Als ich am Abend nach Hause kam, ließ ich meinen Tag Revue passieren. Ich hatte viele neue Erkenntnisse gewonnen, die ich erst einmal verarbeiten musste. Insbesondere die Tatsache, dass Karl anderen gegenüber sehr verschlossen war, was seine Gefühle anbelangte, beschäftigte mich noch sehr. Ich hatte ihn von Anfang an anders kennengelernt. Schon in Frankreich hatten wir immer ein gutes Verhältnis zueinander gehabt und hatten uns gegenseitig viele Dinge anvertraut. Dieses Vertrauen intensivierte sich dann schließlich durch unsere Wohngemeinschaft.
Es fiel mir an diesem Abend schwer einzuschlafen. Ein Gedankenkarussell kreiste in meinem Kopf herum. Irgendwann gelang es mir, aber es war ein sehr unruhiger Schlaf.
...
Marie: Ich komme heute nicht.
Maries Nachricht überraschte mich wenig. Nach dem gestrigen Abend hatte ich ehrlich gesagt nichts anderes erwartet. Trotzdem stimmte es mich traurig, weil ich wusste, dass ich mit der Grund dafür war, dass es ihr so schlecht ging. Ich fühlte mich selbst nicht arg viel besser, aber irgendjemand musste heute anwesend sein. Wir konnten unser Studio nicht ständig wegen privaten Problemen schließen. Damit verdienten wir schließlich unser Geld. Unsere Einnahmen waren in den letzten Monaten leider auch tendenziell zurückgegangen. Wir mussten dafür kämpfen, den Laden am Leben zu halten. Mit 50%iger Besetzung war das aber nur schwer möglich.
Der Tag zog an mir vorbei. Viel passiert war nicht. Mittags hatte ich kurz mit Elias telefoniert, aber es handelte sich eher um ein oberflächliches Gespräch. Seine Teamkollegen waren im Hintergrund zu hören und mein Freund war daher nicht wirklich bei der Sache. Ich setzte mich in Karls Auto - meines stand ja nach wie vor bei meinen Eltern in Neumünster - und fuhr nach Hause.
Müde schlich ich die Treppen nach oben, schloss die Türe auf - und blieb verdutzt stehen.
Karls Sachen waren hier.
„Karl?", rief ich mit zittriger Stimme. Darauf war ich nicht vorbereitet. Eigentlich hatte ich mich auf einen ruhigen Abend vor dem Fernseher gefreut, doch es schien, als käme alles anders. Die Türe von Karls Zimmer ging auf und mein Mitbewohner trat vorsichtig heraus. „Hey", wisperte er kaum hörbar. Ich folgte meiner ersten Intuition und nahm ihn einfach in den Arm. Ich hatte ihn vermisst - auf welche Art und Weise auch immer.
„Was machst du hier?", wollte ich wissen. „Habe mich mit Marie ausgesprochen. Morgen muss ich zurück zur Nationalmannschaft", sagte er leise. „Willst du mich überhaupt sehen?", fragte ich weiter und trat einen Schritt zurück. Er nickte und meinte: „Ich war mir nicht sicher, ob du mich sehen willst. Du hast mich überall blockiert, ich konnte dich nicht mehr erreichen." Ich seufzte und ließ den Kopf hängen. Das hatte ich fast schon wieder vergessen. „Selbstschutz", beantwortete ich knapp und merkte, wie mein Herz schneller schlug. „Selbstschutz?", wiederholte er mit zittriger Stimme und kam wieder auf mich zu. Uns trennten nur noch wenige Zentimeter. Mein Herz schlug immer schneller und pochte wild gegen meine Brust.
„Ich bin sauer auf dich", durchbrach ich die angespannte Stimmung zwischen uns. „Wegen Marie nehme ich an", schlussfolgerte er richtig. Immerhin hatte er es diesmal erkannt. „Wie hast du es ihr erklärt?", wollte ich ängstlich wissen. Er zuckte mit den Schultern und meinte: „Dass ich nie Gefühle für sie hatte." „Das ist hart", kommentierte ich. „Aber es ist die Wahrheit. Ich dachte einfach, da entwickelt sich was mit der Zeit, aber das war nicht der Fall." „Wie hat sie reagiert?" „Sie ist zusammengebrochen und hat geweint. Danach hat sie mich angeschrien", sagte mein Mitbewohner relativ trocken. „Warum kannst du vor anderen Menschen keine Emotionen zeigen?", konfrontierte ich ihn mit meinen neu dazugewonnenen Erkenntnissen. „Was meinst du?" „Bei mir bist du anders", ließ ich ihn wissen. „Erinnerst du dich an unseren Streit, kurz nachdem du von Marie und mir erfahren hast?", fragte er. „Natürlich." „Ich wollte dir an diesem Abend schon sagen, dass ich eigentlich keine Gefühle für sie habe... und... naja... es gab doch an deinem Geburtstag beim Spiel diesen Kuss zwischen uns - irgendwie war dieser wie ein Schlag ins Gesicht für mich", erzählte Karl, schaute mir dabei aber nicht in die Augen. Ich merkte, dass es ihm schwerfiel, über dieses Thema zu sprechen. Er fuhr fort: „Wir sind nicht bis zu dem Punkt gekommen, an dem ich es dir sagen wollte, weil du irgendwann gegangen bist. Ich hatte dir eigentlich so viel zu sagen an diesem Abend, aber es hat sich auch in den darauffolgenden Wochen nie die Möglichkeit ergeben. Das erste Mal haben wir am Morgen nach der Weihnachtsfeier wieder richtig geredet, als wir beide im Bett lagen. Das, was ich dir da gesagt habe, wollte ich dir schon direkt nach deinem Geburtstag erzählen. Das ist die Wahrheit."
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Sweet Lies
FanfictionEine Beziehung, die bereits auf einer Lüge aufbaut, kann keine Zukunft haben. Das weiß auch die 23-Jährige Vanessa, doch der Reiz und die Versuchung ist größer. Sie kann einfach nicht widerstehen, auch wenn sie genau weiß, dass ihr Verstand etwas An...