Kapitel 95 - Die Offenbarung

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Diese Waffe in seinen Händen zu sehen, ließ mich erschaudern. Aber zu sehen, dass die Pistole direkt auf mich gerichtet war, brach mir das Herz.

»Was... was soll das?«, stotterte ich und war vor lauter Angst gelähmt.Mein Onkel antwortete nicht. Fest umklammerte er die Waffe, als würde sein Leben davon abhängen.

Was er da tat, war für mich unerklärlich. Warum? Warum wollte mein eigener Onkel mich tot sehen? Was hatte ich falsch gemacht? War das alles hier meine Schuld? Hatte ich irgendetwas getan, was mein Onkel nicht ertragen konnte?

Ich biss mir auf die Lippe und versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Ein grausamer Gedanke machte sich in mir breit. Hatte Josh vielleicht doch von Anfang an Recht gehabt? War mein Onkel der Verfolger?

Ich schluckte schwer. Die Waffe bewegte sich in unruhigen Bewegungen vor seiner Nase. Erst als ich in seine getrübten Augen sah, bemerkte ich, dass er gar nicht mich anstarrte. Ich wagte es, mich umzudrehen. Was ich zu Gesicht bekam, war im ersten Moment eine unglaubliche Erleichterung. Ich war nicht allein. Hilfe war da!

»Bill Brandt!«, stöhnte ich überrascht.

Er stand mit seinem Aktenkoffer direkt im Wohnzimmer. »Hallo, Allyson!«, grinste er mich an und blickte anschließend zu meinem Onkel, »Harry, mein Kumpel. Was ist denn plötzlich los? Hör auf, deine Nichte zu verschrecken.«

Mein Onkel warf Brandt einen verspottenden Blick zu. Das war der Moment in dem ich realisierte, dass die tödliche Waffe gar nicht auf mich zeigte, sondern auf den Anwalt. Sie war stur auf ihn gerichtet. »Halt den Mund, Klint!«, brummte Onkel Harry und verengte die Augen zu Schlitzen.

Ich runzelte trotz der ungeheuren Spannung, die meinen Körper lähmte, die Stirn. Klint?

Brandts Grinsen wurde breiter. »Ja, Allyson. Du hast genau richtig gehört. Mein Name ist in Wahrheit Klint. Bill Brandt war eine Lüge. Bill Brandt existiert gar nicht.«

Die Ereignisse überschlugen sich. Er war in Wahrheit gar kein Anwalt? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Dass mein Onkel eine echte Waffe in den Händen hielt, beunruhigte mich viel zu sehr. Hatte ich vor lauter Angst irgendetwas falsch verstanden? Wieso war Brandt so gelassen? Wusste er etwas, was ich nicht wusste?

Behutsam strich er über seinen Aktenkoffer. »In diesem Koffer, Allyson... befinden sich alle Antworten auf deine Fragen«, grinste er, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Ich nenne es die Lösung aller Probleme! Willst du sehen?«

Mein Onkel schnaubte auf. »Lass sie gefälligst aus dem Spiel! Sonst schieße ich!«

Seine Drohung ließ mich erstarren. Sonst schoß er?

Klint öffnete seinen Aktenkoffer mit einer geschickten Bewegung. »Wieso sollte ich?«, fragte er unbeeindruckt, »Wieso sollte ich, wenn ich mindestens genauso viel Macht besitze?« Der Koffer glitt zu Boden und offenbarte, was Klint in den Fingern hielt. Ich machte einen Schritt nach hinten und starrte auf die Pistole, die er mit einem Klicken auflud.

»Was soll das?«, fragte ich entsetzt.

Klints Grinsen wurde teuflisch. »Allyson, Schatz, bist du wirklich so dumm oder tust du nur so?«, fragte er höhnisch, »Es ist ganz leicht. Schau einfach aus dem Fenster.«

Unsicher starrte ich auf seine Pistole, dann wagte ich einen kurzen Blick aus dem Fenster. Was ich sah, das ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Der schwarze Van.

Mein Blick wanderte wieder zu Klint. Die Statur. Die Arme. Die Größe. Alles.

Es passte alles.

Er war es.

Mein Verfolger.

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