Kapitel 84 - Ein Sturm braut sich zusammen

5.8K 439 30
                                    

»Nein!«, schrie ich verzweifelt und schreckte aus dem Schlaf. Schweißgebadet setzte ich mich auf und hielt mir den Hals, der wie verrückt brannte. Keuchend schnappte ich noch Luft. Schon wieder dieser grausame Albtraum.

Aufgewühlt strich ich mir die feuchten Strähnen hinter die Ohren. Es hörte einfach nicht auf. Mittlerweile hatte ich fast jede Nacht diesen schrecklichen Albtraum. Und jedes Mal fühlte es sich so unheimlich echt an.

Stumm wischte ich mir über das feuchte Gesicht und wollte die Erinnerungen krampfhaft unterdrücken, aber sie kamen zusammen mit meinen Tränen immer wieder hoch. Mom. Max. Dad. Mom. Max. Dad. Mom. Max. Dad. Ich hatte keine Ruhe. Ich drehte durch.

Aufgelöst presste ich die Lippen aufeinander und ließ es einfach zu. Es hatte keinen Sinn den Schmerz zu unterdrücken. Ich hatte ihn viel zu lange aufgestaut. Es war klar gewesen, dass ich früher oder später zusammenbrechen würde. Moms Geständnis hatte mir den Rest gegeben. Den letzten entscheidenden Schlag.

Kraftlos ließ ich mich wieder zurück in meine Matratze fallen und schloss die Augen. Ich war am Ende. Noch mehr würde ich nicht aushalten. Ich war jetzt schon mit den Nerven am Ende.

»Allyson?« Ich schaute zur Tür, die einen Spalt offen stand. Onkel Harry lugte ins dunkle Zimmer. Sein Gesicht war zwar nicht erkennbar, aber ich wusste, dass er sich Sorgen machte. Alle machten sich Sorgen, aber niemand konnte sich in mich hineinversetzen. Niemand wusste, wie schmerzhaft es wirklich war.

»Ich bringe Max morgen zu Luke, ja?«, fragte mein Onkel unsicher.

Ich nickte kaum merklich. Luke war Max' bester Freund und Lukes Vater war Polizist. Das war der entscheidende Punkt.

So gern ich Max beschützen wollte, ich konnte nicht. Er sollte lieber an einem Ort sein, wo ich mir sicher sein konnte, dass ihm nichts geschah. Er stand an erster Stelle. Wenn ihm etwas geschehen würde, wäre das für mich wie ein Schuss in die Brust.

* * *

Zitternd bewegte ich mich in die Küche und starrte aus dem Fenster. Mittlerweile hatten wir Sonntag. Max war bei Luke und Onkel Harry erledigte außerhalb der Stadt Geschäftliches. Unwohl lauschte dem Regen, der laut gegen die Fensterscheibe prasselte. Obwohl es erst 18 Uhr war, war es draußen bereits stockdunkel. Ein Sturm braute sich zusammen.

Tief atmete ich ein und wieder aus. Ich hasste Gewitter. Um mich abzulenken, schaltete ich den Fernseher an. Kaum hatte ich fünf Minuten eine Sendung über tropische Inseln geschaut, wurde der Bildschirm schwarz. Der ganze Strom fiel aus. Plötzlich saß ich im Dunkeln. In der Ferne nahm ich ein Krachen wahr. Gewitter.

Ich spürte, wie sich mein Körper anspannte. Warum war ich ausgerechnet heute alleine zu Hause?

Ich wollte in mein Zimmer, um Jayden vom Handy aus anzurufen, aber auf halben Wege, erhellte ein strahlender Blitz den Raum. Das Donnern war so laut, dass ich zusammenzuckte und mich an die Wand presste. Ich versuchte die Fassung zu behalten. Es war nur ein Gewitter. Nichts weiter.

Es blitzte erneut. Das Leuchten war hell. Ich kniff die Augen zusammen und presste mir die Hände auf die Ohren. Der Knall war so laut, dass ich erneut zusammenfuhr. Mein Herz schlug mit bis zum Hals. So reagierte ich immer bei Gewittern, wenn ich alleine war. In Gegenwart von anderen hielt sich meine Angst noch in Grenzen. Aber sobald ich alleine war, nahm die Panik Überhand.

Ein lautes Krachen, das sich anhörte, als würde jeden Moment die Welt untergehen, ließ mir beinahe das Herz aus der Brust springen. Fest presste ich mich gegen die Wand und hielt den Atem an. Bei jedem Donnergrollen schoss eine weitere Panikwelle durch meinen Körper.

UnderratedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt