Kapitel 16 - Die Wahrheit

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Josh in seiner typischen Haltung: Vor seinem Haus stehend und rauchend. Im Vergleich zu Onkel Harry, der vielleicht einmal am Tag rauchte, war Josh ein echter Kettenraucher. Bei dem Gedanken an den Geruch von stinkendem Zigarettenqualm verzog ich das Gesicht.

»Was ist los, Parker?«, fragte Josh mich plötzlich, als ich an ihm vorbeiging. »Wieso heulst du nicht wieder wie ein kleines Baby?« Ein belustigtes Lächeln lag auf seinen Lippen.

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Ich hatte keine Lust auf diesen Idioten. Er provozierte mich doch absichtlich. Ich ging nicht darauf ein und lief einfach weiter.

Zu Hause angekommen schlüpfte ich aus meinen Schuhen und betrat das Wohnzimmer. Onkel Harry saß mit Max vor dem Fernseher. »Wo warst du so lange, Allyson?«, fragte er mich etwas irritiert, »Das Training geht doch nur bis Sieben, oder habe ich das falsch in Erinnerung?«

Verdammt, war Onkel Harry gut. Ich bewegte mich auf der Stelle. »Ich habe mich noch mit jemandem getroffen«, antwortete ich und kratzte mich am Hinterkopf. Es war die Wahrheit. Ich war nur nicht so präzise wie sonst.

»Mit wem?«, rief Max plötzlich. Seine blauen Augen funkelten mich neugierig an. Verflucht sei die kindliche Neugier.

Onkel Harry sah mich plötzlich genauso erwartungsvoll an. Meggie wollte unter keinen Umständen, dass ich ihren Namen erwähnte. Und um ehrlich zu sein, wollte ich es auch nicht riskieren. Der Gedanke, dass ihre Eltern sie sonst auf ein Internat schicken könnten, machte mir Angst.

»Ich habe mich mit Jayden unterhalten und dabei völlig die Zeit vergessen!«, log ich mit einem falschen Grinsen.

Onkel Harry schnaubte auf. »Dieser Typ, der mit seinem Lamborghini durch die Gegend kutschiert?«

»Ja, genau der...« Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, ausgerechnet Jayden als Vorwand zu nehmen.

»Bist du in ihn verliebt?«, fragte mein kleiner Bruder plötzlich.

Ich fing an, lauthals zu lachen. »Ich und Jayden?«, prustete ich, »Niemals!«

Onkel Harry fand das Ganze nicht einmal annähernd so lustig wie ich. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie verzogen. »War das die Person, für die du dich am Montag nachts heimlich aus dem Haus geschlichen hast?«

Ich verstummte auf der Stelle. Er wusste, dass ich nachts heimlich das Haus verlassen hatte? Schon die ganze Zeit über?

Wenn es einen Preis für den wachsamsten Onkel gab, dann hatte Onkel Harry eindeutig gewonnen. Ihm entging anscheinend nichts.

»I-ich...«, stotternd suchte ich nach einer Ausrede. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war eine miserable Lügnerin.

Onkel Harry erhob er sich von seinem Sessel und forderte mich auf, mit ihm auf die Terrasse zu gehen. Zögernd folgte ich ihm. Jetzt gab es Ärger.

»Es tut mir leid!«, brachte ich verzweifelt hervor und spielte mit dem Saum des Pullovers, »Ich wusste, dass du mir niemals erlauben würdest, so spät noch rauszugehen, also musste ich es heimlich tun.«

Onkel Harry musterte mich und versuchte herauszufinden, ob ich die Wahrheit sprach oder nicht. »Ist er dein Freund?«, fragte er mich plötzlich.

»Oh, Gott. Nein. Natürlich nicht!«, schoss es aus meinem Mund.

Onkel Harry verengte die Augen zu Schlitzen. »Was habt ihr an dieser Nacht gemacht?«

Was sollte ich denn jetzt erzählen? Vielleicht war die Wahrheit doch angebracht? Aber ich hatte Meggie fest versprochen, niemanden zu erzählen, dass wir uns getroffen hatten. Verbittert biss ich auf meiner Unterlippe herum.

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