Kapitel 26 - Bittere Lüge

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Gelogen! Das war alles gelogen! Entgeistert starrte ich zu Onkel Harry, der wütend seine Hände zu Fäusten ballte. Josh konnte sich sein Lachen nicht verkneifen und ließ mich herunter, ehe mein Onkel völlig die Fassung verlor.

Sofort klammerte ich mich am Türrahmen fest, um bloß nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mir war nach wie vor schwindelig, dennoch durfte Onkel Harry Josh auf keinen Fall glauben. Das würde in einer Katastrophe enden! »Josh lügt! Ich habe nicht mit ihm geschlafen!«, schrie ich hysterisch.

Er glaubte mir nicht. Sein Blick war starr auf Josh gerichtet, dem ich am liebsten das Grinsen aus dem Gesicht geschlagen hätte. Die Ader auf Onkel Harrys Stirn schwoll so sehr an, dass ich befürchtete, sie würde jeden Moment explodieren. Genauso wie die Stimmung, die hier herrschte. Hochexplosiv.

Onkel Harry biss die Zähne aufeinander. Was dann geschah, passierte so schnell, dass ich nicht einmal realisieren konnte, wie es dazu kam. Ehe ich mich versah, verpasste Onkel Harry Josh einen so heftigen Stoß, dass dieser nach hinten taumelte. Obwohl er das eigentlich mehr als verdient hatte, ließ sich Josh Onkel Harrys Attacke nicht gefallen. Auf einen Schlag war sein Grinsen wie wegradiert.

Augenblicklich verkrampfte sich mein Magen. Er würde Onkel Harry doch nicht etwa schlagen, oder etwa doch? Ich konnte kaum mehr klar denken, so sehr war ich mit dieser Situation überfordert. Doch meine Befürchtung bestätigte sich, als Josh plötzlich mit der Faust ausholte. Reflexartig machte ich einen Satz zur Seite, was wohl mein größter Fehler war. Denn Joshs Faust landete direkt in meinem Gesicht.

Ein höllischer Schmerz ließ mich aufstöhnen und ich sackte einfach zu Boden. Der Aufschlag war nichts verglichen mit Joshs Fausthieb.

Vorsichtig fasste ich mir an die Nase, die unheimlich brannte. Meine Finger berührten etwas Feuchtes. Blut.

Joshs und Onkel Harrys wütenden Schreie nahm ich nur noch verzerrt war. Einmal hörte ich das Wort Polizei. Doch dann sagte Josh irgendetwas, das Onkel Harry dazu veranlasste, mit einem Knall die Tür zuzuschlagen.

Stöhnend blickte ich auf den Boden, der sich mit der roten Flüssigkeit tränkte. Meine Augen füllten sich mit brennenden Tränen. Ich wollte nicht weinen. Aber der Schmerz war einfach zu groß. Ich spürte, wie Onkel Harry beruhigend die Hand auf meinen Rücken legte.

Schniefend lag ich einige Momente später auf dem Sofa und hielt mir ein Knäuel Taschentücher unter die Nase. Onkel Harry brachte mir ein Glas Wasser, welches er auf den kleinen Coachtisch stellte. Dann ließ er sich auf dem Sessel neben mir nieder. Lange musterte er mich. Sein Blick war emotionslos. Kein Hass. Keine Wut.

Ich fragte mich schon die ganze Zeit, in der ich hier lag und versuchte die Schmerzen zu unterdrücken, warum Onkel Harry nicht die Polizei gerufen hatte. Hatte er nicht genau das zu Josh gesagt? Er hatte Josh doch schon einmal mit einer Anzeige gedroht, warum setzte er sie nicht in die Tat um?

Verwirrt starrte ich an die Decke. Es war nicht so, dass ich Josh ausgerechnet die Polizei an den Hals jagen wollte, aber ich fand, dass er sich heute unmöglich benommen hatte und eine Strafe verdiente. Wenn es sein müsste, würde ich ihm morgen selbst den Kopf abreißen. Dieses Mal war er eindeutig zu weit gegangen! Erst quälte er mich beim Training und dann diese unglaubliche Lüge, die mir nur noch mehr Probleme bereitet hatte. Seitdem das passiert ist, hatten weder mein Onkel noch ich ein Wort gesagt.

Ich blickte zu Onkel Harry, der mich immer noch eingehend musterte. Bestimmt war er enttäuscht.

»Allyson«, sagte er plötzlich, »Hast du gehört, was Josh zu mir gesagt hat?« Auf seinem Gesicht lag ein tiefer Schatten.

Ich runzelte die Stirn. »Nein, warum?«

Onkel Harry zwang sich zu einem Lächeln. »Schon gut.«

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