Kapitel 37 - Unschuldiges Mädchen

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Lange hatte ich über Moms Worte nachgedacht. Sie gingen mir nicht mehr aus dem Gedächtnis. Ich war enttäuscht. Mom hatte so viel erlebt und jetzt gab sie einfach auf? Das sah ihr gar nicht ähnlich. Meine Mutter war eigentlich eine Kämpferin. Irgendetwas bedrückte sie. Es war nicht der Juweliereinbruch. Da war irgendetwas anderes. Das spürte ich. Ging es vielleicht um mich? War ich irgendwie in diese Sache verwickelt? War das der Grund, warum ich verfolgt wurde und Morddrohungen bekam? War alles vielleicht meine Schuld?

Diese ganze Situation machte mich fertig. Aber ich musste da durch und schleunigst herausfinden, wer für diesen unheimlichen Sturm an Problemen verantwortlich war. Erst wenn ich genau wüsste, wer das alles tat, könnte ich zur Polizei. Die würden den Unbekannten im Van festnehmen und Max wäre sicher. Ich wäre sicher.

Josh war mir in dem ganzen Drama äußerst verdächtig. Ich hatte überlegt, ihn einfach zu fragen, warum ich sein Shirt getragen hatte oder warum ausgerechnet sein Handy in meiner Jackentasche gesteckt hatte. Aber er würde mich höchstwahrscheinlich wieder anlügen. Bei ihm konnte ich mir nie sicher sein.

Ich hielt es besser, Jayden zu fragen. Der hatte bestimmt eine sinnvolle Antwort parat. Hundert Dollar schuldete ich ihm leider immer noch. Aber für dieses Problem hatte ich zumindest schon eine Idee.

Müde betrat ich das Schulgebäude und steuerte auf meinen Spind zu. Dabei stellte ich erleichtert fest, dass das Video von mir und Collin nicht mehr das Hauptgesprächsthema war. So schnell ging das hier.

Vielmehr interessierten sich jetzt alle plötzlich für die besonderen schwarzen Briefe, die einige Schüler stolz in die Luft hielten. Was es damit auf sich hatte, wusste ich nicht. Eigentlich interessierte mich das auch nicht wirklich. In meinem Kopf ging es nur noch um Freitag Nacht und der Frage, was sich auf der Party ereignet hatte. Die Schmerzen waren mittlerweile etwas abgeklungen, trotzdem hatte ich mich nicht getraut das Pflaster abzuziehen. Ich fürchtete mich viel zu sehr.

Gähnend öffnete ich mein Schließfach, woraufhin mir augenblicklich ein schwarzer Briefumschlag entgegen flog und auf den Boden segelte. Irritiert runzelte ich die Stirn und hob ihn auf.

Neugierig betrachtete ich den tiefschwarzen Umschlag. Ich wusste nicht, was sich darin versteckte, aber anscheinend war es etwas Besonderes so einen zu erhalten. Das verrieten zumindest die begeisterten Blicke der Schüler, die ebenfalls einen erhalten hatten.

Hastig riss ich den Umschlag auf und zog eine schwarze Karte hervor, die ein oranger Kürbis mit gruseliger Fratze zierte. Stimmt, bald war wieder Halloween. Das hatte ich ja vollkommen vergessen. Der wie vielte war heute? Der 23. Oktober. Dann war ja nicht mehr lange hin.

Neugierig las ich den mit weißer Tinte geschriebenen Text durch, welchen der Absender abgetippt hatte:

Allyson Parker,

bist du bereit, eine schaurige Nacht im Hause der McAllens zu verbringen?

Bist du bereit, deine Zähne vor Angst klappern zu lassen, während wir dir das Spuken lehren?

Bist du bereit, dein Leben auf's Spiel zu setzen?

Dann finde dich um Schlag zehn in der Straße des Grauens, der Downing Street 13, ein. Komm vorbereitet. Die Zeit wird kommen, der Tod für dich bereit sein.

Blutige Grüße

Der edle Ritter

Aufgeregt schnappte ich nach Luft. Jetzt verstand ich die ganze Aufregung im Flur. Das war nicht irgendeine Halloween-Party! Und der edle Ritter war auch nicht irgendein merkwürdiger Typ, sondern die Berühmtheit. Er schmiss jedes Jahr die abgefahrenste Halloween-Party! Um seine Partys rankten sich Legenden. Die Location wechselte von Jahr zu Jahr, aber eins war klar, jeder war von seinen legendären Halloween-Partys begeistert!

Was die ganze Sache am interessantesten machte, war die Tatsache, dass niemand wusste, wer sich genau hinter dem edlen Ritter verbarg. Auf jeder Party kreuzte er in demselbem silbernen Ritterkostüm auf. Niemand konnte bis jetzt herausfinden, wer sich hinter der Rüstung versteckte. Jedes Jahr gab es unzählige Vermutungen und Spekulationen. Letztes Jahr dachten alle, es wäre Nash. Er war eine Stufe über mir und wurde von den Mädchen vergöttert, aber er stritt es ab.

Freudestrahlend wedelte ich mit der schwarzen Karte vor mir herum. Auf die Halloween-Party des edlen Ritters eingeladen zu werden, war eine Ehre. Denn insgesamt gab es nur exakt hundert Einladungen, die an die interessantesten oder coolsten Jugendlichen aus ganz Brulestown verteilt wurden. Desto mehr wunderte es mich, dass ich ebenfalls eingeladen wurde. Nach der Sache mit Mom hätte ich das wirklich nicht erwartet.

Doch die Freude verdrängte diesen Gedanken völlig. Letztes Jahr hatte nur Meggie die Ehre gehabt, hinzugehen. Als sie mich am nächsten Tag besuchte, war sie immer noch total geflasht gewesen. Ich konnte es kaum erwarten!

* * *

Nervös zog ich meinen Zopf fester und betrat die Sporthalle. Ich war mir nicht sicher, ob ich das Basketballtraining mit meiner Wunde am Bauch schaffen würde. Trotzdem durfte ich keine Schwäche zeigen. In letzter Zeit war ich auch schon nicht richtig bei der Sache. Ich konnte mir keinen Fehltritt erlauben.

Angespannt nickte ich Coach Hill zu und begann, mich warm zulaufen. Mit jedem Schritt stieg mein Puls und ich atmete tief ein und aus, was sich mit einem Ziehen an meinem Bauch bemerkbar machte. Dennoch verspürte ich keine allzu großen Schmerzen, was mich erleichtert aufseufzen ließ.

Meine Gedanken wanderten zur Halloween-Party. Ich hatte mich wohl etwas zu früh gefreut. Mit meiner finanziellen Lage sah es momentan nicht so gut aus. Wie zum Teufel sollte ich mir ein Kostüm besorgen und Jayden die restlichen hundert Dollar zurückzahlen?

Apropos Jayden: Ich hatte ihn heute den ganzen Tag in der Schule gesucht, aber er war wie vom Erdboden verschluckt. Ich musste doch so dringend mit ihm sprechen. Warum war er ausgerechnet jetzt nicht auffindbar?

Nach dem Training ließ ich mich erschöpft auf eine der Bänke in der Umkleide nieder. Die meisten waren schon fertig mit Umziehen und auf dem Weg nach Hause. Das Training an sich war heute gar nicht mal so anspruchsvoll gewesen, aber Bree, eine meiner Teamkolleginnen, hatte mir aus Versehen den Ellbogen in den Bauch gerammt.

Daraufhin war mir leider ein Schrei entwichen. Coach Hill hat sofort nachgefragt, was los sei. Leider musste ich ihn anlügen und behaupten, dass alles Bestens wäre, was mir nicht besonders leicht fiel.

Entnervt zog ich mich um. Als ich gerade fertig war, spürte ich plötzlich eine eiskalte Hand auf meiner Schulter.

Erschrocken wirbelte ich herum und entdeckte Bree. »Sorry, Allyson!«, stammelte sie und fuhr sich durch das braun getönte Haar, »Also wegen vorhin. I-ich wollte dir nicht wehtun!«

Ich setzte ein gutmütiges Grinsen auf. »Kein Problem.«

Ich mochte Bree echt gerne, auch wenn sie eine von Melissas besten Freundinnen war, was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Wie konnte man nur mit so einer Hexe befreundet sein?

Bree war ganz anders als Melissa. Immer freundlich, nett und zuvorkommend. Mit ihren kristallblauen Augen und der etwas schüchternen Art war sie zuckersüß. Melissa nutzte das bestimmt nur aus, um an Jungs zu bekommen.

»Sicher?«, fragte Bree nervös, »Du hast echt laut geschrien.«

Ich hob die Hände. »Ja, alles in Ordnung! Ich habe nur richtig heftigen Muskelkater am Bauch!«, versuchte ich ihr klar zumachen. Ich wünschte mir, dass das die Wahrheit wäre, aber leider war es nicht so. Ein blauer Fleck konnte unmöglich so wehtun. Da verbarg sich etwas viel schlimmeres.

Bree grinste mich erleichtert an. »Ok, ich gehe dann! Ich wusste nicht, dass du eine Wunde am Bauch hast. Bis morgen.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und war so schnell gegangen, wie sie gekommen war.

Mein Hirn brauchte jedoch erst einige Momente, um zu verstehen, was sie da gerade von sich gegeben hatte. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Woher zum Teufel wusste Bree, dass ich eine Wunde am Bauch hatte?

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