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„Ich hab's verbockt", erzählte ich Karl beim Mittagessen. Wir hatten uns in der Kieler Innenstadt getroffen. „Nicht nur du", kommentierte er lachend. „Ich mein's ernst. Ich habe nicht nur eine Beziehung verloren, sondern auch eine beste Freundin und Mitarbeiterin. Ich stehe komplett alleine da." „Du hast doch mich", munterte Karl mich auf und boxte mir gegen den Arm. Dann meinte er: „Ich habe zwar keinen Mitarbeiter, beziehungsweise Mitspieler verloren, aber trotzdem ging neben meiner Beziehung auch eine gute Freundschaft in die Brüche. Elias ist so maßlos enttäuscht von mir. Das lässt er mich deutlich spüren." „Sind wir so schlechte Menschen?", fragte ich seufzend. „Vielleicht sind wir das, aber immerhin sind wir zu zweit." Ich musste über seine Worte lachen. „Aber schau mal, ich habe immer noch Eric, du hast Sven. So scheiße können wir wohl nicht sein." „Naja, Sven datet ja jetzt", schränkte ich seine Euphorie ein. „Ach echt? Wusste ich gar nicht", sagte Karl. „Das hat er mir auch im Vertrauen gesagt. Wehe du erzählst es irgendjemand weiter." „Wem soll ich es denn sagen? Wir haben doch nicht mehr viele Freunde, wie wir soeben festgestellt haben", lachte mein Mitbewohner und zog es ins Lächerliche. Irgendwie musste ich doch grinsen. „Dann vertraue ich dir jetzt auch ein Geheimnis von Eric an, dann sind wir quitt." „Sind wir das?" „Ja!", meinte Karl überzeugt und erzählte, dass Eric mehrere Angebote von europäischen Topclubs habe. Er sei am Überlegen, ob er das annehmen sollte. „Was würdest du denn ohne Eric machen?", stellte ich Karl die ultimative Frage. „An das Szenario will ich gar nicht denken", beantwortete er schnell. Ich hob die Augenbrauen.

Ich musste wieder zurück ins Studio. Karl wollte nach Hause und noch ein paar Stunden schlafen, bevor er heute Abend sein zweites Training zu absolvieren hatte. Ich dagegen musste schauen, wie ich meinen Laden alleine am Leben halten konnte. Leicht würde das nicht werden. Das war klar. Ich musste mir schnellstmöglich etwas einfallen lassen und deshalb setzte ich mich gleich an Computer und rechnete alles durch.

Erst spät war ich zu Hause. Karl hatte mir am Abend noch einen kurzen Besuch abgestattet und mir ein Abendessen vorbeigebracht. Er merkte, wie verzweifelt ich war. Er war noch wach, als ich heimkam und schaute sich gerade eine Serie im Wohnzimmer an. Ausgelaugt setzte ich mich dazu. „Hast du niemanden vom Studium, den du einstellen könntest?", suchte er nach einer Lösung. „Ich bin schon alles durchgegangen. Die meisten haben ihren Job, von anderen habe ich keinen Kontakt. Jedenfalls schaffe ich es maximal noch zwei Monate, das Geschäft aufrecht zu erhalten. Danach habe ich entweder mehr Ausgaben als Einnahmen oder ich bin schon längst an Burnout erkrankt. Es geht nicht alleine, Karl. Keine Chance!" Er hatte sichtlich Mitleid mit mir und nahm mich in den Arm. Er wusste, wie viel mir mein Fotostudio bedeutete, wie viel Herzblut ich in dieses Projekt gesteckt hatte und er wollte mir mit allen Mitteln helfen, dass ich diesen Traum nicht aufgeben musste. Gemeinsam erstellten wir noch an diesem Abend eine Jobanzeige und stellten sie ins Netz.

Ich war so platt an diesem Abend - in dieser Nacht - dass ich sofort einschlief, nachdem ich im Bett war. Karl versprach mir, sein morgiges Krafttraining extra früh zu absolvieren, dass er mir danach im Laden helfen konnte. Er hatte zwar keine Ahnung von Fotos oder Ähnlichem, aber es gab ein paar Aufgaben, die ich tatsächlich an ihn abtreten konnte. Dafür war ich ihm natürlich sehr dankbar.

...

So lief das die nächsten Wochen irgendwie weiter. Karl hatte neuerdings zwei Fulltime-Jobs. Vom Training ging es direkt ins Studio und von dort aus wieder zurück in die Halle, den Kraftraum oder zu den Spielen. Er nörgelte keinen einzigen Tag herum. Ich wusste, dass er das nur für mich tat. Heute fand endlich ein Bewerbungsgespräch statt. Vor zwei Wochen war eine ältere Frau schon da gewesen, doch da waren uns Karl und ich sicher, dass sie keine Bereicherung für mein Fotostudio wäre. Sie wusste gar nicht, wie man mit einer Kamera überhaupt umging. Da hatte Karl selbst inzwischen ja schon mehr gelernt. Dass das mit ihm aber keine Dauerlösung war - trotz seines vorhandenen Talents - war uns beiden klar. Deshalb hofften wir umso mehr, dass heute jemand Brauchbares hier aufkreuzen würde. Wir hatten den Termin direkt auf 9.00 Uhr angesetzt, sodass mein Mitbewohner vor seinem Training noch dabei sein konnte. Heute Nachmittag musste er schon zum Champions League Auswärtsspiel aufbrechen, daher war ich heute und morgen vollends auf mich alleine gestellt.

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt