Kapitel 8 - Geheimnisse

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»Allyson...«, brummte Onkel Harry verschlafen und rief sich die Augen, »...wo kommst du denn her?«

Unauffällig ließ ich den Zettel hinter meinem Rücken verschwinden. »Ich war...eh...«, ich suchte nach einer gescheiten Ausrede, »...für kleine Mädchen.«

»Oh«, machte Onkel Harry und schlürfte ins Bad. Vielleicht hätte ich einfach sagen sollen, dass ich in der Küche was trinken war?

Kopfschüttelnd ging ich auf mein Zimmer und betrachtete den zerknitterten Zettel. Erst als ich das Licht anknipste, fiel mir auf, dass es gar nicht meiner war.

Mit einem Ausdruck der Verwirrung musterte ich die Buchstaben, die jemand aus einer Zeitung ausgeschnitten und zu Wörtern zusammengesetzt hatte:

MiTtWocH 19:50UhR

LaNcASteRstreEt 15

Ich runzelte die Stirn und drehte den Zettel um. Doch ich bekam nur die leere Rückseite zu Gesicht. Merkwürdig. Wer verschickte so einen Brief? Etwa Onkel Harry?

Enttäuscht ließ ich den Zettel auf den Schreibtisch gleiten und legte mich anschließend ins Bett. Die ganze Aufregung um Nichts. Ich war umsonst draußen gewesen, um mir den Arsch abzufrieren und fast von Onkel Harry erwischt zu werden.

Zitternd grub ich mich in die Bettdecke. Morgen würde ich Mom besuchen. Ich hatte noch so viele Fragen. Ich wusste zwar, dass sie unschuldig war, aber trotzdem brauchte ich Antworten.

Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, fielen mir die Augen zu.

Das Vibrieren meines Kopfkissens ließ mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf schrecken. Mit müden Augen tastete ich unter mein Kissen und holte mein vibrierendes Smartphone hervor. Ein Anruf von Unbekannt. Wie viel Uhr hatten wir? Wer rief so früh morgens an?

Ich nahm ab und murrte verschlafen ein »Mhh« in den Hörer.

»Guten Morgen, Allyson!«

Ich erkannte die Stimme von Miss Snow.

»Ich wollte mich nur nochmal erkundigen, ob alles in Ordnung ist!«, sprach sie zu mir, »Wie geht es dir und Max?«

Natürlich blendend. Wir hatten ja gerade nur unser ganzes Vermögen verloren. Und Mom saß mit Freude hinter Gittern.

»Bestens!«, antwortete ich knapp und betete, dass sie danach auflegte. Ich war hundemüde.

»Das ist schön!«, erwiderte Miss Snow in einem schrillen Ton. Ich wusste nicht, ob sie Späße machte oder es ernst meinte.

Vom Rest, den sie sagte, bekam ich nur die Hälfte mit. Sie redete viel zu schnell und ich wollte schlafen.

»Was hat deine Mutter sich bei ihrem Überfall eigentlich gedacht?«, klang es plötzlich aus meinem Handy.

Völlig überrumpelt hielt ich inne. Das hatte sie soeben nicht wirklich gesagt.

»Ihr schwimmt doch förmlich in Geld! Wozu diese Tragödie?«, warf sie hinterher, »Der arme Max. Wie soll der Junge bloß damit klarkommen?«

Mein Gesicht brannte vor Wut. »Sie haben doch gar keine Ahnung!«, schnaubte ich aufgebracht und legte direkt auf. Was zur Hölle dachte sich diese Frau? Ging das jetzt so mit allen? Würde heute jeder so reagieren?

Die Laune für den Tag war mir also bereits verdorben, als ich in die Küche trat, wo Onkel Harry und Max am Frühstückstisch saßen.

Während Max seine Schüssel Cornflakes wie ein wildes Tier verschlang, las Onkel Harry die örtliche Zeitung. Die Schlagzeile entging mir natürlich nicht:

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