Kapitel 98 - Grausame Rachegelüste

6.1K 399 20
                                    

Durch meinen Tränenschleier hindurch starrte ich meinen Onkel an. »Bitte nicht...«, flüsterte ich und spürte, wie sich ein unglaubliches Stechen in meiner Brust breit machte. Ich war zwar enttäuscht, aber ich liebte meinen Onkel. Ich konnte nicht ohne ihn. Auch wenn er Mom fast umgebracht hatte, ich liebte ihn. Er war für mich wie der Vater gewesen, den ich nie gehabt hatte. Er hat Max und mich wie seine eigenen Kinder behütet und sich immer Sorgen gemacht, wenn etwas nicht stimmte. Dieser Mann war kein Monster. Er war ein guter Mensch, der Fehler gemacht hatte. Aber Fehler waren menschlich! Jeder hatte eine zweite Chance verdient! Onkel Harry würde ich sogar bei seinem fünften oder sechsten Fehler noch verzeihen. Ich liebte ihn.  

Ich wollte auf ihn zugehen, aber Josh hielt mich zurück. »Allyson, nicht...«, meinte er behutsam und zog mich an sich. Ich wollte protestieren, aber ich konnte nicht. Stattdessen wanderte mein Blick zu Klint und seiner Waffe, die immer noch auf mich und Josh gerichtet war.

»Lass Allyson bitte gehen!«, flehte mein Onkel verzweifelt. Klint dachte jedoch nicht einmal eine Sekunden daran. »Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun! Bitte! Ich habe Mariett getötet, nicht Rose!«, wimmerte mein Onkel wieder. Ich schloss die Augen, weil ich den Anblick meines weinenden Onkels nicht mehr ertragen konnte. Ich konnte ihn nicht mehr so sehen.

»Das ändert nichts«, hörte ich Klint plötzlich sagen, »Mariett war für mich alles! Und anscheinend ist Allyson für dich genauso wichtig. Dann lass ich sie eben vor deinen Augen sterben!«

Ich schlug die Augen vor Schock wieder auf. Was?

»Bitte nicht, Klint! Alles aber nur nicht das, bitte!«, flehte mein Onkel hilflos und starrte mich aufgelöst an. »Ich hätte sofort zur Polizei gehen müssen!«, murmelte er, »Alles ist meine Schuld! Es tut mir so leid, Allyson!«

Ich biss mir auf die Lippe. Ich wollte weinen, aber ich hatte Angst. Angst, das Jemand, der mir viel bedeutete, starb. Ich spürte nämlich wie Joshs Griff immer fester wurde. Ich wusste, dass er etwas Dummes tun würde, wenn es drauf ankam. Er wollte mich wegdrücken. Er wollte, dass die Kugel ihn anstatt mich traf.

Klints Finger spielten am Abzug herum. Jede Sekunde hätte die tödliche Kugel kommen können, wenn mein Onkel es sich in seiner Verzweiflung nicht anders überlegt hätte. Denn plötzlich bückte er sich und nahm seine Waffe wieder in die Hände. Innerhalb einer Sekunde hatte er die Pistole auf Klint gerichtet und den Abzug betätigt.

Nur leider passierte rein gar nichts.

Die Waffe war leer.

Mit offenem Mund starrte ich auf den Revolver, der nichts außer ein kläglichen Klicken zustande brachte. In dem Moment wurde mir klar, dass der heutige Tag grausam enden würde.

Klint grinste, als er Onkel Harrys verzweifelten Versuche bemerkte, die leere Waffe zu betätigen. »Das Glück steht heute auf meiner Seite!«, lachte er und fixierte mich.

»Josh, wir müssen etwas tun!«, flüsterte ich völlig angespannt und war unfähig mich zu bewegen. Obwohl es draußen aufgrund des Schnees eiskalt war, schwitzte ich vor lauter Nervosität und Aufregung.

Josh ging es ähnlich. Ich spürte seinen erschöpften Atem neben meinem Ohr. »Wir müssen Zeit schinden!«, sagte er leise, »Du hast doch gesagt, Jayden hat die Polizei gerufen. Wenn die Cops Harrys Blutspur verfolgen, finden sie uns und wir sind gerettet!«

Erleichtert atmete ich aus. Er hatte Recht. Aber ich war mir leider nicht so sicher, ob Klint das noch lange mitmachte. Er konnte es lauter Rachegelüste kaum erwarten.

Plötzlich fiel mir eine Person ins Blickfeld, die sich langsam an Klint anschlich.

Überrascht hielt ich den Atem an.

UnderratedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt