Kapitel 9 - Ganz tief hinab

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Ich konnte nicht glauben, was Mom da sagte! Ich war ihre Tochter! Sie beschloss einfach mich im Unwissen zu lassen?

Genau dies bestätigte sie, indem sie sich tonlos von ihrem Platz erhob und den Raum durch die Metalltür verließ.

Mein Herz zerfiel in tausend kleine Splitter. Ich fühlte mich verraten. Betrogen. Hintergangen.

Mom und ich hatten niemals Geheimnisse voreinander gehabt und jetzt, wo es doch am Ungünstigsten war, verschwieg sie mir und der Polizei etwas? Was war nur passiert? Was war so schlimm, dass sie es mir nicht sagen konnte?

Alles in mir drehte sich. Es war, als würden sich alle meine Organe gegen mich winden. Verwirrt erhob ich mich von meinem Platz und stemmte die Hände auf den Tresen. Ich raufte mir die Haare. Verdammt, sie konnte mich doch nicht einfach im Unwissen lassen.

Jetzt musste ich es erst recht herausfinden, was passiert war. Das war sicher.

Ich verließ ich die Strafanstalt. Fluchend stieg ich auf Onkel Harrys Drahtesel und fuhr davon.

Heftig trat ich in die Pedalen. Der Wind sauste mir die Haare um die Ohren. Das konnte sie doch nicht einfach tun! Sonst erzählten wir uns alles! Warum plötzlich diese Geheimnistuerei?

Ich war enttäuscht. Ich hatte doch auch keine Geheimnisse vor Mom. Was gab ihr das Recht, mir ausgerechnet jetzt, etwas zu verschweigen?

Ich flitzte ich die Landstraße entlang. Das alles war einfach zu viel für mich. Wie zum Teufel war meine Mutter in diese Situation geraten und wie sollte ich sie wieder daraus holen?

Erst als Onkel Harrys Haus in Sichtweite war, bemerkte ich, wie schnell ich eigentlich unterwegs war.

Ich drückte auf die Bremse. Doch es tat sich nichts.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Dann versuchte ich es erneut, aber das Rad machte keinerlei Anstalten anzuhalten. Ich hatte sogar das Gefühl, dass ich immer schneller wurde.

Ich richtete den Blick auf die Straße, die immer steiler zu werden schien. Verdammt.

Immer wieder drückte ich auf die Bremse und versuchte gelassen zu bleiben. Das war alles kein Problem. Ich würde das Rad einfach bis zum Ende der Straße ausfahren lassen.

Erst als ich feststellte, dass ein Lastwagen, der gerade dabei war auszuparken, die Straße blockierte, war es doch ein Problem. Und zwar in gigantisches Problem!

Ich atmete schwer. Was sollte ich tun? Verzweifelt sah ich mich um. Ich konnte nirgendwohin ausweichen.

Der Wind zog meine Haare nach hinten. Mein Herz begann wie wild gegen meinen Brustkorb zu schlagen. Panik durchflutete meinen Körper. Wenn ich jetzt nicht absprang, müsste man später meine Überreste vom Lastwagen kratzen.

Verbittert presste ich die Lippen zusammen. Dann sprang ich.

Mit einem dumpfen Schlag landete ich auf den Asphalt und rollte zur Seite. Schmerzen durchfuhren jede Faser meines Körpers und ließen mich aufstöhnen. Für einen Moment schien sich die ganze Welt zu drehen. Der Boden. Der Himmel. Alles.

Keuchend blieb ich auf den Boden liegen und schloss die Augen. Meine Hand kroch zu meinem Schädel, der wie verrückt dröhnte. Ich hatte das Gefühl, er würde jeden Moment explodieren.

Wieso musste ausgerechnet jetzt die Bremse versagen? Vorhin war sie doch noch völlig in Ordnung gewesen!

Ich unterdrückte den Schwindel und setzte ich mich auf, schleppend, stöhnend und nach Luft japsend.

Ich betrachtete mein rechtes Knie, aus welchem Blut quoll. Die Flüssigkeit rannte mein Bein herunter und färbte den Stoff meines Chucks blutrot.

Ich wagte es kaum aufzustehen, so sehr war mein Bein mit Schmerzen erfüllt.

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