritt aufeinandertrafen. Jetzt entdeckte uns auch Karl. Perplex blieb er stehen. Nun erkannte ich auch, was er in seiner Hand hielt. Es war nichts Geringeres als der Brief. Mein Brief, den ich an Elias geschrieben hatte, lange bevor ich seine Wahrheit kannte. Inzwischen war ich froh, dass dieser Brief nie in seinen Händen gelandet war und so schnell ich konnte, riss ich meinem Mitbewohner das Stück Papier aus der Hand und zerriss es in Einzelteile. Zwei Augenpaare starrten mich fragend an, doch ich hatte eine sofortige Rechtfertigung parat: „Die Dinge haben sich geändert!"

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt