[58]

56 6 2
                                    

„Schön, dass man dich mal wieder sieht", meinte Magnus lächelnd und nahm mich in den Arm. „Die letzten Wochen waren sehr stressig bei mir", gab ich zu, „Das hat mich aber tatsächlich von der Trennung abgelenkt muss ich sagen." „Habt ihr seither nochmal gesprochen?" Ich schüttelte den Kopf und schaute den Dänen nachdenklich an. „Das wird", munterte er mich auf und ich machte weiter mit den Begrüßungen bei Eric und Rune. „Komisch, wenn Elias nicht dabei ist", merkte Rune an. Karl schlang von hinten seine Arme um meinen Körper und drückte mir einen Kuss in Nacken. Entgeistert blickte der Linksaußen zu uns und fragte: „Seid ihr jetzt zusammen?" „Nein, nein!", verharmloste Karl sofort. „Karl ist grad einfach immer für mich da. Das ist alles", pflichtete ich ihm bei und wir ließen Runes Blick über uns ergehen. „Was ist mit Sven?", fragte ich in die Runde. „Müsste gleich da sein. Mit Anhang vermutlich", antwortete Eric. „Er hat es offiziell gemacht?" „Woher weißt du denn davon?", lachte Magnus. „Er hat mir vor ein paar Wochen erzählt, dass er jemanden datet. Keine Ahnung, ob wir gerade von derselben Person sprechen", entgegnete ich. „Oha", trotzte der Däne, „Uns hat er erst letzten Freitag im Training verkündet, dass er in einer Beziehung ist. Niemand hatte was mitbekommen." Ich zwinkerte Karl zu und er mir. Er hatte dichtgehalten, nachdem ich ihm das mit Sven anvertraut hatte. Damit hatte er mir ein weiteres Mal eindrücklich bewiesen, dass ich ihm vertrauen konnte. „Vanessa, wir haben uns jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, aber du kannst mir nicht vormachen, dass zwischen Karl und dir nichts läuft!", sprach Rune mich erneut auf die Thematik an. „Da läuft aber wirklich nichts", versuchte ich mein Glück erneut, aber der Handballer nahm es mir nicht ab. Er argumentierte weiter: „Ihr habt irgendwelche Codes oder eine Zeichensprache, womit ihr kommuniziert. Ihr schaut euch an wie zwei Frischverliebte. Karl redet den ganzen Tag im Training nur von dir und wenn ich es richtig verstehe, ist er gerade auch jede freie Minute bei dir im Laden." Karl war gerade in ein Gespräch mit Eric vertieft und bekam von dem Ganzen nichts mit. „Karl und ich verbringen gerade tatsächlich sehr viel Zeit zusammen, aber er hilft mir einfach dabei, meine Existenz zu sichern. Seit gestern habe ich aber einen neuen Mitarbeiter. Ab April steigt er ein", erzählte ich stolz. „Das ist ja schon übernächste Woche", merkte Rune an. „Danach wird Karl nicht mehr ständig im Laden sein. Er hat schließlich noch sein eigenes Leben." „Also wenn ihr tatsächlich nur Freunde seid - Respekt. Ich könnte das nicht", sagte Rune zum Schluss. Seine Worte stimmten mich nachdenklich. Hatte Karl andere Absichten?

„Sven!", strahlte ich und fiel meinem guten Freund um den Hals. Er war tatsächlich nicht alleine gekommen. Eine etwas kleinere, schlanke Braunhaarige stand neben ihm. Er stellte sie mir als seine Freundin Emma vor. Emma wirkte ruhig und schüchtern, aber machte trotzdem einen netten ersten Eindruck. „Ich freue mich für euch!", ließ ich die beiden wissen. „Dann sind wir vollzählig, oder? Sollen wir zur Bar?", fragte Eric in die Runde. Da sagte keiner Nein. Karl und ich hatten daheim schon gut vorgeglüht, um halb zehn war dann Eric gekommen, mit dem hatten wir weitergetrunken und jetzt war es Mitternacht und ich hatte einfach nur Bock zu feiern.

Karl gab mir die erste Runde aus. Wir standen nebeneinander auf der Tanzfläche und bewegten uns im Takt der Musik. Sven und Emma standen etwas abseits, während Rune und Eric sich mit ihren Getränken zu uns dazugesellten. Magnus hatte jemanden entdeckt und war kurz weggegangen. Wieder scannte uns Rune ganz genau ab. Er achtete auf jedes Detail, auf jeden Blick, auf jede Bewegung. Ich traute mich in seiner Anwesenheit ja kaum, meinen Mitbewohner überhaupt noch anzuschauen. Karl entgingen diese penetranten Blicke ebenfalls nicht. „Musst du aufs Klo?", fragte er mich. Ich schüttelte in dem ganzen Lärm den Kopf. „Kommst du trotzdem mit?" Diesmal nickte ich und folgte Karl durch die tanzenden Leute zu den Toiletten. Sollte sich Rune doch jetzt denken, was er wollte.

„Hast du's mitbekommen mit den ganzen Kommentaren?", fragte ich meinen Mitbewohner, als es schon etwas ruhiger war. „Das geht nicht erst seit heute so", erzählte er, „Schon im Training geht er mir damit auf den Sack." „Mich nervt's auch", gab ich zu. „Ich habe halt keinen Bock, dass er das Elias petzt", äußerte Karl seine Bedenken. „Aber wir tun doch nichts", meinte ich. „Natürlich nicht, aber ich weiß, dass Elias alle ausfragt. Er will von jedem wissen, ob zwischen uns was läuft." „Hä", entgegnete ich verwirrt. Warum hatte Karl mir das nicht früher erzählt? „Kann ihm das nicht egal sein?", setzte ich nach. Karl schaute mich mahnend an und sagte: „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er die Trennung einfach so hingenommen hat, als wäre es nichts Weiteres gewesen." „Keine Ahnung. Ich habe ehrlich gesagt gar nichts gedacht", seufzte ich. „Er kann mir noch immer nicht in die Augen schauen. Es nimmt ihn ziemlich mit. Nicht nur die Trennung, sondern insbesondere die Tatsache, dass wir miteinander geschlafen haben. Wir wohnen zusammen, ich will nicht wissen, welches Kopfkino da mit ihm durchgeht", überlegte mein Mitbewohner. „Meine letzten Wochen waren so stressig, da hatte ich gar keine Zeit, richtig darüber nachzudenken", erkannte ich. „Vielleicht war das im Nachhinein gar nicht mal so schlecht", vermutete Karl. „Irgendwie ist mir die Lust nach Feiern gerade vergangen", brummte ich und trank den letzten Schluck meines Bechers leer. „Dann lass mich schnell aufs Klo gehen, danach holen wir uns was Neues an der Bar und danach sieht deine Stimmung vielleicht schon wieder ganz anders aus", munterte er mich auf, drückte mir seinen Becher in meine freie Hand und verschwand zu den Herrentoiletten.

Etwas später ging es mir schon wieder besser. Wir fanden unsere Freunde auf der Tanzfläche und wurden schon vermisst. Ich versuchte die Gedanken an Elias auszublenden und mich auf den heutigen Abend zu konzentrieren. Ich trank ein Becher nach dem anderen leer und Karl tat es mir gleich. Um halb drei verabschiedeten sich Emma und Sven, kurz darauf gingen auch Rune, Magnus und Eric. Für Karl und mich war das Ende des Abends aber noch lange nicht erreicht. Wir kamen jetzt erst so richtig in Fahrt. Wieder standen wir an der Bar und wieder wurden unsere Becher nachgefüllt. Karl flirtete mit der Barkeeperin, ich hatte einen Typen im Visier, der ein paar Meter entfernt stand. Mein Mitbewohner folgte meinem Blick. „Der sieht gut aus", schrie er mir ins Ohr. „Die Barkeeperin auch", zwinkerte ich ihm zu und wir gingen wieder auf die Tanzfläche, wenngleich wir auch kaum noch stehen konnten.

„Hey", sprach mich der Typ von eben an. „Hey!" „Wie heißt du?" „Vanessa", schrie ich ihm ins Ohr. Einmal musste er nachfragen, dann hatte er es verstanden. „Ich bin Dennis", teilte er mir mit. „Du siehst gut aus", schob er hinterher. „Kann ich nur zurückgeben." „Ist er dein Freund?", wollte er wissen und deutete auf Karl. „Nein!" „Das ist gut", grinste er und zog mich ein paar Meter weg von meinem Mitbewohner. Dieser beobachtete das ganze Spektakel und zwinkerte mir nur zu. „Kommst du öfters hierher?", wollte der Typ wissen. „Ich war schon lange nicht mehr so richtig feiern. Unsere anderen Freunde sind aber alle schon weg", sagte ich. „Langweiler", kommentierte er trocken und trank einen Schluck aus seinem Becher. Ich folgte mit meinen Augen seinen Bewegungen. Seine dunkelblonden Locken fielen ihm ins Gesicht und ein lockeres Lächeln umspielte seine Lippen. „Kommst du aus Kiel?" Ich nickte. „Ich auch." Wir tanzten zusammen. Eng umschlungen. Wir kamen uns näher, tanzen noch enger, kamen uns noch näher und schließlich küssten wir uns. Stürmisch fielen wir auf der Tanzfläche übereinander her. Seine Zunge schob sich in meinen Mund, seine Hand lag auf meinem Po. Es fühlte sich an wie ein Befreiungsschlag - nur wusste ich nicht so ganz, von was (oder von wem?) ich mich gerade befreite. Als wir uns voneinander lösten, blickte ich sofort in Karls Augen. Er stand immer noch ein paar Meter entfernt und er nickte leicht. Mit einer auffälligen Augenbewegung deutete ich ihm an, sich Richtung Bar zu bewegen, um diese Barkeeperin klarzumachen. Im nächsten Moment zog mich Dennis schon wieder in den nächsten Kuss. Nachdem Karl meinem Rat gefolgt war, konnte ich mich auch voll und ganz auf meinen nächtlichen Fang einlassen.

...

Am nächsten Morgen wachte ich mit starken Kopfschmerzen auf. Ich war tatsächlich daheim. Nur lag ich nicht alleine im Bett. Kurz dauerte es, bis ich meine Erinnerungslücken von letzter Nacht schließen konnte, doch dann erinnerte ich mich an Dennis und daran, wie ich ihn mit zu mir nach Hause genommen hatte. Ich wusste nur nicht mehr, ob Karl mit uns gegangen war oder ob er überhaupt hier war. Ich hatte jedenfalls einen One Night Stand zu verbuchen und ich fühlte mich tatsächlich - abgesehen vom Kopfweh - gut. Dennis schlief noch. Na super. Ich konnte mein Handy nirgendwo finden, genauso wenig wie meine Klamotten, die ich letzte Nacht getragen hatte. Fuck! Ich glaube, die hatten wir uns schon auf dem Weg ins Zimmer ausgezogen. Hatte Karl sie möglicherweise gefunden? Das wäre durchaus peinlich...

Ich zog mir also schnell eine Jogginghose und ein altes Trainingsshirt von Karl drüber und tapste leise aus dem Zimmer. In der Wohnung war noch nichts zu hören. Entweder war Karl wirklich nicht hier oder - Stopp! Ich nehme alles wieder zurück. Karl war hier. Er hatte es nicht mal ins Bett geschafft. Splitterfasernackt lag er bäuchlings auf dem Sofa, neben ihm die Barkeeperin von gestern. Sie hatte immerhin eine Decke über ihrem wahrscheinlich ebenfalls nackten Körper.

Schnell sammelte ich die Klamotten ein, bei denen ich mir sicher war, sie würden zu mir oder Dennis gehören. Meine Sachen schmiss ich direkt in den Wäschekorb, das Zeug von Dennis legte ich neben das Bett. Nach wie vor schlummerte er selig vor sich hin. Ich schlenderte in die Küche und schenkte mir ein Glas O-Saft ein. Da stand Karl plötzlich im Türrahmen. Sein bestes Stück hatte er mit seinem T-Shirt von letzter Nacht bedeckt, sonst hatte er nichts an. Panisch sagte er zu mir: „Fuck! Ich weiß gar nichts mehr!"

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt