Kapitel 99 - Ein trauriges Ende

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Mit dem Gesicht voran landete ich im eiskalten Schnee, weil ein schweres Gewicht mich zur Seite stieß. Erschrocken fuhr ich zusammen, als der ohrenbetäubende Knall kurz darauf ertönte. Ich dachte, ich wäre getroffen. Doch ich spürte keinen Schmerz und als ich mich umdrehte, sah ich, was wirklich passiert war. Mein Vater stand neben mir und hielt sich mit bleichem Gesicht die Brust. Ein Schuss mitten in die Brust. Das war die erschreckende Erkenntnis.

»Das passiert, wenn man sich mir in den Weg stellt!«, fauchte Klint und wollte die Waffe nun wieder auf mich richten. Doch Josh kam dazwischen. Mit einem Tritt kickte er Klint die Waffe aus den Fingern und stürzte sich auf ihn.

Ich hätte aufstehen sollen. Die Waffe in die Finger kriegen sollen. Aber ich war wie gelähmt und hielt die Luft an. Mein Herz pochte heftig gegen meinen Brustkorb. Ich starrte auf den Körper meines Vaters, der neben mir in den Schnee fiel. Der Schock saß tief. Das war so plötzlich. So unerwartet. Wieso hatte er das getan? Wieso hatte er mich gerettet und sich dabei selbst geopfert?

Sofort kniete ich mich zu ihm und zog das Hemd zur Seite. Der Anblick war furchtbar. In dem Moment wurde mir klar, dass nichts mehr zu retten war.

»Wieso hast du das getan?«, fragte ich mit heiserer Stimme und blickte meinen Vater an.

Seine Lider waren beinahe geschlossen. Hin und wieder entwich ihm ein kleines, aber schmerzhaftes Stöhnen. »Weil ich dich liebe, Allyson...«, versuchte er mir zu sagen, ohne vollkommen das Bewusstsein zu verlieren. Und diese Aussage war es, die mir das Herz brach und eine Welle von Schuldgefühlen in mir auslöste.

Ich spürte, wie mein Kiefer zu zittern begann. Die ganze Zeit hatte ich diesen Mann verabscheut, gehasst, verachtet. Und erst jetzt, wo er im Sterben lag, bereute ich es. Genau in dem Moment, in dem es schon zu spät war. Die erste Träne fiel, gefolgt von der zweiten. Verbittert nahm ich die Hand meines Vaters und umklammerte sie. »Ich verzeihe dir!«, wimmerte ich, »Dad, ich verzeihe dir! Bitte geh nicht! Ich verzeihe dir, bitte!«

Und das war nicht bloß leeres Gerede - ich meinte es wirklich so. Er hatte mir nämlich gezeigt, dass ich ihm wirklich die Welt bedeutete. Dass er mich liebte. Dass er seine Tochter verdammt nochmal liebte. Ich wünschte mir, er hätte es irgendwie anders beweisen können.

»Schon gut, Allyson...«, flüsterte er und versuchte mit Mühe die Lider offen zu halten, »Schon gut... wenigstens hast du mir verziehen...« Dann schlossen sich seine Augen und der Griff um meine Hand wurde locker. Sofort schrie ich auf.   Das durfte nicht sein!

Was ich aus diesem Ereignis gelernt habe? Gib jedem Menschen, egal, wie grausam er gewesen ist, eine zweite Chance. Denn jeder hat sie verdient. Menschen ändern sich. Sie bleiben nicht immer die Gleichen. Und wenn sie dich bitten, ihnen zu verzeihen, dann tu es einfach. Denn du wirst es mehr als alles Andere bereuen, wenn es nicht mehr möglich ist.

Ich hätte bestimmt noch mehr geweint, wenn Joshs beunruhigte Stimme mich nicht wieder in die Realität gebracht hätte. »Ganz ruhig, Klint! Wir wollen doch nicht, dass Sie einen Fehler begehen!«, hörte ich ihn sagen.

Hastig wischte ich mir die Tränen weg und drehte mich zu ihnen. Der Anblick war mindestens genauso schmerzlich wie der tote Körper meines Vaters. Josh stand keine zwei Meter entfernt vor Klint, der seine Waffe in den Fingern hielt und den Abzug betätigen wollte.

»Stopp!«, schrie ich panisch und hysterisch zugleich. Wenn hier gleich noch jemand starb, könnte ich mir das niemals verzeihen!

Klint ließ die Waffe jedoch nicht sinken. Er kam direkt auf mich zu und ehe ich reagieren konnte, hatte er mich am Kragen gepackt und hochgezerrt. Erschrocken zuckte ich zusammen, als das kühle Metall seines Revolvers meine Schläfe strich. »Jetzt reicht's aber!«, schrie er aufgebracht, »Eine Bewegung und ich bringe sie direkt vor euren Augen um!«

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