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Am Sonntag stand also das besagte Spiel an. Ich hatte Marie überreden können, es mit mir zusammen anzuschauen. Karl hatte uns zwei Karten besorgt und uns darüber hinaus versprochen, uns mit zur Halle zu nehmen. Das Angebot nahmen wir natürlich dankend an. Da Karl rechtzeitig da sein musste, fuhren wir schon um halb eins los. Ich war schon ewig nicht mehr in der Wunderino Arena gewesen. Die Halle war einfach gigantisch. Marie verspürte genauso viel Vorfreude wie ich. Karl musste unsere Euphorie auf der Fahrt eben hinnehmen.

„Eure Karten sind übrigens super. Direkt hinter der Spielerbank", teilte mein Mitbewohner uns freudig mit. „Was?" Erschrocken hielt ich die Luft an. Hinter der Spielerbank zu sitzen, war definitiv keine gute Idee. Marie verstand schnell, welche Gedanken mir gerade durch den Kopf schwirrten, sie blieb aber still. Dafür war ich ihr dankbar.

Wir kamen vor der Halle an. Karl lief direkt zum Sportlereingang, drückte uns davor noch schnell unsere Eintrittskarten in die Hand. „Du weißt, ich kann dort nicht sitzen", erklärte ich Marie leicht panisch. „Ich weiß", lächelte sie, „Wir finden jemanden, der mir uns die Karten tauscht. Jeder würde sich dorthin setzen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte." „Das ist doch alles scheiße!", fluchte ich. Warum hatte ich Elias nur kennengelernt? Warum war es mir eigentlich so wichtig, heute zum Spiel zu kommen, wo ich die letzten Monate doch nie da war?

„Wir gehen jetzt erstmal rein und schauen dann, wo wir stattdessen lieber sitzen wollen und dann sprechen wir die Leute einfach an", schlug meine beste Freundin vor und ich beneidete sie um ihre Gelassenheit. Außerdem war ich ihr dankbar, dass sie mir half. Das war nicht selbstverständlich. „Schau mal, das alte Ehepaar da vorne. Soll ich die mal fragen?" Marie deutete auf zwei Personen, die etwas einsam in ihrer Reihe saßen. „Ja, vielleicht haben sie Interesse", stimmte ich schließlich zu.

Sie waren jedoch stur und wollten nicht tauschen. Stattdessen bekamen zwei jüngere Mädchen mit THW-Trikots unser Gespräch mit und fragten, ob sie unsere Karten haben könnten. Marie redete kurz mit den beiden, dann tauschten sie die Papiere. „Alles geregelt!" Grinsend kam meine beste Freundin auf mich zu und legte einen Arm um meine Schultern: „Dann lass uns mal unsere Plätze suchen!"

Das Spiel war super spannend bis zur letzten Sekunde. Letztlich gewann der THW und Elias hatte das entscheidende Tor gemacht. Seufzend lehnte ich mich auf meinem Sitz zurück. Ich vermisste Elias schrecklich. „Ich glaube, Karl sucht uns", riss mich Marie aus meinen Gedanken. Ich sah meinen Mitbewohner, wie er Reihe für Reihe unter den Zuschauern abscannte. Genau dort, wo unsere Plätze eigentlich hätten sein sollen. Ich fing an, Panik zu schieben: „Was soll ich ihm denn jetzt sagen?" Marie lächelte mir beruhigend zu und meinte bloß: „Lass das mal meine Sache sein. Irgendeine Geschichte wird mir schon einfallen." „Sollten wir nach unten gehen?", überlegte ich. „Ja!"

Ich blickte mich schnell um, Elias war jedoch auf der anderen Hälfte des Spielfeldes und verteilte dort Autogramme und lächelte in diverse Kameras. Bei Karl bildete sich auch langsam eine Schlange. Marie und ich warteten, bis die Fans weg waren, dann liefen wir auf den Kieler Handballer zu. „Da seid ihr ja!", meinte er, „Habe euch gar nicht gesehen während des Spiels." Marie erklärte ihm quasi die Wahrheit: Dass wir zwei Mädchen getroffen hatten, die scharf auf unsere Plätze waren - und da wir ja immer die Möglichkeit hätten, so gut zu sitzen, haben wir ihnen die Karten überlassen. Karl nahm es ab. Im Augenwinkel sah ich auf einmal, wie Elias immer näher kam. Schnell drehte ich mich ab. Marie stupste mich in die Seite - Elias kam direkt auf Karl zugelaufen. „Ich muss auf Toilette. Ganz schnell!", gab ich kurzerhand vor und ergriff sofort die Flucht.

Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Warum hatte ich Elias nicht einfach gesagt, ich würde ihn kennen? Das würde die Sache so viel einfacher machen. Aber so musste ich mich verstecken. Auf Toilette fliehen. Regelmäßig nach Ausreden suchen. Dass ich mit seinem Mitspieler und gutem Freund zusammenwohnte, machte es nicht leichter.

Sweet LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt