Kapitel 57 - Glänzende Rüstung

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Als ich mich endlich wieder beruhigt hatte, bemerkte ich Melissa. Ich stellte mein Glas ab und folgte ihr unauffällig. Sie lief die Stufen zum zweiten Stock hoch. Ich schlich mich durch die tanzende Menge.

Doch als ich oben angekommen war, war sie nicht mehr ausfindig zu machen.

Der Gang war leer und ohne jegliche Dekoration. Durfte man überhaupt hier hoch?

Verwirrt öffnete ich die erste Tür. Als ich ein knutschendes Paar entdeckte, schloss ich sie wieder. Fehlalarm.

Ich müsste wohl oder übel alle Räume durchsuchen. Ich ging auf die nächste Tür zu. Doch das finstere Zimmer war vollkommen leer. Kurz meinte ich einen Schatten wahrzunehmen, dann widmete ich mich dem nächsten Raum.

Erst erschrak ich, weil ich dachte, dass Jayden vor mir stand, doch es war der edle Ritter. Er stand mit dem Rücken zu mir am Fenster und telefonierte.

Ohne Helm.

Dieser lag auf der Fensterbank. Durch das Licht des Mondes konnte ich erkennen, dass er blondes Haar hatte.

Seine Stimme kam mir irgendwie bekannt vor. Ich war mir sicher, dass ich sie irgendwo schon einmal gehört hatte.

Schließlich war ich zu neugierig und schloss so leise, ich konnte, die Tür hinter mir. Dann knipste ich das Licht an.

Der edle Ritter ließ vor Schreck sein Handy fallen. Mit weit aufgerissenen Augen wirbelte er zu mir herum.

Mir klappte die Kinnlade runter.

Chris?

Chris war der edle Ritter?

Der Typ, der mit Collin in den Chemieclub ging?

Ein Nerd? Ein Nerd war für diese hammermäßige Party verantwortlich?

Wow. Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet! In der Schule wurden immer nur die Beliebten verdächtigt. Niemand hätte auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass es einer der Nerds sein könnte.

»Oh, Gott!«, stöhnte Chris und bedeckte sein Gesicht, »Ich habe vergessen die Tür abzuschließen.«

Ich drehte den Schlüssel im Schloss um und trat dann ein paar Schritte auf ihn zu. »Interessant«, grinste ich, »Du bist also der edle Ritter.«

Chris sah ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, sein Gesicht zu verdecken. Er ließ die Hände sinken und nickte. Jegliche Coolness und Gelassenheit waren wie weggeblasen. Seine blauen Augen waren vor Angst geweitet. »Bitte, verrate es niemanden«, flehte er mich an, »I-ich gebe dir auch Geld!« Sofort kramte er einen Hunderter aus seiner Rüstung und hielt ihn mir hin.

Ich hob ablehnend die Hände. »Keine Sorge, ich werde es schon niemanden verraten. Du musst mir kein Geld geben.«

Chris ließ die Schultern sacken. »Warum sollte ich dir vertrauen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Du musst es einfach tun. Was ist überhaupt daran so schlimm, wenn alle es herausfinden?«

Chris setzte sich bedrückt auf die Fensterbank und legte seinen Helm auf den Schoß. »Wenn alle wissen, wer ich bin, wird niemand mehr auf meine Partys kommen«, er strich sich verzweifelt durch das Haar, »Nur durch dieses Geheimnis kann mir einmal im Jahr wie etwas Besonderes fühlen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das stimmt doch gar nicht«, erwiderte ich, »Jeder ist etwas Besonderes. Und wenn alle wüssten, dass du es bist, würden sie dich feiern! Glaub mir.«

»Das glaube ich nicht.«

Ich stützte die Hände in die Hüften. »Doch! Du musst nur genug Selbstbewusstsein haben, um deinen Helm vor allen abzunehmen«, erklärte ich, "Im ersten Moment werden alle vielleicht unglaublich überrascht sein, klar. Aber dann bist du das Gesprächsthema der Schule! Alle werden dich bewundern und mit ganz anderen Augen sehen.«

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