Prolog - Wie alles begann

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Unbekannt - 16:32 Uhr

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Eine rauschende Neugier erfüllte jede Faser meines Körpers, als ich durch den Flur schlich, der jeden willkommen heißen sollte außer mir. Obwohl die Zeit drängte, kletterte mein Blick über jeden Zentimeter der mit Gemälden bestückten Wand. Ich hatte in meinem Leben ausreichend über Kunst gelernt, um zu wissen, dass es sich bei diesen Bildern um das Original handelte. Sie besaß wirklich viel Geld. Statt Neid verspürte ich jedoch in meiner Brust ein brennendes Verlangen nach Genugtuung.

Darauf bedacht, keinen Laut von mir zu geben, schritt ich weiter durch den mit Marmor ausgelegten Flur. Je weiter ich in der Villa vordrang, desto mehr Figuren aus Silber begegneten mir. Der Geruch von frischen Blumen biss sich mit der herben Note Parfum, die in der Luft lag. Vasen aus Porzellan türmten sich an den Wänden.

Es war gewiss keine leichte Aufgabe gewesen, hierher zu kommen. Aber nun, wo ich inmitten dieses kleinen Königreiches stand, fühlte sich das, was ich vorhatte, richtig an. Jeder Gedanke an jede noch so schlaflose Nacht war wie ausgelöscht. Auf einmal schien es so leicht zu sein, ihr das Leben zu nehmen.

Ich würde es nicht bereuen. Höchstens bereute ich es, diesen Weg nicht früher eingeschlagen zu haben. Nur noch wenige Augenblicke und die Vorarbeit, die ich mühevoll geleistet hatte, würde sich bezahlt machen. All meine Sünden würde ich mit ihrem Tod begraben.

Ohne dass ich es beabsichtigt hatte, strich mein Arm eine der Vasen. Wie angewurzelt starrte ich auf das mit Mustern verzierte Gefäß, das gefährlich hin und her schwankte. Für einen Moment wich jede Vorfreude aus meinem Körper, aber als die Vase in ihre Ausgangsposition zurückschaukelte, fand sie augenblicklich ihren Weg zurück. Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus.

Ich schielte zur Wanduhr, die exakt 16:34 Uhr anzeigte, bevor ich das Wohnzimmer betrat. Die warme Herbstsonne drang durch die bodentiefen Fenster und brachte den Raum zum Strahlen. In der Mitte war eine Coach aufgestellt, die in ihrer Farbe dem matten Ton der Wände glich. In unmittelbarer Nähe befand sich ein Tisch aus Glas. Der Fernseher an der Wand war vielleicht nicht genauso glänzend, aber in seiner Größe überragte er den Tisch allemal. Der Anblick erfüllte mich mit Wut. Diese Frau lebte wie eine Königin in einem Palast.

Ich schüttelte den Kopf. Sie hatte eindeutig zu viel Geld. Gut, dass das bald nicht mehr so war.

Plötzlich riss mich ein Geräusch aus meinen tiefen Gedankengängen. Abrupt hielt ich inne und horchte den Lauten, welche eindeutig aus dem Obergeschoss kamen. Es kostete mich einen Moment Zeit, um zu bemerken, dass es lediglich das Brausen einer Dusche war.

Das Grinsen auf meinen Lippen wurde breiter. Ich hatte freie Bahn. Sie war vollkommen abgelenkt. Während sie da oben ihre Dusche nahm, konnte ich in Ruhe das zu Ende bringen, was ich angefangen hatte. Niemand würde auch nur den Hauch einer Ahnung haben, dass ich für das Chaos der nächsten Stunden verantwortlich war. Und das allerbeste war: Sie war mittendrin!

Entspannt griff ich in meine Hosentasche und zog eine Zigarettenschachtel hervor. Ich wollte den Moment ihrer Unachtsamkeit in vollen Zügen genießen.

Qualm schwebte durch das Zimmer, als ich den Zigarettenstummel in meinen Mund steckte und auf eine der Vitrine zuging. Ich nahm ein Familienfoto in den Augenschein, das das einzige in diesem Haus zu sein schien, das Persönlichkeit in die sonst öde Villa brachte.

Drei Gesichter lachten mir entgegen. Es tat mir leid um das Mädchen und den kleinen Jungen, aber ihre Mutter war eine Hexe gewesen und erhielt nun die Abrechnung.

Ich fokussierte die Frau, die ich über alles in der Welt verabscheute. Ihre blauen Augen strahlten vor Freude. Mit den blonden Haaren und der zierlichen Statur glich sie einem Engel. Aber sie war kein Engel.

Mein Hass auf sie nahm Überhand. Ich stieß das Bild vom Schrank. Der gläserne Rahmen zersprang auf den Boden und fiel in zehntausend kleine Stücke. Ihr Lachen würde ihr bald vergehen.

Als ich hörte, wie der Wasserhahn oben wieder zugedreht wurde, holte ich eine Packung Streichhölzer hervor. Ich suchte mir das schönste Stück Holz, das ich finden konnte, und zündete es mit einem Zug an. Eine Flamme lachte mich an. Fasziniert betrachtete ich die ungeheuerliche Macht, die ich in den Händen hielt. Dann, bevor ich mir die Finger verbrannte, warf ich das Streichholz direkt auf das Sofa. Augenblicklich brannte sich ein schwarzes Loch in das Leder. Dann wurden die Flammen dichter und vermehrten sich. Binnen weniger Sekunden stand die ganze Couch in Flammen.

Zufrieden über mein Werk rauchte ich ein letztes Mal an meiner Zigarette und warf sie anschließend ins Feuer, welches begann, den Raum mit einer unglaublichen Hitze zu erfüllen. Der faszinierende Geruch von Erfolg lag in der Luft und berauschte meine Sinne.

Bevor sich der giftige Rauch den Weg in meinen Körper bahnen konnte, stieß ich die Terassentür auf und spazierte in den Garten. Nun war es wohl daran, von hier zu verschwinden. Zeit hatte ich jedoch zu Genüge. Der Feueralarm sowie die Überwachungskameras waren abgeschaltet. Ich hatte alles bis auf das kleinste Detail geplant.

Ich hatte so lange auf diesen Moment gewartet, dass ich die Tage nicht mehr abzählen konnte.

So lange, dass ich meinen Hass auf sie nicht mehr schüren konnte.

So lange, dass ich meine Rachegelüste nur noch mit ihrem Tod stillen konnte.

Und für den Fall, dass sie das Feuer doch überlebte, hatte ich ebenfalls einen Plan, der ihr Leben endgültig zu Asche zerfallen lassen würde...

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