Kapitel 69 - Stadtgespräch

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Die Nacht war ein Albtraum. Ich konnte nicht schlafen. Die ganze Zeit musste ich an Collin denken. Diese eisblauen Augen, die voller Hass erfüllt waren. Und dass nur, weil meine Mom verdächtigt wurde, George Haal getötet zu haben. Collin war so voller Rachegelüste gewesen, dass er sich nicht einmal die Frage gestellt hatte, ob meine Mutter vielleicht nicht doch unschuldig war.

Und diese Sense! Wo konnte man sowas überhaupt kaufen? Stöhnend verließ ich mein Bett und setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl. Ich stützte den Kopf in beide Hände und starrte durch das Fenster hindurch in die Dunkelheit. Irgendwo da draußen steckte noch jemand, der mindestens genauso verrückt wie Collin war.

Ich fragte mich, was das Motiv des mysteriösen Mannes war. An George Haals Tod Rache zu nehmen sicherlich nicht. Wahrscheinlich war er sogar für den Mord verantwortlich. Mein Verfolger musste ihn ohne Hemmungen erschossen und dann diesen Diamanten gestohlen haben. Den Diamanten, der Moms Leben ruiniert hatte.

Draußen wiegten sich die Äste der dürren Bäume hin und her. Der Mond versteckte sich hinter den Wolken. Es war eine düstere Nacht. Ich fragte mich, warum Josh Onkel Harry so sehr verdächtigte. Lag das daran, dass die beiden sich nicht ausstehen konnten? Oder gab es einen anderen Grund?

Onkel Harry war um zwei Uhr morgens endlich nach Hause gekommen und sofort in mein Zimmer gestürzt. Er hatte sich unglaubliche Sorgen um mich gemacht und mich direkt in den Arm genommen. Wie konnte Josh so jemanden nur verdächtigen?

Wenn Josh mir nicht schon mehrmals geholfen hätte, hätte ich ihn höchstwahrscheinlich selbst verdächtigt. Aber so war es nicht. Onkel Harry schlief jetzt seelenruhig in seinem Zimmer. Für mich war er ein ganz besonderer Mann - der Vater, den ich mir schon immer gewünscht hatte.

Das brachte mich wieder zu Eric Payton. Ich hatte ihn seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. Er musste es gewesen sein.

Josh irrte sich. Da war ich mir ganz sicher.

Am nächsten Tag machte ich mich trotz der gestrigen Geschehnisse auf den Weg zur Schule. Die heutige Zeitung wollte ich jedoch nicht lesen. Schon die Schlagzeile hatte mich abgeschreckt:

>> GRAUSAMER RACHEAKT- JUGENDLICHER VERSUCHT 17-JÄHRIGE MIT SENSE ZU ERMORDEN <<

Eigentlich war das schlimmste nicht die Schlagzeile, sondern das Bild, was man daneben gedruckt hatte. Die blutverschmierte Sense. Mein Onkel hatte sich den Artikel durchgelesen und als ich ihn gefragt hatte, ob mein Name erwähnt wurde, hatte er den Kopf geschüttelt. Trotzdem wussten alle, dass ich die 17-Jährige war, die angegriffen wurde. Rose Parker hatte schließlich nur eine Tochter.

In der Schule wusste also jeder Bescheid. Schon als ich das Gelände betrat, sahen mich meine Mitschüler an und tuschelten miteinander. Niemand half mir auch nur ein bisschen, das grausame Geschehen zu verdrängen. Mehrere Schülerinnen und Schüler kamen sogar bei mir an und sagten, dass es ihnen leid täte, was mir zugestoßen war. Aber das machte das Ganze leider nicht ungeschehen. Im Gegenteil, es war schon fast heuchlerisch erst über einen zu lästern und jetzt eine große Unschuldsszene zu machen.

Gereizt lief ich auf meinen Spind zu. Doch ehe ich ihn geöffnet hatte, wurde er mir direkt wieder vor der Nase zugeschlagen. Überrascht sah ich Jayden an, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Seine Augen waren glasig. In der Hand hielt er die Zeitung von heute.

»Ich habe mir solche Sorgen gemacht!«, waren seine einzigen Worte, bevor er mich in eine Umarmung zog. Erst war überrascht, aber dann erwiderte ich die Umarmung. Denn erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich Jayden eigentlich vermisst hatte. Ich konnte ihm nicht lange böse sein.

Nachdem ich den Schultag überlebt hatte, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Der Tag war bis jetzt sehr merkwürdig. Alle waren plötzlich so nett zu mir, dass es fast schon wieder gruselig war. Aber das mit Abstand Verstörendste war, dass Melissa mich ernsthaft auf ihre Geburtstagsparty eingeladen hatte - auf die Party, auf der sie ein unglaubliches Feuerwerk mit illegalen Sprengkörpern veranstalten wollte und mich damit eigentlich übertrumpfen wollte.

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