Kapitel 17 - Süße Himbeertorte

7.8K 465 29
                                    

Nachdem ich mit Collin den Tag abgesprochen hatte, an dem wir uns treffen sollten, machte ich mich schleunigst auf den Weg nach Hause. Schließlich hatte ich mir eine ganze Menge vorgenommen. Unzählige Kuchen und Muffins warteten darauf gebacken zu werden. Eins war klar: Das würde eine lange Nacht werden.

Ich hatte das Vergnügen, die ganze Nacht lang zu backen. Bis drei Uhr morgens stand ich in Onkel Harrys Küche. Da ich seine Hilfe dankend abgelehnt hatte, war er genauso wie Max schon lange im Bett. Zum gefühlten tausendsten Mal mixte ich alle Zutaten zusammen und schob den Teig der Fertigmischung in den Backofen.

Insgesamt hatte ich schon vier Kuchen und ganze fünfzig Muffins gebacken - von Himbeere und Erdbeere bis zu Schokolade und Sahne war alles dabei. Das Traurigste war jedoch, dass ich kein einziges Stück Kuchen verdrücken durfte. Ich brauchte diese dreihundert Dollar einfach so dringend.

Müde setzte ich mich vor den Ofen und beobachtete den letzten Kuchen dabei, wie er immer größer und größer wurde und schließlich seine Springform überragte. Erschöpft legte ich den Kopf auf dem Tisch ab und schloss für wenige Sekunden die Augen.

Ein sanftes Schütteln ließ mich aus dem Schlaf gleiten. »Allyson?«, fragte Onkel Harry behutsam.

»Was ist?«, murmelte ich verschlafen und bemerkte mit einem Blick zum Fenster, dass die Sonne bereits aufgegangen war. Verdammt, ich war eingeschlafen! Und plötzlich schoss mir wieder der Marmorkuchen in den Kopf, den ich vor Stunden in den Ofen geschoben hatte. »Oh, mein Gott! Mein Kuchen!«, schrie ich entsetzt auf und lief zum Ofen, der zu meiner Überraschung leer war.

Verwirrt drehte ich mich zu Onkel Harry, der mit dem Zeigefinger auf den Tisch deutete. Da stand mein Marmorkuchen. In voller Größe. Ich trat näher an ihn heran. Er war kein bisschen verbrannt. Beim Anblick lief mir das Wasser im Mund zusammen. Wie konnte ein vergessener Kuchen nur so fluffig aussehen?

»Ich bin zum Glück noch rechtzeitig wach geworden, sonst hättest du das ganze Haus abgebrannt«, klärte Onkel Harry mich auf.

Wie ich diesen Mann liebte! Sofort fiel ich meinem Onkel um den Hals. »Danke, danke, danke!«, gähnte ich in sein Hemd hinein.

»Kein Problem«, erwiderte er, nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten. »Du solltest dich aber jetzt beeilen! Es ist schon acht Uhr!«, er deutete auf seine Armbanduhr. Und mit diesen Worten raste ich die Treppen hoch, nahm im Eiltempo eine Dusche und schlüpfte in frische Klamotten.

Nachdem ich diesen Glanzakt innerhalb von fünfzehn Minuten erledigt hatte, sprintete ich nach draußen, wo Onkel Harry gerade dabei war, die gesamten Kuchen und Muffins in den Kofferraum zu packen. Extra nur für mich hatte er seine alte Karre wieder auf Vordermann gebracht. Da er nämlich nicht gerne Auto fuhr, war der alte Mustang schon etwas eingerostet. Aber jetzt erstrahlte das blaue Auto in neuem Glanz.

Wir stiegen in den Wagen, ich auf dem Fahrersitz, Onkel Harry als Beifahrer. Max kletterte auf die Rückbank und schlief sofort wieder ein. Er und Onkel Harry waren gestern bis Mitternacht wach geblieben, um mir beim Backen zuzusehen. Das zeigte sich jetzt. Ich startete den Motor, der nach einem Grollen ansprang. Dann trat ich in die Pedalen und fuhr ab nach Raystown.

* * *

»Bitteschön!«, lächelte ich den nächsten Kunden an und übergab ihm ein Stück des Schokoladenkuchens.

Mittlerweile war es zwölf Uhr. Ich hatte nur noch eine Stunde Zeit, um den restlichen Kuchen und die Muffins zu verkaufen. Das würde jedoch kein Problem darstellen, denn ich hatte fast alles verkauft. Der Wochenmarkt war voll hungriger Mägen. Nur noch zehn Muffins und ein paar Kuchenstücke warteten darauf, endlich verputzt zu werden.

Onkel Harry und Max waren in der Zwischenzeit etwas bummeln. Ich wollte nicht, dass man mir half. Da ich diejenige war, die Jaydens Musikanlage beschädigt hatte, war ich der Ansicht, dass auch ich das wieder gut machen musste. Ich wollte Onkel Harry nicht auch noch zusätzlich belasten.

»Ein Himbeermuffin bitte!« , lächelte mich die nächste Kundin an und drückte mir einen Dollar in die Hand. Zum Glück war hier so viel los. Meine Leckereien verkauften sich rasend schnell. Nach einer halben Stunde war alles bis auf zwei Muffins verkauft.

»176, 177...« , eifrig zählte ich das Geld, »...178 Dollar!« Enttäuschung machte sich in mir breit. Da fehlten ja noch über hundert Dollar und wenn ich die Kosten für Benzin und Zutaten abzog, über die Hälfte! Schmollend räumte ich die Tablette vom Tisch. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte Jayden versprochen, dass ich Montag das Geld haben würde!

Frustriert nahm ich einen der letzten beiden Muffins und stopfte ihn in mich hinein. Jetzt würde eh niemand mehr etwas kaufen wollen, wenn der Stand so leer aussah. Mein Blick schweifte über den Wochenmarkt. So viele hungrige Menschen mit Geld in den Taschen. Ich hätte einfach noch mehr backen sollen!

Plötzlich fiel mir ein Mädchen in einem auffällig gelben Mantel auf, das direkt in meine Richtung kam. Braunes Haar umspielte ihre Schultern. Der stechende Blick ihrer grünen Augen war aus fünfzig Metern zu erkennen.

Melissa.

Was zum Teufel machte sie denn hier? Panisch griff ich nach Onkel Harrys alter Baseballcap und zog sie mir extra tief ins Gesicht. Innerlich flehte ich, dass sie mich bloß nicht erkannte.

»Puh, da habe ich ja nochmal Glück, dass ich den letzten Muffin erwische«, grinste sie mich an.

Ich nickte mit gesenktem Kopf und übergab ihr den letzten Muffin, den sie meiner Meinung nach überhaupt nicht verdient hatte. Wie konnte Collin nur auf diese Zicke stehen?

Melissa nahm den Muffin freudig an und übergab mir einen Ein-Dollar-Schein, den ich gierig annahm. Jeder Dollar war mir etwas Wert, um die Schulden bei Jayden abzubezahlen.

»Moment mal!«, rief Melissa plötzlich und riss mir die Cappie vom Kopf, »Allyson?« Ihre grünen Augen funkelten mich überrascht an.

Dann brach sie in schallendes Gelächter aus. Das hatte mir gerade noch gefehlt!

»Oh, arme Allyson, bist du so tief gesunken, dass du dir dein Geld mit ungenießbaren Muffins verdienen musst!«, schmollte sie mich daraufhin gespielt an.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte ihn doch nicht einmal probiert! Mein Gott, wie ich diese Göre hasste! So arrogant wie sie vor mir stand, hätte ich ihr am liebsten wirklich den Hals umgedreht. »Hau ab, Ravenhill!«, fauchte ich ihr entgegen.

Sie grinste selbstgefällig und ging, aber natürlich musste sie dabei den gekauften Muffin auf den Boden fallen lassen. »Huch!«, lächelte sie, »Das war aus Versehen!«

Das glaubte ich ihr natürlich. Grimmig beobachtete ich sie dabei, wie sie endlich verschwand. Wenn ich das nächste Mal einen Verkauf starten wollte, ging ich direkt an die Antarktis. Da fuhr ich zumindest nicht Gefahr, auf eine Ravenhill zu treffen.

Wütend räumte ich den Tisch ab und packte alle Sachen ein, um sie dann auf den Parkplatz zu schleppen und sie im Kofferraum des Mustangs zu verstauen. Von den 179 Dollar nahm ich schon einmal 30 Euro herunter, welche ich in meine Hosentasche stopfte. Dieses Geld könnte ich später direkt Onkel Harry geben.

Da ich nichts mehr zu tun hatte, beschloss ich, mich auch ein wenig umzusehen. Shoppen war für mich leider keine Option. Also musste ich an zahlreichen Boutiquen einfach vorbeilaufen, was mir innerlich das Herz zerbrach. Wie gerne ich neue Klamotten haben wollte. Josies alten Kleider waren zwar noch in Ordnung, aber wer wünschte sich nicht, in ein Paar brandneuer Jeans schlüpfen zu können?

Genervt schlenderte ich an zahlreichen Leuten vorbei, die gerade dabei waren, ihren Wocheneinkauf zu erledigen. Schade, ich hätte einfach mehr backen sollen. Was sollte ich Jayden am Montag bloß sagen? Sorry, hab das Geld doch nicht?! Das würde unglaublich doof kommen.

Geknickt ließ ich den Kopf sinken. Dabei musste ich mit Entsetzen jedoch feststellen, dass einer der Geldscheine gerade dabei war, sich aus meiner Hosentasche zu mogeln. Hastig wollte ich den Zwei-Dollar-Schein noch zu fassen kriegen, doch der Wind blies ihn mir einfach vor der Nase weg.

UnderratedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt