Kapitel 7 - Unruhige Nacht

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»Willst du noch etwas, Allyson?«, der Blick meines Onkels wanderte von meinem leeren Teller zum Topf mit den dampfenden Nudeln. Heftig gab ich ein Nicken von mir und verspeiste somit meine dritte Portion. Seit gestern hatte ich nicht mehr anständig gegessen, weil ich die ganze Zeit Angst um Mom gehabt hatte. Jetzt rächte sich mein Magen mit einer unglaublichen Hungerattacke.

Max saß neben mir und hielt sich den kugelrunden Bauch. Er hatte eindeutig zu viel gegessen, was ich aber verstehen konnte. Onkel Harry war ein ausgezeichneter Koch! Die Soße war so gut, dass ich nicht mehr genug von ihr kriegen konnte.

»Sag mal, Onkel. Wo hast du so gut Kochen gelernt?« Die Basilikumsoße hätte ich mir auch so in den Mund gekippt.

Die Mundwinkel von Onkel Harry hoben sich. »Schön, dass es dir geschmeckt hat!«

Er begann das Geschirr vom Tisch zu räumen. Ich erhob mich von meinem Platz und half ihm.

»Ich habe drei Jahre lang in der Kochschule gelernt«, berichtete mein Onkel stolz.

Er erzählte uns von einem Konditoreibetrieb und seiner Arbeit dort. Besonders beliebt seien wohl seine Torten. Mir lief bereits beim Zuhören das Wasser im Mund zusammen. Gott sei Dank, konnte ich essen, was ich wollte, ohne zuzunehmen.

Gemeinsam räumten wir das Geschirr in die Spülmaschine und fegten die Küche. Dann sollten Max und ich uns auf den Weg nach oben machen. Es war schon spät und wir waren von den heutigen Ereignissen ziemlich erschöpft. Es gab viel Schlaf nachzuholen.

Onkel Harry war so lieb gewesen, uns eine Kiste mit alten Kleidungsstücken zu geben, damit wir etwas zum Anziehen hatte. Teilweise waren es alte T-Shirts, die er früher getragen hatte oder Sachen, die seine Exfrau zurückgelassen hatte.

Ich zog Max ein viel zu großes Shirt an und brachte ihn dann in sein Zimmer, das genauso eingerichtet war wie das, in dem ich schlafen sollte. Nur einen Unterschied gab es. Hier hängten Bilderrahmen. Die silbernen Vierecke zeigten Fotos von Onkel Harry und seiner alten Liebe.

Josie.

Das las ich auf einem Bild mit Schriftzug. So war also ihr Name.

Auch wenn die Bilder mindestens zehn Jahre alt waren, konnte man die romantische Atmosphäre zwischen den beiden deutlich ausmachen.

Mein Blick am größten Rahmen hängen. Onkel Harrys Arm lag um Josies Taille. Die hübsche Blondine grinste in die Kamera. Ihre Wangen hatten einen schönen Roséton angenommen. Als hätte mein Onkel ihr soeben gesagt, er würde sie für immer lieben. Sie sahen zusammen so glücklich aus.

Das Foto hatte einen Moment festgehalten, der längst vorbei war. Onkel Harry schien gerne in Erinnerungen zu schwelgen, sonst hätte er die Rahmen längst abgehangen. Es schien fast so, als würde er immer noch darauf warten, dass sie eines Tages wieder zurückkehrte.

So fürsorglich, wie mein Onkel ihre Kleidung aufgehoben hatte, konnte ich mir das gut vorstellen.

»Ally, du bist blöd!«, klaffte mein Bruder mich an.

Ich drehte mich um und stützte die Hände in die Hüften. »Ich soll blöd sein? Wieso das denn?«

Max lag halbzugedeckt im Bett und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Er richtete den Finger auf mich. »Onkel Harrys ist nett«, klagte er, »Viel netter als du!«

Mir entwich ein Lachen. »Gut, dann ist er netter als ich.« Ich näherte mich Max und machte auf einen Satz auf ihn zu. Ich bekam ihn zu fassen und kitzelte ihn durch. Er begann zu kichern und erst, als er mich anflehte, dass ich aufhören sollte, tat ich das auch.

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